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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 1. Dezember 2021; 20:23
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Debatte:
> Die Sache mit der Objektivität
Eine Antwort auf J.Wieser in dieser Ausgabe und eine
Präzisierung von
*Bernhard Redl*
Soweit auseinander, wie es den Anschein haben mag, sind unsere beiden
Positionen gar nicht. Ich gebe Judith Wieser in fast allem Recht. In einem
Detail, der Forschungsgeschichte des Klimawandels, muß ich ihr allerdings
widersprechen. Die grundlegende Theorie über einen Treibhauseffekt durch
Kohlenstoffdioxid ist ein gutes Jahrhundert alt, aber allgemein anerkannt
ist sie nicht seit den 50ern. Sagen wir, seit den 70ern ist sie zumindest
weitgehend anerkannt, daneben gab es aber auch noch Theorien, daß eine neue
Eiszeit komme.
Das mag eine Petitesse der Kritik sein, aber sie zeigt, daß Wissenschaft
generell weder eine kurvenlose Autobahn ist noch endgültige Ergebnisse
liefert. Als Newton der berühmte Apfel auf den Kopf gefallen sein soll,
erkannte er das Prinzip der Gravitation -- was das aber wirklich ist, wußte
er nicht so genau und wir wissen heute zwar viel mehr darüber, jedoch
vollständig aufgeklärt ist dieses Prinzip immer noch nicht. Erst 2017 wurde
der Nobelpreis für den Nachweis von Gravitationswellen verliehen. Deren
Existenz hatte schon Einstein vermutet, aber einen Beweis gab es dafür
nicht.
Vielleicht lachen in hundert Jahren die Physiker über unser Verständnis von
Gravitation, wie wir heute über die Phlogistontheorie lachen. Denn so gut
wie das ganze 18. Jahrhundert lang galt es als wissenschaftlich erwiesen,
daß bei Verbrennungen ein Stoff entweicht, den man als "Feuerstoff" ansah
und dem man einen dazu passenden griechischen Namen verpaßte. Mit dieser
Theorie ließ sich so gut wie jede Beobachtung von Verbrennungsprozessen
erklären. Erst Lavoisier bewies in einem Experiment das Prinzip der
Oxidation. Dieser landete in der französischen Revolution dann auf der
Guilottine, nicht nur, aber wohl auch deswegen, weil er Marat -- Arzt,
Naturwissenschaftler und einer der Anführer der Revolution -- gerade in der
Frage dieses chemischen Prozesses massiv kritisiert hatte.
Vorläufige Wissenschaft
Wissenschaft, auch Naturwissenschaft ist kein abgeschlossener Prozeß, eher
ein Work in Progress, wo man mit einstweiligen Erkenntnissen umgehen muß.
Daher ist es aber in unserem konkreten Fall auch ein Fehlschluß, aus der,
wenn auch kurzen, so doch hochintensiven Forschungsgeschichte der aktuellen
Covid-Impfstoffe zu schließen, daß die Ergebnisse dieser Forschung als
endgültig richtig angesehen werden können. Daß deren Nutzen eventuelle
Schäden überwiegt, ist wahrscheinlich, aber nicht unbestreitbar. Das gerade
in Medizin und Biologie, aber auch den Umweltwissenschaften, immer wieder
geforderte Vorsorgeprinzip wird hier völlig ignoriert. Denn in einer Krise
wird eine schnelle Lösung gesucht und Kritik erscheint unerwünscht.
Freie Wissenschaft
Womit wir beim nächsten Punkt wären: Der freien Wissenschaft. Denn das ist
ein Mythos. Wissenschaft ohne anderes Interesse als Erkenntnis über das
Wesen der Dinge mag für Archimedes oder Newton möglich gewesen sein,
vielleicht auch für Hawking. In den meisten Fällen heutiger Wissenschaft
aber braucht es potente Geldgeber mit handfesten Eigeninteressen. Und die
finanzieren nur etwas, wenn der Output ihnen einen ordentlichen
Investment-Return liefert. Das muß nicht unbedingt ein Gewinn in einem engen
kommerziellen Sinne sein -- auch hier sind die aktuellen Impfstoffe ein
gutes Beispiel: Sie müssen funktionieren und unbedenklich sein! Die wegen
Zögerlichkeit immer wieder gescholtene Politik kann eine wissenschaftliche
Kritik an den Impfstoffen nicht akzeptieren, weil das zur Folge hätte, daß
der Impfstoff eben nicht "die Lösung" der Krise wäre. Das heißt jetzt nicht,
daß es eine fundierte wissenschaftliche Kritik in diesem Bereich gäbe, es
heißt nur, daß hier sowohl bei den Impfstoffherstellern als auch bei
sonstigen Profiteuren des Kapitalismus genauso wie in der Politik ein
massives Interesse an einer bestimmten wissenschaftlichen Deutungshoheit
besteht. Ein "Qui bono?" muß daher ignoriert werden und es ist auch kein
Wunder, daß eine Forschung die gegen diese Deutungshoheit agiert, kaum mit
einer Dotierung rechnen kann. Es gilt das Palmström-Prinzip, daß nicht sein
kann, was nicht sein darf.
Gäbe es nur Forschung, die quasi nur l'art pour l'art existiert, und nur
Forscher, die sich auch über eine experimentelle Widerlegung ihrer Thesen
freuen, weil auch diese zum Erkenntnisgewinn beiträgt, und wären diese
Erkenntnisse immer unwiderlegbar gesichert, wäre eine Kritik an Wissenschaft
natürlich Unsinn. Aber so ist es halt nicht. Eine Wissenschaftskritik kann
sich daher auch nicht auf reine Ethoskritik beschränken, also darauf, die
Frage zu stellen, ob man auch alles machen dürfe, was man machen kann. Es
geht nicht nur darum, was man dem modernen Prometheus erlauben kann. Schon
deswegen nicht, weil es bei einer reinen Ethikfrage meist gar nicht um
wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern um deren Anwendung, also mehr um
Technik und weniger um Wissenschaft geht.
Wissenschaftskritik muß sich auch damit beschäftigen, wie ein
wissenschaftlicher Output überhaupt zustandegekommen ist und ob auch jede
Antithese wirklich gebührend gewürdigt worden ist. Eine solche
Wissenschaftskritik ist unabdingbar, um tatsächlich auch nur vorläufig
gesicherte Erkenntnisse zu erhalten.
Exakte Wissenschaft
Allerdings ist unser Wissenschaftsbild in der öffentlichen Debatte auch sehr
eingeschränkt. Hier ist auch dringend Diskurskritik gefragt. Denn was da
unter Wissenschaft verstanden wird, ist zumeist eine Einschränkung auf
Naturwissenschaften und naturwissenschaftlich basierte Technik. Dabei wird
dieser Bereich auch noch taxfrei als exakte Wissenschaft dargestellt -- man
kann darüber streiten, was überhaupt als exakte Wissenschaft angesehen
werden kann und wie man das definiert, die Medizin gehört aber sicher nicht
dazu. Diesbezüglich wird ein Bild gezeichnet, die moderne Medizin im
Gegensatz zu dem, was sich als "ganzheitliche Medizin" versteht, als die
Anwerndung wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse zu stilisieren. Mit der
Abgrenzungsnotwendigkeit von solchem Unfug wie Granderwasser und Auramassage
wird aber ein rein mechanistisches Menschenbild produziert -- ein massiver
Rückschritt gegenüber einer mittlerweile auch schulmedizinischen Erkenntnis,
daß ein Patient eben ganzheitlich betrachtet werden muß und nicht nur auf
ein genau lokalisiertes somatisches Problem reduziert werden darf. In der
(im doppelten Wortsinn) medizinischen Praxis passiert aber genau das und das
ist auch der Grund, warum viele Menschen lieber zu einem Schamanen als zu
einem Arzt gehen, weil dieser ihnen das Gefühl gibt, als Person wahrgenommen
zu werden. Die Ignoranz der "Götter in Weiß" gegenüber den tatsächlich
medizinischen Bedüfnissen ihrer Patienten erzeugt erst das Renommee der
Scharlatane. Letztendlich führt das dazu, daß sogar die Mediziner selbst ihr
Defizit im Bereich einer ihnen viel zu aufwendig erscheinenden
ganzheitlichen Behandlung durch esoterischen Unfug beheben wollen. Da
verschreibt man dann halt auch Globuli und empfiehlt einen Energiering ums
Krankenhaus -- weil das halt viel einfacher ist.
Mehrzahl Wissenschaften
Zurück zur Diskurskritik: "Die" Wissenschaft gibt es nicht. Einmal abgesehen
davon, daß viele technische Disziplinen, wie eben etwa die Medizin- und
Biotechnik, heute so ohne weiteres dazugezählt werden, gibt es es neben den
Naturwissenschaften auch Geistes- und Sozialwissenschaften. Letztere leiden
sehr darunter, daß ihre Beweisführung noch viel difiziler ist als in den
Naturwissenschaften. Das führt beispielsweise in der Soziologie zu einer
Abkehr von philosophischen und psychologischen Ansätzen und einer Zuwendung
zur Mathematik. Der Einzelmensch als soziales Wesen so wie die menschliche
Gemeinschaft sind schwerlich exakt analysierbar und damit ist ein Beweis im
naturwissenschaftliche Sinne nicht machbar -- mit Hilfe von Statistiken aber
kann man Erkenntnisse erlangen oder auch nur produzieren, die den Anschein
erwecken, als exakter Beweis hinreichend zu sein. Das ist nicht nur
praktisch für das Ansehen und den Impact im gesellschaftlichen Diskurs, es
ermöglicht auch, die Ansichten des jeweiligen Studienleiters
quasiwissenschaftlich zu unterfüttern. Aus einer Meinung wird gesicherte
Erkenntnis -- oder sie sieht zumindest nach einer solchen aus.
Der Versuch, der Geistes- und Sozialwissenschaften mit Hilfe von Beweisen zu
agieren, die an die naturwissenschaftliche Herangehensweise angelehnt sind,
ist aber eine zweischneidige Angelegenheit. Er ist für den einzelnen
Professor vielleicht in seiner Karriere dienlich und es hilft auch, seinen
Ansichten in Gesellschaft und Politik Ansehen zu verschaffen. Allerdings
sorgt das natürlich auch für berechtigten Spott bei den Naturwissenschaften,
die mit echten Kausalitäten arbeiten und nicht mit zurechtgerechneten.
Natürlich ist auch bei den Naturwissenschaften eine Interpretation der
Ergebnisse eines Experiments bisweilen eine heikle Angelegenheit. Das
betrifft nicht nur solche erwiesenen wissenschaftliche Irrtümer wie
obzitierte Phlogistontheorie, sondern beispielsweise wohl auch die immer
wieder revidierten Atommodelle oder die Deutung der Heisenbergschen
Unschärferelation -- allein die durchaus wissenschaftlich gebrauchten
Begriffe "Modell" und "Deutung" sind da bezeichnend.
Dennoch haben die Naturwissenschaften einen klaren Vorteil, wenn es darum
geht, Exaktheit für sich in Anspruch zu nehmen. Umgekehrt ist es aber wohl
auch nicht ganz falsch, auch Geistes- und Sozialwissenschaften den Nimbus
der Wissenschaftlichkeit einzuräumen -- auch und vielleicht gerade dann,
wenn sie nicht mit naturwissenschaftsähnlichen Beweisen zu agieren
versuchen. Denn die Welt und ihre Wahrheit sind immer eine Deutungsfrage und
die läßt sich nicht einmal widerspruchsfrei, geschweige denn abschließend
beantworten. Antworten brauchen wir aber trotzdem und die können wir nur
durch eine wissenschaftliche, sprich: seriöse und in die Tiefe gehende
Analyse bekommen, die von den Naturwissenschaften nicht immer zu bekommen
sind.
Welche Wissenschaft?
Das ist aber auch das Problem bspw mit der von Wieser angesprochenen Wiener
Verkehrsplanung. Denn natürlich wird man von einem Umweltwissenschaftler in
der Frage, ob eine neue Straße gebaut werden soll, eine andere Antwort hören
als wenn man einen Ökonomen fragt. Ein Stadtplaner und Regionalforscher
hingegen wird wahrscheinlich eine Antwort geben, die dem entspricht, was
sich sein Auftraggeber so vorstellt, und allerhöchstens Ratschläge geben,
wie man das Vorhaben -- in welchem Sinne auch immer -- optimieren kann. Und
Verkehrsexperten heißen halt nicht alle Knoflacher, sondern werden
vielleicht von der Wirtschaftskammer oder der ASFINAG bezahlt. Der
Politikwissenschaftler wiederum wird den Entscheidungsträgern erklären
können, ob eine Umsetzung der Pläne im Hinblick auf die nächsten Wahlen
opportun ist und vielleicht auch, wie man diese Pläne der Öffentlichkeit
besser erklären resp. verkaufen kann. Diese Wissenschaftler sind alle
hochkompetent in ihrem jeweiligen Fach, doch die Frage bleibt, welches
dieser Fächer und welche dieser Experten man als relevant für die jeweils
konkrete Situation ansehen soll. Das ist aber dann eine politische Frage,
die von Nichtfachleuten entschieden werden muß.
Zum Wohle der Wissenschaft
Egal, welcher Art die Wissenschaft ist, wir müssen als Gesellschaft mit
deren Erkenntnissen umgehen und sie bisweilen auch anwenden. Das enthebt uns
aber nicht der Pflicht zur Kritik gegenüber diesen Erkenntnissen. Wenn wir
als Einzelne vielleicht nicht "vom Fach" sind, haben wir doch als Einzelne
wie als Weltgesellschaft mit den Konsequenzen aus diesen Erkenntnissen
umzugehen. Ich werde sicher beispielsweise einem Virologen nicht sein Fach
erklären, aber ich kann ihn fragen, was er zu den Ansichten eines anderen
Virologen sagt. Man kann ihm auch die Frage stellen, wer seine Forschung
finanziert, wie seine politischen und kommerziellen Verbindungen aussehen
und wem er seine Fernsehauftritte verdankt. Und auch wenn man ihm fachlich
vertraut, muß man dem jeweiligen Experten fragen, ob die Empfehlungen, die
er aus seinen Erkenntnissen ableitet, allein mit seinem Fachwissen
ausreichend begründbar sind oder ob es da nicht auch Fachleute anderer
Disziplinen bedarf. Denn eines ist auch klar: Fachleute tendieren immer
dazu, ihr Fach für das einzig Relevante zu halten, erstens aus ihrem
Selbstverständnis und -bewußtsein heraus, aber auch weil es darum geht, ob
sie ausreichend pekuniär versorgt werden -- schließlich stehen sie ja in
Konkurrenz zu anderen Disziplinen, vor allem wenn es um staatliche Förderung
geht. Wenn der Virologe, Atomphysiker, Mediziner, Klimaforscher oder auch
Soziologe darauf ehrlich antwortet, dann kann man daraus wenigstens den
Schluß ziehen, daß er wahrscheinlich seriös arbeitet, sogar wenn er für eine
Kapitalgesellschaft tätig ist.
Leider stellen Journalisten nur sehr selten diese Fragen, denn sie
erscheinen nicht opportun. Der Wissenschaftler will seine Erkenntnisse
präsentieren und nicht hinterfragt werden. Daran orientiert sich auch der
Journalist. Solche Interviews sind meistens weniger mit Politikerinterviews
zu vergleichen sondern eher mit Audienzen.
Wir als Gesellschaft aber müssen diese Fragen stellen, denn aus den
Antworten darauf müssen wir unser Handeln ausrichten können. Genau darum
geht es: Wie handelt man nach den Erkenntnissen von Wissenschaftlern, von
deren Fach wir nicht immer eine Ahnung haben können?
Müssen wir der Wissenschaft vertrauen? Ja, weil wir nichts anderes haben.
Aber das sollten wir nicht blind tun. Und Wissenschaftskritik ist nicht nur
deswegen notwendig, um uns vor Schaden zu bewahren, wenn wir Teilen der
Wissenschaft unhinterfragt vertrauen, sondern auch deswegen, weil Kritik
dazu führen kann, daß vorläufige Erkenntnisse immer wieder überprüft werden
und man damit vielleicht zu neuen, aber ebenso nur vorläufigen Erkenntnissen
gelangt, die vielleicht dem näher stehen, was man so unter Wirklichkeit
versteht.
Wissenschaftliche Institutionen betonen immer die Wichtigkeit ihrer
Kontrollprozesse und Peer Reviews, übersehen dabei aber gerne den Effekt,
daß einer Überprüfung nur durch einschlägig gebildete Fachleute auch zur
Selbstbestätigung einer Community führen kann -- auch die Wissenschaft hat
ihre Informationsblasen, aus denen sie schwer herauskommt. Gerade Kritik von
außerhalb einer einschlägigen Wissensgemeinde dient daher nicht nur dem
Wohle der Gesellschaft, sondern auch dem der Wissenschaft selbst.
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