**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 10. April 2019; 16:23
**********************************************************

Freiheit stirbt mit Sicherheit/Glosse:

> Es gibt nur EIN Verbotsgesetz

Die Gefahren, die mit politischen Verboten verbunden sind, werden immer noch
unterschätzt.
*

Am 8.Mai 1945 kapitulierte nicht nur das Deutsche Reich, sondern von diesem
Tag datiert auch der Beschluß der gerade gebildeten provisorischen Regierung
Österreichs einer ersten Version des Verbotsgesetz. Dahinter steckte aber
nicht die Überzeugung, daß man jetzt eine politische Gesinnung verbieten
wollte, sondern es ging darum, ein politisches System abzuschaffen und zu
verhindern, daß die natürlich nicht verschwundenen politischen NS-Netzwerke
wieder zur Macht kommen könnten. Oder noch krasser: Zu diesem Zeitpunkt war
ja nur klar, daß das 3.Reich den Krieg verloren hat, nicht aber, daß die
Alliierten tatsächlich einen regime change durchsetzen. Man wollte also mit
diesem Gesetz vor allem klarmachen, daß es ein souveränes Österreich ohne
Nazis an entscheidenden Stellen geben soll.

1947 bestätigte das nunmehr gewählte Parlament das Verbotsgesetz -- da kam
dann auch der Begriff der "Wiederbetätigung" auf. Auch hier ging es also
darum, daß die früheren Herren wieder zur Macht gelangen könnten. Auch da
war es Konsens, daß es nicht um das Verbieten von faschistischen Parteien
gehen kann. Selbst dem VdU und deren Nachfolgepartei FPÖ, deren erster
Vorsitzender definitiv ein Nazi war, wollte man nicht mit dem Verbotsgesetz
zu Leibe rücken -- das mag auch andere Gründe gehabt haben, aber tatsächlich
erfüllte die FPÖ wahrscheinlich nicht den Tatbestand des eng gefaßten
Verbotsgesetzes.

In Deutschland verbot man mit ähnlicher Argumentation nicht nur Naziparteien
und -aktivisten, sondern auch die KPD. Demokratiepolitisch war das zwar sehr
wohl bedenklich, aber auch hier wurde die als konkret angesehene Bedrohung
des Staatsgefüges ins Treffen geführt, die sich durch den Konkurrenzstaat im
Osten ergab. Trotz Kaltem Krieg und Kommunistenhatz verbot man aber formal
nur die moskaunahe Organisation, nicht die kommunistische Gesinnung.

Wenn es zu Forderungen gekommen ist, in Analogie zu solchen Verboten auch
andere Parteien und Überzeugungen zu kriminalisieren, kam das bezeichnender
Weise meist von rechtsstehenden Parteien. Wie oft gab es schon Äußerungen
hierzulande von ÖVP- und FPÖ-Politikern doch auch linke Parteien zu
verbieten? Der Hitler-Stalin-Vergleich reichte aber -- trotz manifesten
antikommunistischen Konsenses aller etablierten Parteien nach 1955 -- nie
aus, um solche Verbote zu beschließen. Wohl eben auch deswegen, weil den
Juristen in all diesen Parteien klar war, wie man das Verbotsgesetz von 45
zu verstehen hatte -- als Notwehr-, als Notstandsgesetz. Ein solcher
politischer Notstand war aber in der Zweiten Republik niemehr aufgetreten --
schon gar nicht als "rote Gefahr".

Extremisten!

Das müßte unser jetziger Bundeskanzler eigentlich auch wissen, doch er
vermeldet, die Bundesregierung würde die Auflösung der Identitären Bewegung
prüfen -- einmal abgesehen davon, daß man da lediglich deren Verein auflösen
könne (der heißt übrigens ganz anders, nämlich "Verein zum Erhalt der
ethnokulturellen Identität"), aber wohl kaum die informelle Gruppe, geht das
mit dem Verbotsgesetz wohl nicht. Auch die Antiterrorparagraphen wären keine
juristisch haltbare Möglichkeit. Das ficht den Jus-Abrecher aber nicht an.
Er verkündet, es gäbe "keine Toleranz für gefährliche Ideologien, ganz
gleich, aus welcher Ecke sie kommen".

Hoppla, da ist sie schon wieder, die Extremismustheorie. Andreas Schieder,
derzeit EU-Wahlkämpfer, assistiert da auch gleich. Der SP-Spitzenkandidat
träumt da von einem EU-weiten Verbot rechtsextremer Organisationen -- ihm
ist offensichtlich auch nicht klar, daß das ein gefährliches Terrain ist,
auf das er sich dabei begibt. Denn wie definiert sich "rechtsextrem"? Und
wer entscheidet, was das heißt? Laut Schieder solle diese Regelung eine
"Blaupause des österreichischen Verbotsgesetzes" sein. Diese solle sich
gegen "antidemokratische Bewegungen" richten. Wer nun rechtsextrem sei,
solle der EuGH definieren. Herr Schieder, soll das sowas werden wie dieses
unglückliche Staatsverweigerergesetz? Oder die berüchtigte Liste von
Terrororganisationen der EU? Ist Ihnen nicht klar, daß Sie da eine alte
Forderung rechter Parteien forcieren? Denn NS-Ideologie ist juristisch ganz
gut definierbar, "rechtsextrem" so gut wie gar nicht. Und "antidemokratisch"
ist überhaupt nur juristischer Schaumgummi, damit kann man alles verbieten,
was gerade politisch nicht opportun ist, daran wird auch die Auslagerung der
Entscheidung an ein Gericht nichts ändern.

Bei Türken geht das leichter

Denn dieses Denken führt jetzt schon zu einer katastrophalen Rechtspraxis.
Seit einem Jahr werden in Österreich immer wieder Gerichtsprozesse geführt,
in denen ohne echte Beweise Menschen aus dem türkisch-kurdischen Raum der
Terrorunterstützung geziehen werden. Und welch Wunder auch, es sind immer
Linke! Bis vor Kurzem gab es in solchen Prozessen meist Freisprüche, aber
vor einem Monat wurden drei Vorstandsmitglieder der Anatolischen Föderation
wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt -- und
der Verein selbst steht vor dem Verbot. (Siehe Bericht in diesem akin-pd.)

Diesen Dienstag stand ein Kurde aus Syrien in Salzburg vor Gericht, nur weil
er bei einer Demo eine PKK-Fahne geschwenkt hatte. Das reicht mittlerweile,
um hierzulande wegen Terror-Mitgliedschaft angeklagt zu werden. Der
Beschuldigte hatte Glück, ein Schöffensenat sprach ihn frei (wenn auch noch
nicht rechtskräftig). Glück hatte er vor allem deswegen, weil dieses
schauervolle Fahnenschwenken noch vor dem 1.März passiert war. Seither sind
nämlich die neuen Symbolverbote in Kraft -- der nächste PKK-Fahnenschwenker
wird wohl einsitzen. Und genau das ist der Punkt: Während man die
Terrorparagraphen, die ja nur physische Gewalt pönalisieren sollten, als
Gesinnungsdelikte mißbrauchen kann, ist das Symbolverbot ein Analogon des
Abzeichengesetzes und damit auch des Verbotsgesetzes. Hier wird politische
Gesinnung kriminalisiert -- auch ein durchschlagender Erfolg der
Extremismustheorie.

Der Staat ist immer in Gefahr

Es gibt das Verbotsgesetz und es gibt den Verhetzungsparagraphen. Zur
Bekämpfung des Terrorismus hat in den 70er-Jahren, wo es in Österreich im
Gegensatz zu heute wirklich sowas gegeben hat, das damals vorhandene
Justiz-Arsenal völlig ausgereicht. Ein Mord ist ein Mord, eine Entführung
eine Entführung, dafür braucht es keine Sondergesetze. Sondergesetze braucht
man nur, wenn man politische Meinungen kriminalisieren will. Politische
Meinungen aber, so widerlich sie auch immer sein mögen, muß ein Staat, der
sich selbst "Demokratie" nennt, aushalten können -- sonst wird er über kurz
oder lang selbst "antidemokratisch".
*Bernhard Redl*



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.redaktion@gmx.at abbestellen.







*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
postadresse a-1170 wien, lobenhauerngasse 35/2
redaktionsadresse: dreyhausenstraße 3, kellerlokal, 1140
vox: 0665 65 20 70 92
http://akin.mediaweb.at
blog: https://akinmagazin.wordpress.com/
facebook: https://www.facebook.com/akin.magazin
mail: akin.redaktion@gmx.at
bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
bank austria, zweck: akin
IBAN AT041200022310297600
BIC: BKAUATWW