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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 14. November 2018; 17:03
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Glosse:

> Gestern, Heute, Morgen

Alles hängt mit allem zusammen -- eine politische Rundschau entlang von
Jahrestagen

Der 12.November 1918 stellte eine Zäsur da -- es war wohl der wichtigste Tag
in der Geschichte der Nation im 20.Jahrhundert. Nein, ich meine da nicht
Österreich. Der Staatsakt hierzulande, wo sich Schwarzblau inszenieren
konnte und der Alibi-Sozi Niessl nur über die wichtige Rolle der
Bundesländer schwatzen durfte, war ja verzichtbar. Van der Bellen war
bundespräsidential zurückhaltend in seinen Mahnungen, Kurzens Rede war
belanglos, Herr Strache erging sich in lustigem Kommunistenbashing und
verklausulierte die Beschwerde über den jahrelangen Cordon Sanitaire der
Sozialdemokratie gegenüber seiner Partei in ein Votum für Toleranz und
Meinungsfreiheit -- und erzählte natürlich auch gerne die Geschichte vom
Untergang der Republik 1933 so, wie es sein Koalitionspartner gerne hört.
100 Jahre Verlogenheit wurden da gefeiert. Nur, trotz all dem politischen
Eklektiszismus, der die FPÖ seit jeher prägt, muß man sich schon sehr
wundern, wie Strache seine Rede beendete, nämlich mit: "Glück auf!" Merkt
man da, daß Kickl als Minister keine Zeit mehr hat, Strache die Reden zu
schreiben?


Schweizer Erfahrungen

Wurscht! Witzigerweise war dieser Schluß aber sehr treffend -- wenn auch
eben nicht für die österreichische Geschichte. In der Schweiz wäre nämlich
der alte Gewekschaftsgruß an diesem Tag sehr viel passender gewesen. Denn
vor genau 100 Jahren gab es dort den "Landesstreik", einen politischen
Generalstreik, an dem sich eine Viertelmillion Menschen beteiligt haben
dürften. Auch die neutrale Schweiz war eben sehr in Mitleidenschaft durch
den Ersten Weltkrieg gezogen worden -- dort ist diese Zeit als
"Grenzbesetzung" bekannt. Die Armee war mobilisiert, die Wehrpflichtigen
mußten im Schnitt eineinhalb Jahre als Grenzschützer agieren, um den Status
der neutralen Schweiz abzusichern. Während aber die Fabriksbesitzer vom
Krieg profitierten und alle Seiten belieferten, waren die besitzlosen Männer
nicht in der Lage, Geld zu verdienen, weil sie an der Grenze stehen mußten.
Die soziale Kluft riß ganz enorm auf. Mit dem Ende des Kriegs kam es dann
zum großen Clash:

"Im November 1918, direkt nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, traten
250.000 ArbeiterInnen in den ersten und einzigen landesweiten Generalstreik.
In den Jahren davor hatte sich der soziale Graben zwischen den zunehmend
verarmenden ArbeiterInnen und den ProfiteurInnen des Krieges verbreitert.
Nahrungsmittel waren knapp, und die Löhne hielten mit der ständigen Teuerung
nicht mit.

1917 hatten SP, Gewerkschaften und Konsumentenorganisationen das Oltener
Aktionskomitee (OAK) gegründet. Mit SP-Nationalrat Robert Grimm an der
Spitze entwickelte sich dieses zur Verhandlungsmacht gegenüber dem
ausschliesslich bürgerlichen Bundesrat [also der Regierung]. Später
umgesetzte sozialpolitische Reformen wie das Frauenstimmrecht, die Reduktion
der Wochenarbeitszeit oder die AHV [Pensionsversicherung] zählten zu den
wichtigsten Forderungen des OAK. Die Armeeführung hatte ein hartes Vorgehen
angeordnet; weil das OAK eine Eskalation befürchtete, beschloss es in der
Nacht vom 13. auf den 14. November den Streikabbruch." [Kurzzusammenfassung
aus der WoZ 32/2018]

Eine Forderung der damals Streikenden ist allerdings immer noch unerfüllt:
"Tilgung aller Staatsschulden durch die Besitzenden" -- eine Forderung, über
die man heute wieder reden müßte, nicht nur in der Schweiz. Daher stimmts
schon als Gruß für den 12.November auch hierzulande: "Glück auf!" Wenn auch
nicht unbedingt von Herrn Strache.


Streik? Bei uns?

Oder hat Strache damit seine Unterstützung für die Metaller ausdrücken
wollen? Nein, wohl eher nicht, sind die doch vor allem aufgebracht, weil sie
für das 12-Stunden-Gesetz dieser Regierung eine entsprechende Vergütung von
den Kornzernherren wollen. Das ist von der Fachgewerkschaft schon mal ein
guter Ansatz, aber eigentlich müßte man im ganzen ÖGB jetzt bereits einen
Generalstreik vorbereiten angesichts der Pläne über die Abschaffung der
Notstandshilfe. Schließlich ist die Befürchtung, daß in Österreich "Hartz
IV", also das deutsche "Arbeitslosengeld II", eingeführt würde, auch nur
eine Verharmlosung -- die österreichischen Vorhaben sind sogar noch ein
wenig schlimmer. Aber der ÖGB fürchtet sich halt vor einem "politischen
Streik". Dabei ist das eine Definitionsfrage, schließlich handelt es sich
mit der Notstandshilfe um die Aufrechterhaltung einer
Versicherungsleistung -- und das ist ja wohl als ein Lohnbestandteil
anzusehen, folglich sehr wohl Thema eines Tarifkonflikts, auch wenn der
Adressat nicht die "Arbeitgeber" sind sondern eben die schwarzblaue
Nationalratsmehrheit.

Das Problem ist aber auch die traditionelle Gewerkschaftspartei in diesem
Land. Die neue Vorsitzende der SPÖ läßt sich gerade mit dem Slogan "Es ist
2018!" plakatieren -- abgesehen von der Serviceleistung der Partei, uns
schon im November zu verkünden, das wir nicht mehr 2017 zu haben, ist von
ihr nicht viel zu hören. Und natürlich hätte die SPÖ auch ein kleines
Glaubwürdigkeitsproblem, wenn sie ernsthaft gegen eine Version von "Hartz
IV" wettern wollte -- nicht nur deswegen, weil sie bei der bisherigen
Demontage des Sozialstaats als Kanzlerpartei nur hinhaltenden Widerstand
gegen die ÖVP geleistet hat, sondern auch deswegen, weil das deutsche Modell
von ihren eigenen dortigen Genossen (mit Unterstützung der Grünen) erfunden
worden ist. Irgendwie paßt das jetzt dazu, wenn der alte "Genosse der Bosse"
Gerhard Schröder per Interview (Rheinische Post, 7.11.2018) seinen
Parteifreunden mitteilt: "Mit einer Politik, die Linke noch links zu
überholen, gewinnen wir keinen Blumenstrauß. ... Die Partei des aufgeklärten
Bürgertums müssen aber doch wir sein." Ja, da darf man sich dann halt nicht
wundern über die Sozialdemokratie.


Ach, Europa!

Apropos aufgeklärtes Bürgertum! Darunter ist wohl auch die Aktion von Herrn
Menasse zu zählen, gemeinsam mit anderen Promis zum 100. Jahrestag des Endes
des Ersten Weltkriegs die "Europäische Republik" auszurufen. Ach, da träumt
wohl wer von warmen Eislutschern. Im Manifest des "European Balcony Project"
heißt es: "Das Europa der Nationalstaaten ist gescheitert. Die Idee des
europäischen Einigungsprojekts wurde verraten. Der Binnenmarkt und der Euro
konnten ohne politisches Dach zur leichten Beute einer neoliberalen Agenda
werden, die der Idee der sozialen Gerechtigkeit widerspricht." Hallo?
Binnenmarkt und Euro sind zur neoliberalen Beute geworden, waren aber
eigentlich Projekte für soziale Gerechtigkeit? Echt jetzt? Man frage die
griechische Bevölkerung, die sogar in einer Volksabstimmung sich klar gegen
das Euro-Diktat ausgesprochen hatte und dann doch bluten mußte -- nein, das
war nicht, weil das "europäische Einigungsprojekt" verraten worden wäre,
sondern ganz genau im Sinne dieses Projekts.

Das merkt man jetzt übrigens auch am Umgang mit Italien. Während den
rassistischen, menschenfeindlichen, menschenrechtswidrigen Maßnahmen der
neuen Regierung von Seiten des Friedensnobelpreisträgers EU und seiner
Kommission allerhöchstens mit Kopfschütteln, wenn nicht sogar mit Wohlwollen
begegnet wird, hat man dort ganz große Probleme damit, daß Italien seine
Budgetdisziplin nicht einhalten könnte. Sicher, was die dort mit den
erhöhten Staatsausgaben wirklich anfangen werden, bleibt abzuwarten, denn
weder von Lega noch von den Fünfsternern ist eine echte Verbesserung der
sozialen Situation zu erhoffen. Aber immerhin geben sie das als Grund für
ihr Vafancullo gegenüber Kommision und EZB an. (Siehe Kommentar von
W.Langthaler in dieser Ausgabe
.) Und allein deswegen ist es schon klar,
warum es diesem Europa geht. Die Gesundbeterei von Menasse und Co. wird da
nicht helfen.


Gesammelte Novembergedenken

Zurück zum allgemeinen Ge- und Bedenken der letzten Tage. Diese Tage im
November, vor allem wenn die Jahreszahlen mit einem Dreier oder einem Achter
enden, sind ja immer sehr bedeutungsschwanger. Am erfreulichsten ist ja da
der 40.Jahrestag der Zwentendorf-Abstimmung. Es hat zwar nach 1978 noch eine
Zeitlang gedauert, bis das Thema Atomkraft in Österreich keines mehr war --
aber es mußte halt dieses knappe "Nein" passiert sein, damit dann nach
Tschernobyl 1986 plötzlich alle schon immer dagegen gewesen sein konnten.
Dank dieser Abstimmung ist ein österreichisches AKW heute tabu. Deswegen
braucht es da auch keine große mahnenden Ansprachen mehr. Denn in Österreich
kann ein Politiker sehr wohl ein kleiner Nazi sein, das geht sich schon aus,
deswegen gibts ja diese ganzen Gedenkveranstaltungen. Aber auch nur die
Andeutung eines Vorschlags für den Bau eines AKWs beendet schlagartig jede
politische Karriere. [siehe zum Thema auch weiter hinten in dieser Ausgabe:
Vor 40 Jahren in der akin]



Piloten ist nichts verboten

Die grauslichen Jahrestage im November sind allerdings in der Mehrzahl. Vor
170 Jahren wurde der Paulskirchen-Abgeordnete Robert Blum in Wien von
kaiserlichen Truppen standrechtlich hingerichtet. Vor 95 Jahren versuchte
Adolf Hitler ein erstes, erfolgloses Mal an die Macht zu kommen -- per
Putschversuch in München. Und schließlich jährte sich jetzt auch zum 80. Mal
die "Reichskristallnacht". Einen nichtrunden Jahrestag mit bedenklichem Inhalt
gab es auch -- just am 8.November und zwar im Jahr 1944 wurde Hitlers
Lieblingsflieger Walter Nowotny abgeschossen. Am 11.November trafen sich zu
seinem Gedenken ein paar Ewiggestrige an seinem Grab -- darunter ein paar
gar nicht mal so niederrangige FPÖler. Natürlich gedachten sie alle an
diesem Grab -- das seit nicht allzulanger Zeit kein Ehrengrab mehr ist --
nicht dem Nazi Nowotny, sondern dem ehrenwerten Soldaten Nowotny. Ja, wir
wissen natürlich nicht, ob sie seiner auch gedacht hätten, wäre er kein Nazi
gewesen und nicht bei der deutschen Wehrmacht der Nazizeit -- man will ja
nichts unterstellen. Andererseits wurde dieser Tage eine Frau nach dem
Verbotsgesetz zu 18 Monaten Haft verurteilt, weil sie mehrere
Facebook-Postings á la "Solche Leute gehören in die Gaskammer" abgesetzt
hatte. Nunja, Dummheit ist offensichtlich doch strafbar. Das Verbotsgesetz
wurde eigentlich dafür geschaffen, um die Nazis davon abzuhalten, wieder an
die Macht zu kommen. Heute werden damit ungeschickte Nazis bekämpft. Ob das
der Sinn dahinter war?

Nebenbei: Für Nowotny gibt es immer noch in Niedersachsen einen Gedenkstein
an der Absturzstelle. Auf der dazugehörigen Gedenktafel wird er für seine
Verdienste für "Volk und Vaterland" geehrt. Auf einer früheren Version stand
noch "Führer und" davor, aber das war dann doch ein bisserl zu arg. Letztes
Jahr wurde von der Gemeinde die Tafel abmontiert. Mit der pietätvollen
Begründung, man wolle sie vor Souvenirjägern sicherstellen. Das Marterl
selbst -- inclusive germanischer Schutzrunen -- dürfte dort aber immer noch
stehen.

*Bernhard Redl*




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