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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 14. November 2018; 16:49
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In der akin vor 40 Jahren:

> Erste Reaktionen auf die Volksabstimmung

Am 5.November 1978 stimmte die österreichische Bevölkerung knapp gegen die
Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf. Die österreichische Linke war
damals nicht gar so geschlossen Anti-AKW, wie man das heute denken mag. Und
man befürchtete, daß ÖVP und FPÖ das nutzen könnten, die nächsten Wahlen zu
gewinnen -- was nicht passierte, wie wir heute wissen. 1979 fuhr die SPÖ ihr
bis heute bestes Ergebnis bei Nationalratswahlen ein. Endgültig besiegelt
war das Schicksal des österreichischen Atomstromprogramms wohl erst mit der
Katastrophe in Tschernobyl 1986. Im selben Jahr zogen auch die Grünen
erstmals in den Nationalrat ein.
Wir bringen hier die damaligen ersten Reaktionen auf das Abstimmungsergebnis
aus akin 38/5.Jg. vom 7.November 1978.

*

BITTERER LORBEER

Das Ergebnis ist trotz seiner Knappheit eine Sensation, mit der kaum jemand
ernsthaft gerechnet hat -- "unverbesserliche Optimisten" ausgenommen. Es
grenzt an ein Wunder, das es aber bekanntlich nicht gibt. Der Sieg der
AKW-Gegner hat seine guten und seine schlechten Gründe. Wir müssen diese wie
jene ins Auge fassen, wollen wir nicht mit politischer Blindheit geschlagen
der Zukunft entgegenblicken.

Zuerst zu den guten Gründen: in der kurzen Zeitspanne seit Bekanntwerden des
Kreisky-Entschlusses, die Frage der Inbetriebnahme des AKWs in Zwentendorf
durch eine Volksabstimmung entscheiden zu lassen, hat sich die anfangs eher
schmale Basis der AKW-Gegner zu einer wirklichen Volksbewegung entfaltet,
die sich aus allen Schichten, Alters- und Interessengruppen der Bevölkerung
rekrutierte. Verglichen mit den Mitteln der Elektrizitätswirtschaft und der
diversen Pro-Zwentendorf-Komitees waren die Ressourcen dieser Anti-AKW-Front
minimal. Höchst bewundernswerter persönlicher Einsatz von vielen Tausenden
Aktivisten sollte das Manko dennoch wettmachen.

Die Agitation setzte fast beim Nullpunkt des Informations- und
Wissensstandes der Mehrzahl der Bevölkerung ein, stieß aber von Anfang an
auf politisch reges Interesse. Einige zentrale, gut ausgewählte und
eindringliche formulierte Gegen-Argumente erwiesen sich wirksamer als die
mit großem Aufwand betriebene langatmige, pseudowissenschaftliche
Waschmittelreklame-Kampagne der Befürworter.

Trotzdem -- und hier soll wahrlich niemandes Engagement und Verdienst
verniedlicht werden --, trotzdem hätte alle Anstrengung nicht zum knappen
Nein gereicht, wenn nicht aus der Sachdiskussion eine partei-und
gesellschaftspolitische Auseinandersetzung gemacht worden wäre.

Hier kommen wir zum Haupt- und "schlechten" Grund für das positive Ergebnis
vom 5.November. Denn das JA oder NEIN zu Zwentendorf wurde von ÖVP/FPÖ auf
der einen, von ÖGB/SPÖ auf der anderen Seite in vorgezogene
Nationalratswahlen "umfunktionier". Die Schuld liegt keineswegs bei der
blanken Demagogie der OVP, auch Benya hat alles dazu Nötige getan, nicht zu
reden von einem Kreisky, der in der letzten Phase der Kampagne sich genauso
gab, wie ihn seine magischen 5 bis 6 Prozent liberaler Wähler gewiß nicht
haben wollen. Daß er sein eigenes Gewicht als Bundeskanzler zum Schluß auch
noch in die Waagschale pro Zwentendorf warf, das war wohl der unglücklichste
Schachzug seiner politischen Karriere. Er hat damit sicherlich jene
ÖVP-JA-Stimmen für Zwentendorf verloren; die sonst die paar Zehntel Prozent
zugunsten Zwentendorf gebracht hätten.

Dieser Sieg der ökologischen und in einem gewißen Sinn auch ökonomischen
Vernunft wurde so zwangsläufig zu einer politischen Niederlage der
österreichischen Arbeiterbewegung, ÖVP und FPÖ -- obwohl hinter ihnen die
Paten von der Wirtschaft momentan toben mögen -- jubilieren und wittern
Morgenluft. Der ÖVP-FPÖ-Bürgerblock ist kein Gespenst mehr, er wurde am
5.Nov. zu einer bedrohlichen realen Möglichkeit. Wer also unter den
AKW-Gegnern sich als links verstand; -- wenn auch kritisch, doch mit allen
über Zwentendorf hinausgehenden gesellschaftspolitischen Konsequenzen der
Arbeiterbewegung verbunden ist --, der muß seit dem 5.November dieser
Entwicklung mit allem Ernst Rechnung tragen. Unsere zentrale Parole von
heute an müßte lauten: Kampf dem ÖVP/FPÖ-Bürgerblock! Das NEIN zu
Zwentendorf ist kein JA zur einer ÖVP-FPÖ-Regierung gewesen!

Das fiele dann umso leichter und hätte allen Anspruch auf Glaubwürdigkeit;
wenn diese Einsicht und die daraus resultierenden Konsequenzen einen
wichtigen Punkt mit einschließen würden: die kritisch-selbstkritische
Einschätzung der Anti--AKW-Bewegung aus linker, aus sozialistischer Sicht,
zumal das gesteckte Ziel erreicht ist und mit einer solchen Kritik kein
Mißbrauch getrieben werden kann.

Um jedem Mißverständnis vorzubeugen: mich bewegt hier nicht die Sorge um die
SPÖ(-Regierung) direkt -- sondern jene Interessen und Erwartungen der
österreichischen Arbeiterschaft, die derzeit an sie geknüpft werden.

*Z.P. *
[Anm akin 2018: Z.P. dürfte Zsolt Patka gewesen sein]

*

Wer hat hier gewonnen? Wer hat sich da verrechnet?

Es dürfte tätsächlich die Anti-AKW-Bewegung' gewonnen haben, der es vor
allem in Wien gelungen ist, der Demagogie Benyas und dem Erspressungsversuch
Kreiskys zu begegnen.

Trotzdem muß uns eines klar sein: Die nächste Volksabstimmung -- oder den
nächsten entscheidenden'Kampf -- werden wir ohne -- oder genauer GEGEN --
die ÖVP führen müssen, die sich gewaltig verrechnet hat. Die Stimmen, die
sie von der SPÖ geholt hat (und die sie sich bei der Nationalratswahl erst
holen wird müssen), hat ihr -- zumindest auf ein Jahr -- die Inbetriebnahme
gekostet. Und wer sich die Verfilzung der ÖVP in der Energiewirtschaft
(siehe Landeselektrizitätsgesellschaften) anschaut, dem ist klar, daß das
,NEIN' auch ein gewaltiger Schlag für die ÖVP ist.

Für uns müßte die Volksabstimmung folgende Konsequenzen haben:

Die Anti-AKW-Bewegung muß weiterlaufen, wir müssen mehr als bis jetzt --
schließlich haben wir die Schützenhilfe der Rechten (natürlich "kritisch
reflektierend" aber doch) angenommen -- die politischen Hintergründe der
Atomkraft aufzeigen. (Daß uns das bis jetzt nicht ausreichend gelungen ist,
zeigt sich, daran, daß es doch noch Genossen in der FÖJ-BfS gibt, die heute
noch mit PHYSIKALISCH-TECHNISCHEN Gründen für die Atomkraft plädieren,
während die Genossen, die aus politischen Gründen anfangs der
Anti-AKW-Bewegung skeptisch gegenübergestanden sind, sich überwiegend eben
aus politischen Gründen zu einem Nein entschlossen haben.

Entscheidend für den weiteren Kampf dürfte es sein, wie sehr es uns
'gelingen' wird, -- das Meinungsmonopol der ÖGB-Führung zu brechen, und das
sollte bedeuten, daß wir die kommenden Arbeiterkammerwahl etwas
'mitgestalten' sollten.

Inwieweit, über die BfS hinausgehende Gruppen der Anti-AKW-Bewegung die
"Gewerkschaftliche Einheit" unterstützt, wird sicher auch von der Haltung
der GE zu den Atomkraftwerken abhängen.

*Kurt Winterstein*



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