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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 11. November 2015; 08:31
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Linke/Debatten:

> Eine Antwort auf Herbert Faltynek

Zu: "Ken Jebsen, die Linken, die Grünen und der ganze
Rest" im heutigen akin-pd



Es ist tragisch, daß politische Inhalte derart häufig an Personen
festgemacht werden; und danach diese Inhalte fast völlig aus der Debatte
verschwinden und überhaupt beinahe nur mehr über die Person geredet wird.
Aber so ist das halt in unserer televisionären Gesellschaft, also muß man
sich mit der Person Ken Jebsens und der Debatte um ihn auseinandersetzen.

Herbert Faltynek ist offensichtlich entgangen, daß mein Artikel -- entgegen
meinem sonstigen Stil -- bemüht lege artis rein faktenjournalistisch
geschrieben ist. Ich wollte zu den Geschehnissen ganz bewußt keine Meinung
äußern, weil das dann hauptsächlich Kommentar einer sehr vertrackten und
bisweilen hysterischen Debatte geworden wäre. Der Leser sollte in diesem
Fall einfach nur erfahren, was passiert ist. Meine Hoffnung war dabei, daß
vielleicht Reaktionen kommen, die zur Diskussion beitragen. (Die Hoffnung
war ja offensichtlich nicht unberechtigt.)

Wobei ich anmerken muß, daß ich es sonderbar finde, daß es mittlerweile
schon für Empörung sorgen kann, wenn man keine deklarierte Meinung zu einem
Thema in einem Artikel zum Ausdruck bringt. Diese Bekenntniszwang in der
Linken wäre alleine schon mal eine Glosse wert.

Ich habe auch schon ein Feedback aus der KPÖ bekommen, warum ich denn nicht
klar erwähnt hätte, daß diese die Jebsen-Veranstaltung in der "Gussi"
unterbunden hätte. Und da habe ich darauf geantwortet, daß ich erstens diese
Info nicht definitiv hatte und zweitens die Ausladung gar nicht mal für eine
so lobenswerte Aktion der KPÖ halte. Ich glaube nämlich nicht, daß dieser
Bannstrahl gegen Jebsen politisch so leicht rechtfertigbar ist. Ich habe
mich recht ausführlich mit Jebsen beschäftigt und mir auch via Youtube
Beiträge von ihm reingezogen. Und ja, ich habe auch meine Schwierigkeiten
mit Jutta Ditfurth, Henryk Broder und Co. Bei Ditfurth finde ich deren
Verhalten besonders schade, schließlich hat sie ja durchaus ihre Meriten.

Jebsen ist wohl kein Linker, sondern eher ein bürgerlicher "Wutbürger". Und
ihm fehlt die Sensibilität, zu erkennen, daß Hitlervergleiche oder bestimmte
Aussagen zum Staat Israel nach dem Trauma der Shoah unzulässig sind -- weil
sie als antisemitisch oder Naziverharmlosungen gelesen werden können und
auch von manchen so gelesen werden. Das belegen Aussagen von dezidiert
rechtsextremen Jebsen-Fans. Allerdings ist Jebsen auch meilenweit davon
entfernt ein Nazi zu sein. Das wird klar, wenn man sich seine Aussagen
beispielsweise zu PEGIDA anhört, die darin gipfeln, daß er bei diversen
Postings aus dieser rechten Szene konstatiert: "Das muß Satire sein" -- weil
er es nicht fassen kann, wie blöd diese Leute sind. Das wird auch klar, wenn
Jebsen der deutschen Politik erklärt, was ein Flüchtling ist und daß diese
Menschen nicht nach Deutschland kommen, weil sie mal woanders leben möchten,
sondern weil sie aus Angst um ihr Leben davonlaufen. Und wenn er dann noch
meint, daß diese Menschen nicht zuletzt vor Soldaten mit deutschen Waffen
flüchten müssen, dann kann man das vielleicht als polemisch oder verkürzt
ansehen, aber es ist weder völlig falsch noch in irgendeiner Weise auch nur
rechts.

Es geht mir hier gar nicht mal so sehr um Jebsen. Das ist ein Journalist und
Agitator, der viel in deutschen Debatten präsent ist, aber weder zur
Theoriebildung noch zur Frage, wie linker Widerstand gegen den neoliberalen
Irrsinn zu organisieren wäre, irgendwie von großartiger Bedeutung ist --
hierzulande noch weniger als in Deutschland. Ein Promi halt.

Aber daß eine linke Gruppe in Wien mit Jebsen diskutieren wollte und das --
wenn ich die Aussendung von AIK und OKAZ richtig verstehe -- durchaus mit
einem sehr skeptischen Ansatz, heißt für mich, daß Diskussionsbedarf von
Linken gesehen worden ist. Und da finde ich es tatsächlich schade, wenn
solche Gesprächsmöglichkeiten unterbunden werden. Nur weil irgendjemand
Jebsen als Nazi deklariert hat und dieser keine
Unbedenklichkeitsbescheinigung von Ditfurth oder Broder vorweisen kann,
heißt das ja noch lange nicht, daß ein solches Verdikt allgemein zu
akzeptieren ist. Aus lauter Panik, selbst als Naziversteher gebrandmarkt zu
werden, unterbindet man gleich alles, was auch nur irgendwie irgendwer als
Rechtsblinken verstehen könnte.


Was die Grünen angeht: Also die deutschen Grünen sind mir meistens herzlich
egal - deren Bedeutung ist auch in Deutschland nicht mehr sonderlich groß,
die haben sich politisch selbst überlebt. Für österreichische Debatten sind
sie damit großteils irrelevant geworden -- höchstens noch, was ihre Dominanz
innerhalb der EU-Grünen angeht, sind sie überhaupt erwähnenswert. Die
österreichischen Grünen hingegen sind in hiesigen linke Debatten immer noch
zumindest satisfaktionsfähig -- daher kommen sie auch in der akin vor. Aber
vielleicht ist auch Lesern wie Herbert schon aufgefallen, daß die
Beschäftigung mit ihnen von meiner Seite nicht selten eher vernichtend ist.
Immerhin sind sie mir aber Erwähnung und Kritik wert. Viele in dieser Partei
sind alte Linke, die ich noch nicht aufgeben möchte, daher beschäftige ich
mich mit den Grünen. Und: Auch viele in unserer Leserschaft sind bei den
Grünen oder stehen ihnen zumindest nahe, daher ist diese Kritik vielleicht
verlorene Liebensmüh', aber zumindest richtig adressiert.

Und die EU? Nunja, in der akin steht nicht in jeder Ausgabe, daß diese das
Böse an sich sei, stimmt. Aber daß EU-Kritik keinen Platz habe, lasse ich
uns wirklich nicht vorwerfen. Die Kritik an Orban ist ja auch keine, die
sich auf ihn alleine bezieht, sondern es geht mir in diesem Artikel darum,
daß er ein Politmodell für alle bürgerlichen Demokratien darstellt, das
immer mehr zu greifen droht. Meine Position zur EU hingegen ist in den
letzten 20 Jahren die Gleiche geblieben. Anläßlich der Volksabstimmung war
in der akin (aus meiner Feder resp. Tastatur) zu lesen: "Nein zur EU!
Österreich ist schlimm genug." Dabei ist es bis heute geblieben, da ich
weder diesen Staatenverbund noch die Nationalstaaten wirklich mag und keine
Lust habe, mich zwischen Scylla oder Charybdis zu entscheiden.

Also, lieber Herbert, wenn Du die akin liest, dann lese sie bitte auch so,
daß Du es zuläßt, hie und da auch Kritik finden zu dürfen, die Dir taugt und
Deinen Überzeugungen entspricht. Die ist da sehr wohl drinnen. Allerdings
ist das Blatt eben keine monolithisch-ideologische Kampfpublikation und
daher sind Widersprüche nicht nur vorprogrammiert, sondern auch erwünscht.

Und weil man das nicht oft genug wiederholen kann: Wir bekommen gerne
Leserbriefe.

*Bernhard Redl*

*

> Anmerkung:

Die zweite Veranstaltung in Wien mit Jebsen wurde übrigens von Stefan
Bartunek und seiner "Gruppe 42" organisiert. Bartuneks hymnische
Anmoderation seines Stargasts nebst prinzipiellen Überlegungen zum Thema
Kunst und Kommunikation ist nachzulesen unter:
http://gruppe42.com/2015/11/05/kunst-leidenschaft-und-reaktionaere-oder-wie-ich-ken-jebsen-anmoderiere/

Ein Video von der Veranstaltung gibt es unter dem Titel: "Gruppe42 zeigt:
Ken Jebsen über Medien und Manipulation - Der Sturz des Meinungsmonopols
(exklusiv)" auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=ogTkaxWWdnA
(1h, 28 Minuten, leider mieser Ton)



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