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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 8. Jänner 2014; 09:34
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International

> 20 Jahre Rebellion in Chiapas (I)

Am 1.Jänner 1994 tauchten sie aus dem lacandonischen Dschungel auf und
forderten die mexikanische Zentralgewalt heraus: Die Zürcher
"Wochenzeitung" und die deutsche "Graswurzelrevolution" widmeten zum
Jahreswechsel den Zapatisten eine breite Berichterstattung, die wir
hier gekürzt wiedergeben. (Teil II, Teil III)
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> "Alles für Alle!"

20 Jahre Rebellion für "Land und Freiheit"

Wieso wurde aus einer avantgardistischen Guerillatruppe eine zivile
Massenbewegung mit starken libertären Tendenzen? An welchem Punkt
steht die zapatistische Bewegung heute?

Die Vorgeschichte

Das Massaker der mexikanischen Regierung an über 400 linksgerichteten
Studierenden vom 2. Oktober 1968 markierte eine Zäsur in der
politischen Geschichte Mexikos.

Viele emanzipatorisch orientierte Oppositionelle sahen danach keine
Möglichkeit mehr, auf legalem Weg Einfluss auf die autoritäre Politik
des Landes zu nehmen. Es gründeten sich unterschiedliche bewaffnete
revolutionäre Organisationen, die im Untergrund operierten.
Revolutionäre Guerilla-Gruppen hat es auch nach der Revolution von
1910 immer gegeben, doch nach dem Massenmord kurz vor den Olympischen
Spielen erfuhr die Überzeugung, dass bewaffneter Widerstand notwendig
sei, große Unterstützung.

Die EZLN (span.: Ejército Zapatista de Liberación Nacional) ging aus
den Kräften der Nationalen Befreiung FLN (span.: Fuerzas de Liberación
Nacional) hervor, die am 6. August 1969 in Monterrey gegründet worden
waren. Im Gegensatz zu anderen linken bewaffneten Organisationen
Mexikos lehnten die FLN Raub und Entführungen zur Finanzierung ihrer
Organisation kategorisch ab. Es folgte eine wechselhafte Zeit der
Rekrutierung und militanter Aktivitäten im Untergrund in den
Bundesstaaten Chiapas, México, Nuevo León, Puebla, Tabasco und
Veracruz mit vielen Rückschlägen.

Am 17. November 1983 wurde im Lakandonischen Regenwald von Chiapas die
EZLN von einer sechsköpfigen Gruppe gegründet. Anfangs handelte es
sich um eine dogmatische Kleingruppe, die sich an anderen
Guerilla-Organisationen Lateinamerikas orientierte, zum Teil Kontakte
zur Studierendenbewegung von 1968 gehabt hatte und mit einem
avantgardistisch-kommunistischen Konzept die indigene Bevölkerung
'befreien' wollte.

Es folgte eine mehrjährige Etappe, in der die Kerngruppe der EZLN
relativ isoliert blieb, da dieser paternalistische Ansatz, der zudem
von mangelnder Kenntnis der Region begleitet war, auf großes
Misstrauen bei der ortsansässigen indigenen Bevölkerung stieß. Nach
einiger Zeit kam es jedoch zu einer offeneren Annäherung beider
Seiten, die - neben anderen Faktoren wie dem Kampf der Frauen
innerhalb der Bewegung und dem Einfluss der Befreiungstheologie - die
undogmatischen Charakteristika der heutigen zapatistischen Bewegung
ermöglichte.

Die noch immer kleine bewaffnete Organisation trat daraufhin in einen
wechselseitigen Lernprozess ein. Subcomandante Marcos, einer der
wenigen Mestizen der Gruppe, beschreibt diese Phase so: "Zusätzlich zu
ihrer Kondition, die sie für ein Leben in den Bergen befähigte,
brachten sie uns ihre Weltsicht sowie ihre Sicht des Kampfes und ihre
Kultur bei. Das heißt, in dieser Aufbauphase bewegten wir uns in einer
Schule, wo es nicht klar war, wer Lehrer und wer Schüler war."

Insgesamt zehn Jahre lang bereitete sich die politisch-militärische
Organisation mit Unterstützung der zivilen Basis unter großen
Anstrengungen und Gefahren im Untergrund auf Tag X vor.

Der 1. Januar 1994

Mit ihrem bewaffneten Aufstand vom 1. Januar 1994, der als ein
wichtiger Ausgangspunkt der neuen antikapitalistischen Bewegungen
gilt, katapultierte sich die EZLN auf die Titelseiten der
mexikanischen und globalen Presse.

Der Zeitpunkt der Revolte wurde strategisch gewählt, denn just an
diesem Tag trat das neoliberale Freihandelsabkommen NAFTA zwischen
Kanada, Mexiko und den USA in Kraft.

In einer Zeit, in der von den westlichen Eliten ein endgültiger Sieg
des Kapitalismus gefeiert wurde, manifestierten die vermeintlich
Schwächsten der Schwachen im Südosten Mexikos ihr "¡Ya Basta!" - "Es
reicht!" und verdeutlichten so, dass das damals vielzitierte "Ende der
Geschichte" keineswegs erreicht ist.

Es folgten große Wellen der Solidarität mit der EZLN im In- und
Ausland. Angehörige der solidarischen Zivilgesellschaft - im
Verständnis der Zapatistas die unabhängig organisierten Menschen, die
nicht von den Privilegien der Herrschenden profitieren - erklärten
sich einverstanden mit den zentralen Forderungen der Zapatistas nach
Arbeit, Land, Unterkunft, Nahrung, Gesundheit, Bildung,
Unabhängigkeit, Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit und Frieden. Sie
schlugen der EZLN jedoch einen nicht-bewaffneten Weg zu ihrer
Durchsetzung vor.

Die EZLN äußerte später, sie habe in diesem Moment auf die
Zivilgesellschaft gehört und kämpft seit dem 12.01.1994 auf friedliche
Weise für ihre Ziele

Durch die enormen Sympathiebekundungen für die Zapatistas sah sich die
mexikanische Regierung nach zwölf Tagen Bürgerkrieg gezwungen, einen
Waffenstillstand zu proklamieren. Nichtsdestotrotz sind bis heute
Zehntausende Soldaten in Chiapas stationiert. Ein wichtiger Grund
dafür ist die Kontrolle des Einflussgebiets der EZLN.

Die zapatistische Rebellion hat nicht nur viele indigene und
bäuerliche Bewegungen für ihre eigenen Kämpfe ermutigt und inspiriert,
sondern auch viele Gruppierungen und Organisationen von anderen
marginalisierten Bevölkerungsgruppen wie benachteiligte Frauen,
Studierende, Bewohner_innen von Armenvierteln, Sex-Arbeiter_innen,
Nicht-Heterosexuelle, subkulturelle Linke und viele mehr.

"Land und Freiheit!"

Im Schwung des Aufstands besetzten die Zapatistas in Chiapas weit über
100.000 Hektar Land und verteilten es an Tausende Familien. Auch viele
Nicht-Zapatistas nutzten die damalige Dynamik zur Umverteilung dieses
Produktionsmittels. Die EZLN bezeichnet diesen Prozess als
Wiederaneignung (span.: recuperación), da ihrer indigenen Basis die
Böden über Jahrhunderte von weißen oder mestizischen Oligarchen
geraubt wurden.

Im Verständnis der indigenen Bevölkerung sind die Ländereien, häufig
als "Mutter Erde" (span.: madre tierra) bezeichnet, von integraler
Bedeutung, wie Comandanta Kelly betont: "Das Land und die Territorien
sind mehr als nur Quellen von Arbeit und Nahrung, sie sind auch
Kultur, Gemeinde, Geschichte, Vorfahren, Träume, Zukunft, Leben und
Mutter."

Nach jahrelangen, letztendlich gescheiterten Versuchen, mit der
Regierung über indigene Rechte, Demokratisierung, Abkehr von der
neoliberalen Wirtschaftspolitik und die Verbesserung der Situation der
Frauen zu verhandeln, wählte die EZLN den Weg der "Autonomie ohne
Erlaubnis".

Erfolge in Chiapas

Am 8. August 2003 wurden in den fünf autonomen Zonen der Zapatistas
zivile Verwaltungszentren gegründet (span.: caracoles, dt.:
Schneckenhäuser). Diese werden von fünf "Räten der guten Regierung"
(span.: juntas de buen gobierno) koordiniert, deren Aufgabe ist, die
Entscheidungen der Basis umzusetzen - getreu dem zapatistischen Motto
des gehorchenden Befehlens (span.: mandar obedeciendo).

Funktionsträger_innen, die im Sinne ihrer Basis nicht
zufriedenstellend arbeiten, können - wie auch bisher auf Gemeinde- und
Landkreisebene - jederzeit abgesetzt werden. Die zivile Struktur der
zapatistischen Bewegung ist so aufgebaut, dass sich mehrere Gemeinden
zu autonomen Landkreisen zusammenschließen, mehrere Landkreise bilden
eine von fünf Zonen, in denen jeweils ein caracol angesiedelt ist, in
dem die jeweils drei Teams der juntas rotativ arbeiten.

Die zentralen Aufgaben der juntas sind Vermittlung bei in- und
externen Konflikten, Überwachung überregionaler Projekte, Verhinderung
von Korruption, Gewährleistung einer ausgewogeneren Entwicklung
innerhalb der rebellischen Gebiete und Kontaktstelle für Solidaritäts-
und Menschenrechtsorganisationen, Presse sowie interessierte Personen
allgemein.

Kritik

Selbstverständlich verlaufen die Initiativen der EZLN nicht
idealtypisch und widerspruchsfrei, was auch von ihnen selbst immer
wieder eingeräumt wird.

Ein Beispiel ist hier die Situation der Frauen, die sich durch die
Revolutionären Frauengesetze zwar verbessert hat, da die
Zwangsheiraten, die Gewalt und die Exklusion der Frauen deutlich
zurückgegangen sind und auch immer mehr Frauen wichtige Aufgaben
außerhalb des Haushalts übernehmen.

Nichtsdestotrotz betonen die Zapatistinnen, dass noch viel fehle, bis
von echter Gleichberechtigung in allen Gemeinden der EZLN gesprochen
werden könne. Dafür machen sie nicht nur ihre männlichen compañeros,
sondern auch einen Teil der Frauen verantwortlich, die das Patriarchat
reproduzieren.

Ein weiterer Kritikpunkt, der ebenfalls von der EZLN eingeräumt wird,
ist, dass sich einige Autoritäten der Organisationen teilweise noch in
Bereiche einmischen, die eigentlich klar der zivilen Struktur
obliegen.

Die etablierte parlamentarische Linke und einige dogmatische
kommunistische Gruppen kritisieren die EZLN für ihren strikt
außerparlamentarischen Kurs: sie sei durch die Nicht-Unterstützung des
sozialdemokratischen Präsidentschaftskandidaten Andrés Manuel López
Obrador 2006 für die Wahl des rechtskonservativ-neoliberalen
Politikers Felipe Calderón von der Partei der Nationalen Aktion (PAN)
und 2012 für die Wiederwahl der Institutionellen Revolutionären Partei
(PRI) verantwortlich.

Transnationale Vernetzung

Die globale Vernetzung war für die EZLN von Anfang an wichtig. Zudem
'labte' sich die desorientierte globale Linke regelrecht an der
Radikalität und den konstruktiven Ideen dieser 'frechen' Rebell_innen,
die entgegen altbackener Organisationen nicht selten poetisch die
Sehnsucht nach "Einer Welt, in der viele Welten Platz haben",
formulierten. Vielfach lud die EZLN zu globalen Treffen nach Chiapas
ein und animierte zur Nachahmung an anderen Orten der Welt - was
allerdings nicht häufig gelang.

Die Zapatistas und viele emanzipatorische Aktivst_innen weltweit
wollen sich auf Augenhöhe vernetzen, um gegen die sozialen und
ökologischen Verwerfungen auf unserem Planeten vorzugehen. In temporal
unterschiedlich starker Rezeption hatten Wort und vor allem Praxis der
EZLN teils großen Einfluss.

Im Sommer 2013 öffnete die EZLN Hunderte ihrer Gemeinden für eine neue
Initiative: Die "Kleine zapatistische Schule". Über 1.500 ausgesuchte
Gäste aus dem In- und Ausland waren eingeladen, den rebellischen
Alltag im Aufstandsgebiet kennenzulernen.

Das paternalistische Konzept von 'Entwicklungshilfe' wurde radikal
abgelehnt: Hier lehrten nicht vermeintlich schlaue Köpfe aus dem
globalen Norden oder den Hauptstädten den Menschen in ärmeren
Regionen, wie sie ihre Situation verbessern könnten. Hier
unterrichteten aktive Menschen aus den Reihen der EZLN mit viel
Erfahrung, wie sie ihre Autonomie in den Bereichen Bildung,
Gesundheit, Justiz, Produktion und Medien verwirklichen. Die "kleine
Schule" soll ob der großen Nachfrage mehrere Male wiederholt werden.
(Luz Kerkeling, Graswurzelrevolution Jänner 2014/gek.)

Quelle: http://www.graswurzel.net/385/chiapas.php


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