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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 18. September 2012; 23:07
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  Gruene/Wien/Interview:
  
  > "Es ist oft wie eine Gummiwand"
  
  *Birgit Hebein* ist gruene Gemeinderaetin. Aber auch eine alte
  Freundin des Interviewers *Bernhard Redl*. Und im uebrigen auch noch
  Schriftfuehrerin des Herausgebervereins der akin. Und daher wurde das
  hier wiedergegebene Interview trotz aller politischen Widersprueche zu
  einem recht amikalen Streitgespaech. Es geht einerseits um Sozial- und
  Verkehrspolitik sowie Prostitution und andererseits um die
  Schwierigkeiten der Wiener Gruenen mit dem Koalitionspartner, dem
  knappen Budget und der eigenen Bundespartei.
  
  akin: Birgit, du bist jetzt seit fast 2 Jahren Abgeordnete zum Wiener
  Landtag und bist damals auch gleich Mitglied einer Regierungsfraktion
  geworden. Wie fuehlst du dich jetzt in dieser Rolle?
  
  Birgit: Was ist das fuer eine Frage? Das ist doch voellig
  bedeutungslos. Das Entscheidende ist, ich bin angetreten, weil ich
  einen Beitrag leisten will, dass es sich verbessert fuer die Menschen
  in der Stadt.
  
  akin: Das klingt jetzt sehr nach Politikerantwort.
  
  Birgit: Na, was hast du dir erwartet? Aber ich meine es wirklich so.
  Was soll ich sagen auf die Frage: Wie fuehlst du dich? Ich kann dir
  nur sagen, kurz bevor ich hergekommen bin, da war es recht hektisch,
  weil morgen ist Regierungsklausur, noch schnell Papiere schreiben,
  noch schnell herumtelefonieren -- und mitten drin krieg ich dann einen
  Anruf von einem Bekannten, der mich fragt: 'Du, Ich will eine
  Motorsaege kaufen, welche empfiehlst mir denn?' Das war dann
  mittendrinnen... (lacht)
  
  akin: Okay, reden wir Tacheles. Du sagst, du willst etwas verbessern
  in dieser Stadt. Was willst du verbessern? Und wo siehst du etwas, von
  dem du glaubst, du hast etwas verbessert.
  
  Birgit: Ich bin Sozialsprecherin, ich hab 13 verschiedene
  Themenbereiche, unter anderem auch Kontrolle, Transparenz und
  Korruption, behinderte Menschen, Drogenkranke, Obdachlose, alles was
  mit Gewalt zu tun hat, soziales Wohnen, Delogierungen,
  Schulsozialarbeit und so weiter. So ziemlich umfangreiche Themen und
  es gibt halt einfach auch Schwerpunktbereiche, an denen ich gerade
  arbeite: Der naechste Winter steht vor der Tuer, die Armut steigt, die
  Mietpreise steigen, die Energiekosten steigen und da ist die Frage
  ressortuebergreifend zusammenzuarbeiten und zu schauen, was kann man
  da nachhaltig fuer Konzepte umsetzen; nachhaltig im Sinne: Wie
  erreicht man die Leute, die es betrifft? Schafft man es mit
  Energieberatung, schafft man es mit Thermenaustausch, schafft man es
  mit Sanierungen der Fenster? Damit die sich einfach das Heizen leisten
  koennen. Das ist eines der Projekte und ich finde das schon eine
  Herausforderung. Mach die Augen auf und du siehst, dass die Armut
  massiv zunimmt.
  
  akin: Deswegen ist der Heizkostenzuschuss gefallen? (1)
  
  Birgit: Nein, der Heizkostenzuschuss heisst, 100 Euro kriegen 54.000
  Haushalte in Wien und die Frage ist, wie kann man das verbessern, wie
  kann man das nachhaltiger machen? Und da dann reden mit ExpertInnen
  der Armutskonferenz ueber die Energieberater bis zu Leuten, die da
  schon Projekte gemacht haben in Wien und anderen Staedten, um dann zu
  schauen, okay, wo koennen wir da sinnvoll ansetzen.
  
  akin: Du hast dich auch sehr engagiert beim Thema Prostitution. Was
  dabei rausgekommen ist, war meines Erachtens ein bisserl ein
  Selbstfaller. Weil jetzt werden die Prostituierten irgendwohin
  abgedraengt. Das war aber wohl nicht das Ziel?
  
  Birgit: Wir haben zwei Ziele verhandelt: Das eine ist, dass die Frauen
  sichere Arbeitsbereiche brauchen, indoor und outdoor, und das andere
  ist, dass wir sie rausnehmen aus dem dichtverbauten Wohngebiet. Wir
  haben da eine Kompromiss erziehlt, aber ich muss sagen, ja, die
  Umsetzung ist uns noch nicht gelungen. Die Frauen werden gerade in die
  Wohnungsprostitution verdraengt. Es gibt massive Wickel am Auhof und
  auch im Prater. Viele Frauen, die wir frueher ueber Streetwork und
  Polizei erreicht haben, sind nicht mehr erreichbar. Ja, es happert an
  der Umsetzung. Da blockieren die Bezirke, dass wir genug
  Erlaubnisbereiche haben und die Diskussion rennt noch immer
  unaufrichtig, stimmt.
  
  akin: Aber du warst ja nicht ganz unbeteiligt an der Gesetzesaenderung
  und hast genau gewusst, dass diese Vertreibung dann am Verordnungsweg
  passiert...
  
  Birgit: Dieses Verherrlichen der Situation von vorher ist sowas von
  unehrlich. Red einmal mit den betroffenen Frauen, was es geheissen
  hat, hinten im 15.Bezirk kochendes Wasser druebergeschuettet bekommen
  haben! Die Situation ist eskaliert. Man hat das politisch in den
  letzten Jahren immer enger gemacht, so dass es eskaliert ist. Und es
  hat aber auch Anrainer gegeben, die schwer okay waren, die gesagt
  haben, bitte macht etwas, schafft genuegend sichere Bereiche im
  oeffentlichen Raum, aber ich muss schlafen koennen und das hallt
  dermassen in den Seitengassen. Wenn, dann muss man genau hinschauen:
  Dann reden wir darueber, dass wir veraendert haben, dass die Frauen
  bei der Anmeldung bei der Polizei Erstberatungen aus dem NGO-Bereich
  bekommen -- so dass man ueberhaupt einen Zugang zu ihnen findet, wo
  man dann schauen kann, was brauchen die, ist Menschenhandel dahinter,
  ist Zuhaelterei dahinter, wie geht es ihnen ueberhaupt, was brauchens?
  
  Wir haben zweieinhalbtausend legale Sexarbeiterinnen und doppelt
  soviele illegalisierte. Kein Mensch fragt: Wo sind die? Was passiert
  in den Lokalen? Was passiert bei den Veraenderungen, dass es jetzt
  Zuverlaessigkeitsueberpruefungen gibt fuer die BordellbetreiberInnen,
  wo die Leute frueher oft ausgeliefert waren, mitsaufen haben muessen
  und das nicht mehr ertragen haben.
  
  Ich brauche nichts verherrlichen und beschoenigen. Und dann reden wir
  einmal darueber, was dahinter steckt und das ist die Armut und die
  nimmt immer mehr zu. Und ja, es kommen immer mehr Frauen aus Bulgarien
  und Rumaenien, weil dort die Armut so verheerend ist.
  
  Langer Rede kurzer Sinn: Rot-gruen hat einen Kompromiss erzielt und
  eines der Ziele war, genuegend sichere Bereiche im oeffentlichen Raum
  zu schaffen. Und ja, das ist noch nicht umgesetzt.
  
  akin: Kommen wir zurueck ins Generelle: Wo ist die gruene Handschrift
  in dieser Koalition? Mir kommt vor, die SPOe macht dort weiter, wo sie
  aufgehoert hat...?
  
  Birgit: Jetzt aufzuzaehlen, was alles passiert ist in den letzten zwei
  Jahren, ist wahrscheinlich Quaqua. Aber lass es mich an zwei
  Beispielen zeigen. Das eine ist die Verkehrspolitik in der Stadt. Die
  Diskussionen, die stattfinden seit letztem Jahr, das Aufwerten der
  RadlerInnen, die Emotionalisierung bei der Parkraumbewirtschaftung, wo
  wir Gruene uns hinstellen und sagen, so gehts nimmer weiter, die Autos
  nehmen einfach viel zu viel Raum ein, wir brauchen eine
  Parkraumbewirtschaftung. Das sind fuer mich schon Schritte, wo man
  sagt: Ja, das geht in die richtige Richtung.
  
  Wenn du hergehst und dir anschaust, was im letzten Winter passiert
  ist: Das Thema war vor zwei Jahren, dass Obdachlose, die die
  Mindestsicherung beziehen, den Wohnungsbeitrag von 190 Euro nicht mehr
  erhalten sollen oder sie sollen zumindest 4 Euro Naechtigungsgebuehr
  zahlen (2), da haben wir zumindest vereinbart: Nein, der
  Wohnungsbeitrag muss bleiben und wir reduzieren die Gebuehr auf zwei
  Euro. Und ich wuerd mir wuenschen, dass uns die Leute nicht dafuer
  kritisieren, dass es jetzt zwei Euro kostet und nicht null. Das haette
  ich auch lieber.
  
  Letzten Winter war es arschkalt und es ist niemand erfroren. Wir haben
  tausend obdachlose Menschen untergebracht und niemand hat gefragt,
  woher kommt der- oder diejenige. Und da haben extrem viele Leute
  mitgeholfen, dass das ueberhaupt moeglich war, Schulen und
  Tageszentren aufzumachen und weitere Einrichtungen zu eroeffnen und
  miteinander das Bestmoegliche zu schaffen -- sogar mit der OeBB
  Gespraeche zu fuehren, warum denn die Bahnhoefe geschlossen sind.
  
  Und ja, die Revolution hat halt noch nicht stattgefunden und ja, die
  Strukturen veraendern sich extrem langsam.
  
  akin: Entschuldige, aber mir fallen jetzt konkret die abmontierten
  Baenke am Karlsplatz ein. Das werfe ich sicher nicht den Gruenen vor.
  nur schaut das halt nach einen Beispiel aus, dass ihr genau nichts
  bewegts ausser dass die SPOe wieder die Mehrheit im Rathaus hat.
  
  Birgit: Ja, die Baenke sind abmontiert worden. Ja, es kommen neue hin.
  Und ja, die werden viel unbequemer. Und wie man den Zeitungen
  entnehmen kann, hat man sie auch abmontiert wegen den Drogenkranken.
  Ja, eine total ungute Aktion, ueberhaupt keine Frage. Und von dem
  Beispiel der Wiener Linien kommst du jetzt daher zu sagen, dass wir
  gruene Politik machen fuer die SPOe. Kannst du mir das erklaeren?
  
  akin: Mein Problem ist, dass ich keine grossartige Angebote der SPOe
  an euch sehe, die irgendwie die Mehrheit legitimiert. Das einzige ist,
  dass ihr eine Stadtraetin habt, die fuer alles moegliche zustaendig
  ist, aber nichts entscheiden kann, weil die Brauner auf dem Geld
  sitzt. Es geht euch genauso wie anno dazumal der OeVP in der
  Koalition. Und ihr habt gewusst aus dieser OeVP-Phase, wie die SPOe
  mit kleinen Koalitionspartnern umgeht: Sie scheisst auf sie,
  Hauptsache, sie hat die Mehrheit.
  
  Birgit (seufzt): Das musst du auseinanderdroeseln. Ja, wir sind der
  kleine Partner. Ja wir haben das Verkehrsressort, die Stadtplanung und
  die BuergerInnenbeteiligung, ein riesiges Ressort. Und bei aller
  Kritik, schau einmal genauer hin, was die Mary (Anm. Vassilakou) auf
  die Fuesse stellt! Miss es an den konkreten Dinge, die passieren! Du
  meinst doch nicht ernsthaft, dass unter rot-schwarz das gleiche
  passiert waere wie jetzt. Die ganzen Privatisierungsgeschichten! Du
  weisst genau, in der SPOe ist ein Riesenapparat mit verschiedenen
  Interessen und da wuerden sich einige sicher leichter tun mit der
  OeVP. Haette es eine Kindermindestsicherung gegeben, haetts eine
  Parkraumbewirtschaftung gegeben, haetts einen Radlausbau gegeben?
  
  akin: Moment, das mit dem Radlausbau ist ein Schmonzes. Die Radwege,
  die jetzt gebaut werden, sehen genauso aus, wie das Magistrat schon
  immer Radwege gebaut hat: als Radler-Entsorgungsmittel! Ich weiss
  schon, so schnell geht es nicht. Nach einem Jahr hab ich mir gedacht,
  okay, das waren noch die Planungen von der alten Regierung, aber
  mittlerweile werden neue Radwege immer noch Entsorgungswege!
  
  Birgit: Das ist doch Schwachsinn! Ich bin auch Sommer wie Winter auf
  der Strasse unterwegs. Es sind irrsinnig viele Leute jetzt aufs Radl
  umgestiegen. Ich finde das Klima auf der Strasse jetzt ganz anders.
  RadlfahrerInnen sind endlich Thema in der Stadt -- ebenso wie
  FussgaengerInnen. Es gibt einen heftigen Clinch, wie man die
  Autofahrer zurueckdraengt.
  
  akin: Aber es passiert doch kein Zurueckdraengen von Autofahrern! Was
  man hat, sind die ueblichen Radwege, die gleichzeitig Sportplatz und
  Gehsteig und Kinderspielplatz sind -- das alles auf schmalsten Raum.
  Es ist dasselbe wie vorher: Man baut Radwege, erklaert, man tue etwas
  fuer die Radfahrer, aber in Wirklichkeit tut man etwas fuer die
  Autofahrer.
  
  Birgit (schweigt und schuettelt den Kopf ).
  
  akin: Na schau, mein Problem mit den Gruenen in der Regierung ist,
  dass ich glaube, dass ihr viel mehr zusammengebracht haettet, wenn ihr
  in der Oppposition geblieben waert, einfach deswegen, um zu
  kommunizieren, was falsch laeuft in der Stadt. Es gab eine Menge
  Wiener gruene Blogs, die ich gerne gelesen habe, speziell den von
  Martin Margulies, der wirklich alles aufgemacht hat, was er von den
  Finanzen in die Finger gekkriegt hat. Und diese Blogs sind jetzt tot,
  weil es eine Koalition gibt. Umgekehrt darf die OeVP jetzt die
  Stadtraetin Sima fragen, wie das denn nun passiert ist mit den
  seltsamen Vertraegen der Abfallberater -- von euch ist da nichts
  gekommen. Und das ist das Problem, das ihr in der Opppostion nicht
  mehr vorhanden seid. Mir geht es um die Oeffentlichkeit: Man hoert
  kaum mehr etwas!
  
  Birgit: Da sprichst du einen heiklen Punkt an. Es stimmt, wir
  kommunizieren wenig und ich ueberleg mir taeglich, dass ich eigentlich
  ein riesiges Beduerfnis habe zu kommunizieren und zu sagen,
  bitteschoen, schaut euch das an. Aber es hat niemand was davon, wenn
  ich hergehe und laut herumbruelle. Da nutze ich keinem Menschen was.
  Mein Job ist es, Gespraeche zu fuehren und zu schauen, das sich
  irgendwas veraendert. Wenn ich irgendwem was ausrichte ueber die
  Medien, wem soll das irgendwas bringen?
  
  Vor ein paar Tagen war in der Heinestrasse ein Brand. (3) Keine 
  Medien
  haben berichtet darueber, dass vor der Tuer dann 20 bis 30 Obdachlose
  gestanden sind. Wir sind verstaendigt worden, wir haben dann
  Gespraeche gefuehrt mit dem Buero fuer Sofortmassnahmen und mit der
  Wohnungslosenhilfe. Die einen haben dann gesagt: 'Die waren
  illegalisiert drinnen, also ohne Mietvertraege, wie sollen wir die wo
  unterbringen?', die anderen haben gesagt, 'Die haben Touristenstatus,
  wir sind nicht zustaendig' -- und da kannst du dann nur Gespraeche
  fuehren unter dem Motto: 'Heh, da stehen 20 bis 30 Leute auf der
  Strasse!' Dann Dolmetsch organisieren, die Bettellobby informieren,
  Netzwerken, Schauen, dass Leute vor Ort sind -- und dann kannst du
  weiter recherchieren, wer waren die Spekulanten und wo haben die
  weitere Haeuser?
  
  Und: Wie geht man um mit Obdachlosen aus nicht anspruchsberechtigten
  EU-Laendern? Macht man jetzt mal ein Notfallspaket? Waere es nicht
  besser Streetwork statt Polizei einzusetzen? Waere es nicht besser,
  fuer Obdachlose die eine Hacken haben, sich aber keine teuren
  Wohnungen leisten koennen, da Moeglichkeiten zu schaffen. Mein Job ist
  zu schauen, dass da was weitergeht und deswegen muss ich mit allen
  Beteiligten Gespraech fuehren.
  
  Und jetzt stell ich dir mal eine Gegenfrage: Warum schaffst es du
  nicht zu differenzieren? Warum sagst du nicht bei den Gruenen da und
  da war es in Ordnung, was sie gemacht haben, und da und da erhoehe ich
  den Druck? Weil ohne den Druck kann ich keine Sozialpolitik machen.
  Ohne dass ich mich vernetze, dass diese Sachen ueberhaupt Thema
  werden, kann ich meine Politik nicht machen. Also unterstuetze die
  Anliegen! Aber alles zu zerpfluecken geht mir echt am Zager!
  
  akin: Ich bin nicht dazu da, das Positive aufzuzeigen. Ich bin zum
  Noergeln da, bejubeln koennt ihr euch schon selbst.
  
  Birgit: Was heisst bejubeln? Wenn dir was wichtig ist, klink dich ein!
  Ich find es schon in Ordnung, an PolitikerInnen hohe Ansprueche zu
  haben, aber uns die Politik zu ueberlassen, ist Schwachsinn. Und ich
  sag dir noch was: Ich hab den Eindruck, dass die Menschen sich immer
  mehr ins Private zurueckziehen. Diese Wirtschaftskrise, der zunehmende
  Druck auf die Leute fuehrt dazu, dass die Menschen aufhoeren, Medien
  zu lesen und sich zu informieren. Die finden, dass eh alles ein Schas
  ist.
  
  akin: Na, dann kommen wir doch mal zum Positiven -- die Geschichte in
  der Muehlheimstrasse. Da gibts ja die 'Pizzeria Anarchia' -- die sind
  in einem Haus gleich ums Eck von dem erwaehnten Haus, das abgebrannt
  ist. Da sind ein paar Punks einquartiert worden, um die wenigen
  verbliebenen Mieter zu vertreiben, das hat allerdings nicht
  funktioniert, weil die sich mit ihren Nachbarn solidarisiert haben.
  Das Haus der Pizzeria und das abgebrannte Haus, das uebrigens als
  Lagerhaus gewidmet war, gehoeren den selben Spekulanten. Und als du
  dich da bei diesen Geschichten so eingesetzt hast, haben die Punks
  dich ehrlich belobigt, dass du so toll gewesen waehrst, meinten
  allerdings, du solltest doch von den Gruenen austreten.
  
  Birgit: Bei dem was ich machen will, ist es niemanden geholfen, wenn
  ich aus der Partei austrete. Die Logik ist mir nicht ganz
  verstaendlich, was haben die Betroffenen davon, wenn ich aus der
  Partei aussteige?
  
  akin: Ich verstehe voll und ganz, dass es darum geht, eine politische
  Operationsbasis zu haben. Meine Frage ist vielmehr: Wie gehts dir mit
  der Partei?
  
  Birgit: Die Gruenen stehen mir am Naehesten und dadurch habe ich
  natuerlich auch viel Kritik. Wir sind ja kein homogener Haufen und
  sind nicht in allem einig. Jetzt zum Beispiel stoert es mich
  irrsinnig, dass die Gruenen fuer ein Berufsheer eintreten, was sie
  doch ueberhaupt noch nie getan haben...
  
  akin: Also die Abschaffung des Bundesheeres haben die Gruenen schon
  lange gestanzt!
  
  Birgit: Die Gruenen sind immer fuer die Abschaffung des Bundesheeres
  eingetreten. Ich hab eine Arbeitsgruppe geleitet, da haben wir das
  genau so festgeschrieben. Naechste Woche ist das Thema in der
  Landeskonferenz und wir kommunizieren das auch schon mit den
  Bundesgruenen. Und natuerlich aergert mich das. Zwoelf Jahre bei der
  Gruppe fuer Totalverweigerung haben mich gepraegt. Aber ich bin nunmal
  eine Gruene und ich kann nicht sagen, dass ich das alles super finde,
  aber ich stehe dazu.
  
  akin: Also mir kommt ja vor, als waeren die Wiener Gruenen ziemlich
  eingeklemmt und haetten ueberhaupt keine Moeglichkeit mehr, eine
  eigenstaendige Position zu vertreten. Denn zum Einen haengen sie
  zusammen mit der SPOe, die klar signalisiert: 'Bitte, das wird alles
  intern besprochen!' und zum Anderen mit der gruenen Bundespartei, die
  dasselbe signalisiert. Viel hoert man von euch an Positionen nicht
  mehr. Das ist mein Problem.
  
  Birgit: Da hast nicht unrecht. Aber ich kann dir nicht helfen...
  (lacht.)
  
  akin: Du haettest, wenn nicht vorzeitig gewaehlt wird, noch drei Jahre
  im Gemeinderat. Glaubst du, dass du nach diese Zeit weiter auf dieser
  Ebene arbeiten moechtest? Und wie kannst du dir vorstellen, dass das
  weitergeht mit den Gruenen in der Landesregierung?
  
  Birgit: Mich reisst es oft schon hin und her und manchmal ist es schon
  zaeh. Es ist oft wie eine Gummiwand. Und das Budget ist irrsinnig
  knapp. Der Handlungsspielraum, wirklich zu gestalten! Zum Beispiel
  fuer leistbare Wohnungen, und zwar fuer die naechsten 10, 20 Jahre.
  Was kann man tun, dass uns die Gesellschaft nicht auseinanderbricht?
  Wo kann man ansetzen? Wie kommt man an die privaten Bautraeger ran,
  dass die nach sozialen Kriterien bauen? Da gibts einfach noch viel an
  Herausforderung.
  
  Es geht darum, dass die Leute Perspektiven haben! Das mag schon naiv
  klingen, aber dafuer zahlt es sich aus. Manchmal gibts Rueckschlaege,
  manchmal knallt man ein bisschen heftiger auf die Nase. Aber dann
  steht man wieder auf, weil ich werde ja nicht fuers Jammern bezahlt.
  Ganz ehrlich: Solange es einen Sinn macht, werde ich das machen, sonst
  muss ich mich halt umdrehen und wieder etwas anderes machen. Aber es
  hat schon was, in einer Rolle zu sein, wo du Entscheidungen treffen
  kannst.
  
  Aber in einem Punkt hast du natuerlich recht: Wir Gruenen muessen
  hoellisch aufpassen, dass wir weiter sagen: 'Dafuer stehen wir, das
  sind unsere Ziele. Das eine haben wir erreichen koennen, das andere
  noch nicht. Aber das aendert nichts an unseren Zielen.' Da gibts eine
  Gefahr, dass wir zu sehr eingelullt werden im Alltag, darauf muessen
  wir aufpassen. Dafuer haben wir dann Leute wie dich, die uns immer
  wieder drauf hinstossen. (lacht.)
  
  akin: Naja, jetzt hast Du ja einmal deinen O-Ton aus rein gruener
  Sicht in der akin. Ich danke dir fuer das Interview.
  *
  
  (1) Die neue Landesregierung kam Anfang 2011 stark in Kritik, 
  weil der
  Heizkostenzuschuss massiv gekuerzt worden war.
  Siehe akin 1/2011, http://akin.mediaweb.at/2011/01/01heiz.htm
  
  (2) Das Problem stellte sich im Wahlkampf 2010, also noch in 
  der
  Alleinregierungszeit der SPOe. Siehe akin 21/2010,
  http://akin.mediaweb.at/2010/21/21obdach.htm
  
  (3) Siehe auch diese Ausgabe, "Wenn in Wien ein Lager brennt",
  http://akin.mediaweb.at/2012/19/19pizza.htm
*
 Das komplette 52minuetige Interview, in dem es auch um die
  Aufregerthemen Cannabis-Legalisierung und Bezirkswahlrecht geht, ist
  nachzuhoeren unter: http://cba.fro.at/63788
  
  
  
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