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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 27. Juni 2012; 01:33
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Nachhaltigkeitsgipfel:
> Rio: Der Gipfel der Voelker
Zweiter Teil des Lateinamerika-Tagebuchs von Hermann Dworczak
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Sonntag, 17. Juni 2012
Noch bevor der offizielle UNO-Gipfel in Rio plus 20 am 20.Juni 
startet, wurde am 15.Juni ebenda der alternative Gipfel der Voelker 
eroeffnet.
Der Alternativgipfel findet in der Bucht von Flamengo statt -- direkt 
unterhalb des Zuckerhuts. Eine Zeltdorf erstreckt sich entlang des 
Strandes. Bei der Eroeffnung ergriffen ein Indigener und eine Frau aus 
den USA das Wort. Beide kritisierten die Leitlinie des offiziellen 
Gipfels (¨Gruene Oekonomie¨) scharf und sahen darin bloss einen 
Versuch ¨dem Kapitalismus einen gruenen Anstrich zu geben¨.
Im Anschluss an die Eroeffnung fand eine Veranstaltung zu den Gefahren 
der Nuklearenergie statt, an der auch einer der geistigen Vaeter des 
Weltsozialforums (WSF) Chico Whittacker teilnahm.
Waehrend es beim Alternativgipfel spannende Diskussionen gibt, werden 
die Erwartungen fuer den offiziellen Gipfel laufend 
heruntergeschraubt. So verlangte die US-Delegation, dass die reichen 
und armen Laender ¨gleichbehandelt werden¨, also sich die 
kapitalistischen Industrienationen vor groesseren finanziellen 
Leistungen druecken koennen...
Bislang ist weder klar, wer von den ¨Grossen¨ tatsaechlich zum 
offiziellen Gipfel kommt, noch woher das Geld fuer die dringend 
benoetigten Massnahmen im Umweltbereich stammen soll. War der 
Umweltgipfel vor 20 Jahren ein -- kleiner -- Hoffnungsschimmer, schaut 
es jetzt nach klaeglichem Abgesang aus.
Montag, 18. Juni 2012
Der alternative Gipfel der Voelker zeichnet sich durch interessante 
Diskussionen und ein Aufeinander-Zugehen aus. Dem offiziellen Gipfel 
Rio plus 20 geht ein diplomatische Geplaenkel voraus, um moeglichst 
wenig Konkretes zu sagen, aber doch am Ende ueber ein ¨Dokument¨ zu 
verfuegen.
Am Wochenende kamen Zehntausende in die Bucht von Flamengo, um am 
Alternativ-Gipfel teilzunehmen . Es gab ein beaengstigendes Gedraenge 
und Geschiebe. Die Themenvielfalt war enorm -- auffaellig die enge 
Verzahnung von Umwelt- und sozialen Fragen.
Obwohl die ueberwiegende Anzahl der TeilnehmerInnen aus Brasilien 
kommt, gibt es ebenso VertreterInnen von anderen Kontinenten: die 
Befreiungsbewegung der Sahauris hat einen eigenes Zelt, ein 
aegyptischer Linker spricht ueber die Lage in seinem Land bzw. den 
arabischen Fruehling insgesamt, ich komme mit einem Aktivisten von 
¨Quebec sans pauvrete¨ (Quebec ohne Armut) ins Gespraech: 
¨Jahrzehntelang hat sich bei uns nichts getan. Dann haben die 
StudentInnen zu kaempfen begonnen. Heute sehen wir eine wirklich 
breite Massenbewegung¨.
Aus Schweden ist Tord Bjork angereist -- er vertritt ¨Friends of the 
Earth¨, aus Oesterreich sind wir zu dritt: Leo Gabriel, Josef Baum und 
ich.
Zwei Dinge werden fuer den Alternativgipfel besonders wichtig sein:
a) ob es gelingt, die Unzahl von Einzelforderungen zusammenzufassen 
und auf dieser Basis globale Aktivitaeten zu starten -- etwa bis hin 
zum naechsten Weltsozialforum im Juni 2013 in Tunesien. Unter der 
Federfuehrung des Sozialwissenschafters Francois Houtart wurde solch 
eine Synthese vorgelegt: ¨Universal Declaration for the Common Good of 
Humanity Project¨.
b) ob die Demo am 20.Juni fernab vom offiziellen Gipfel ueber die 
Buehne geht oder -- wie es etwa die Landlosenbwegung MST will --  
moeglichst nahe an das Riocentro, das offizielle Tagungszentrum, 
herankommt und so erhoehte internationale Aufmerksamkeit erzielen 
kann.
Fuer den offiziellen Gipfel gibt es das obligate Gefeilsche um den 
Schlusstext. Gerangelt wird hier in Rio, aber noch mehr auf dem G 
20-Gipfel jetzt in Mexico. Weil die kapitalistischen Industrienationen 
nichts oder nur ganz wenig fuer Umweltmassnahmen zahlen wollen, ist es 
in Rio zu einem -- vorlaeufigen -- Exodus der G77-Staaten (inclusive 
China) gekommen...
Mittwoch, 20. Juni 2012
Waehrend der offiziellen UNO-Konferenz Rio plus 20 ein nichtssagendes 
Abschlussdokument vorliegt, gingen Tausende auf die Strasse, um fuer 
einen grundsaetzlichen Wandel in der Umwelt- und Sozialpolitik zu 
demonstrieren.
Das Abschlussdokument der offiziellen UNO-Konferenz wird in den Medien 
als ¨sauberes Papier¨ gehandelt, weil es von allen Konkretisierungen 
¨befreit¨ wurde und Praezisierungen erst ¨nach der oekonomischen 
Krise" vorgenommen werden sollen...
Gegen solche Wischi-Waschi-Positionen formierte sich ein 
Demonstrationszug, der Punkt fuer Punkt die strittigen Fragen und 
moeglichen Loesungen anvisierte. So wurde die ehemalige Guerillera und 
jetzige Praesidentin Brasiliens Dilma Rousseff daran erinnert, einem 
Gesetz, das eine weitere Verschlechterung der Situation des 
Regenwaldes vorsieht und das bereits im Parlament die Zustimmung 
erhalten hatte, auch in Zukuft mit einem Veto zu begegnen.
Im starken Block der KP Brasiliens bekam der ¨gruene Kapitalismus¨ 
sein Fett ab. Die zentrale Losung von Greenpeace lautete: ¨Fuer eine 
gerechte und gruene Welt¨. Kubanische GewerkschafterInnen waren ebenso 
auf der Demo, wie FeministInnen aus Argentinien. Eine brasilianische 
Samba-Formation sorgte fuer tolle Stimmung.
Der absolute Hammer war jedoch ein Panzer aus Karton, der mit 
Tortillas vollgepflastert war. Dieser ¨Brot-Panzer¨ stellte ein 
Plaedoyer dar, die enormen Summen, die fuer Waffen ausgegeben werden, 
sinnvoll fuer Lebensmittel zu verwenden.
Donnerstag, 21. Juni 2012
Am 22.Juni geht der Gipfel der Voelker zu Ende. Der Gipfel der Voelker 
wurde taeglich von einigen Tausend Menschen besucht -- am Wochenende 
von Zehntausenden. In ueber 50 Zelten gab es eine Unmenge an 
Diskussionen. Die Debatten verliefen solidarisch -- von 
sektiererischem Gekeife war nichts zu bemerken. Die Resultate dieser 
Debatten wurden in 5 Plena zusammengefasst, z.B. ¨Fuer soziale und 
Umweltgerechtigkeit¨, "Energie und extraktive Industrien¨, 
¨Verteidigung der Gemeingueter, gegen die Kommerzialisierung des 
Lebens¨.
Nachmittag wurden die Ergebnisse der 5 Achsen zusammengefasst.
Freitag, 22. Juni 2012
Es machten sich schon ziemliche Ermuedungserscheinungen bemerkbar - 
immerhin tagt der Alternativgipfel bereits seit 15.Juni. Die 
Schluss-Assambleia startete mit etwa 500 TeilnehmerInnen.
Die Assambleia begann damit, dass sich etliche Delegationen mit ihren 
Fahnen, Plakaten und Transparenten vor der Hauptbuehne aufstellten. 
Einer Frau mit der Fahne Paraguays liefen die Traenen ueber die 
Wangen - wegen des drohenden Absetzungs-Verfahrens gegen den 
Praesidenten Fernando Lugo, worin von vielen der Versuch eines 
Staatsstreichs gesehen wird.
Der bekannte Umweltaktivist Tom Kucharz stellte gemeinsam mit einer 
Frau aus Brasilien die vorgesehenen ¨Kaempfe und Kampagnen¨ vor. Dabei 
handelt es sich um Vorschlaege aus den 5 grossen Themenbereichen des 
Gipfels der Voelker, und sie reichen von allgemeinen Themen, wie 
¨Gegen die Kommerzialisierung des Lebens¨, ueber Forderungen wie 
¨Ueberfuehrung der Banken in oeffentliches Eigentum unter 
demokratischer Kontrolle¨ bis hin zu konkreten Fragen wie ¨Gegen das 
Monster-Staudamm-Projekt Belo Monte¨.
Es war offenkundig, dass die blosse Auflistung moeglicher 
Taetigkeitsbereiche noch keine kollektive Kampagnenfaehigkeit 
darstellt. Es gab daher Bemuehungen - etwa in Gespraechen mit Pablo 
Solon, dem Hauptorganisator des Alternativgipfels in Cochabamba 2010 - 
einige wenige, allgemein verbindliche Schwerpunkte auszuwaehlen und 
auf ihrer Basis regionale und globale Aktivitaeten (z.B. 
¨Aktionstage¨) festzulegen - etwa bis hin zum Weltsozialforum in 
Tunesien im Juni 2013. Ob diese Bemuehungen von Erfolg gekroent waren, 
war beim Verfassen dieser Zeilen nicht absehbar. ###
(Teil 1 des Tagebuchs erschien in akin 14 und 
hatte Mexiko zum Thema)
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