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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 29. Mai 2012; 23:30
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International/Wirtschaft:

> Bitcoin - endlich ein faires Geld? (I)

Immer wieder taucht die elektronische Waehrung BTC auch ausserhalb
netzaffiner Medien auf. Aber wie funktioniert sie? Und was ist der
prinzipielle Unterschied zu herkoemmlichem Geld? Die deutsche *Junge
Linke gegen Kapital und Nation* hat uns eine ausfuehrliche Analyse
geschickt, die wir wegen Ueberlaenge in 2 Teilen publizieren.

Teil I versucht zu erklaeren, welche Ideen und Funktionsweisen
hinter dem Bitcoin-Konzept stecken.
*

Bitcoin (BTC) wurde von Satoshi Nakamoto im Jahr 2009 als eine neue
elektronische oder besser virtuelle Waehrung vorgestellt, die ein
Aequivalent zum Bargeld im Internet(1) sein soll. Anstatt Kreditkarten
oder Ueberweisungen zum Einkaufen im Netz zu benutzen, installiert man
eine Software auf seinem Computer, den Bitcoin Client. Dieser erlaubt
dann, unter einem Pseudonym Bitcoins an andere Nutzer zu senden, d.h.
man gibt die Anzahl an Bitcoins und den Empfaenger ein und die
Transaktion wird anschliessend ueber ein Peer-to-Peer-Netzwerk(2)
abgewickelt. Bitcoins koennen zur Zeit auf ein paar hundert Websites
zum Einkaufen verwendet werden, darunter um Waehrungen, Web Hosting,
Web Space, Web Design, DVDs, Kaffee, Kleinanzeigen zu kaufen. Auch
kann man dank Bitcoin via Internet an Wikileaks(3) spenden oder
Gluecksspielseiten benutzen, was praktisch sein kann, wenn diese im
betreffenden Land verboten sind. Was allerdings Bitcoin zumindest fuer
kurze Zeit grosse oeffentliche Aufmerksamkeit verschaffte, war die
Moeglichkeit ueber eine Kleinanzeigenseite namens "Silk-Road"(4)
verbotene Drogen zu kaufen.

Am 11. Februar 2012 kostete 1 BTC ungefaehr $5,85 USD. Insgesamt
wurden bis zu diesem Zeitpunkt 8,31 Millionen BTC ausgestellt. An
diesem Tag wurden 0,3 Mio. BTC in 8.600 Transaktionen verwendet und
circa 800 Bitcoin-Clients waren im Netzwerk angemeldet. Das zeigt,
dass es mehr als eine blosse Idee oder nur ein Vorschlag fuer ein
neues Bezahlsystem ist, auch wenn dessen Umfang noch sehr deutlich
hinter dem gaengiger Waehrungen zuruecksteht.

Es gibt drei Eigenschaften von Bargeld, die Bitcoin versucht
nachzuahmen: Anonymitaet, Unmittelbarkeit und sehr kleine bzw. das
Fehlen von Transaktionsgebuehren. Diese Eigenschaften hat der aktuelle
Onlinehandel mit Kreditkarten oder Bankenueberweisungen nicht. Bitcoin
ist Peer-to-Peer in Reinform, genauso wie Bargeld im Gebrauch
Peer-to-Peer ist.

Was das Projekt aber tatsaechlich so ambitioniert macht, ist der
Versuch, eine neue Waehrung zu etablieren. Bitcoins sollen kein Weg
sein, Euros, Dollars oder Pfund zu transferieren, sie sollen selbst
als neues Geld verstanden werden. Sie werden als BTC gehandelt und
nicht als GBP oder EUR. Vielmehr noch, Bitcoins sind sogar als Geld
gedacht, welches auf anderen Prinzipien aufbaut als das heute uebliche
Geld. Am markantesten faellt das daran auf, dass es keine
"vertrauenswuerdigen Dritten" gibt, d.h. es gibt keine Zentralbank.
Weiterhin sind Bitcoins auf die Anzahl von 21 Millionen insgesamt
beschraenkt - mehr Bitcoins soll es nicht geben. Aus diesem Grund
spricht diese neue Waehrung marktradikale Liberale an, die zwar den
freien Markt schaetzen, dem Staat bzw. dessen Einmischung in den Markt
allerdings skeptisch gegenueber stehen.(5)

Bitcoin ist also der Versuch, etwas Bekanntes, naemlich das Geld,
unter einem anderen Ansatz anzugehen und bietet dadurch einen neuen
Blick auf diese alltaegliche Sache. Es muss durch den Verzicht auf
"vertrauenswuerdige Dritte" in seiner Konstruktion einige technische
Probleme oder Fragen loesen, damit es als Geld auch wirklich brauchbar
ist. Damit verweist Bitcoin mit seinen technischen Probleme auf die
Eigenschaften, die eine Gesellschaft hat in der die Wirtschaft ueber
Geld abgewickelt wird.

Unter Verwendung von so wenig Fachjargon wie moeglich wollen wir
versuchen zu erklaeren, wie Bitcoin funktioniert und was uns dies
Funktionieren ueber eine Gesellschaft lehrt, in der freier und
gleicher Tausch die vorherrschende Form von wirtschaftlicher
Interaktion ist. Daraus folgt auch eine Kritik an der Ideologie von
marktradikalen Liberalen.
Als erstes kann man von Bitcoin lernen, dass die Beschreibung des
freien Marktes von Bitcoin-Anhaengern genauso falsch ist, wie die der
meisten anderen Leute auch. Die Behauptung naemlich, dass sich im
Austausch folgendes ausdruecke:

Gegenseitiger Nutzen, Kooperation und Harmonie

Auf den ersten Blick mag eine Wirtschaft, welche auf freiem und
gleichem Austausch beruht, wie eine harmonische Sache erscheinen.
Menschen produzieren Dinge in Arbeitsteilung und so erhalten sowohl
Kaffeebauer als auch Schuhmacher jeweils Schuhe und Kaffee. Das
vermittelnde Element, damit Konsumenten zu diesen beiden Dingen
kommen, ist das Geld. Die Arbeit der Produzenten ist zu deren
gegenseitigen Nutzen oder auch zum Nutzen der ganzen Gesellschaft. In
den Worten eines Bitcoin Anhaengers:

"Wenn wir beide eigennuetzige rationale Wesen sind und wenn ich Dir
mein X fuer Dein Y anbiete und Du diesem Handel zustimmst, dann
bewerte ich Dein Y notwendigerweise mehr als mein X und Du bewertest
mein X mehr als Dein Y. Mit diesem freiwilligen Handel haben wir beide
etwas, dass wir als wertvoller erachten, als das, was wir
urspruenglich hatten. Wir sind beide besser dran. Das ist nicht
ausbeuterisch, das ist kooperativ."(6)

Die Bitcoin-Gemeinschaft stimmt damit dem Konsens der
Wirtschaftswissenschaft zu, dass Kooperation Geld richtiggehend
benoetige:

"Eine Gemeinschaft ist definiert durch die Kooperation ihrer
Teilnehmer und effiziente Kooperation benoetigt ein Mittel des
Tausches (Geld)..."(7)

Sie stimmen also mit modernen Oekonomen darin ueberein, dass freier
und gleicher Austausch Kooperation bedeutet und Geld ein Mittel ist,
um beidseitigen Vorteil zu ermoeglichen. Sie malen eine Idylle des
freien Marktes, dessen negative Eigenschaften dem (wie sie meinen:
falschem) Eingreifen des Staates zugeschrieben werden; manchmal auch
den Banken und deren Monopolstellung(8).

Bargeld

Einer dieser Eingriffe des Staates ist die Bereitstellung von Geld und
dagegen richtet sich Bitcoin ja auch. Denn Bitcoin basiert darauf,
keine "vertrauenswuerdigen Dritten" zu benoetigen und damit keinen
Staat, der Geld herausgibt und dieses verwaltet. Stattdessen ist
Bitcoin nicht nur Peer-to-Peer in seinem Umgang mit Geld, sondern auch
in dessen Aufrechterhaltung und Erzeugung: Ganz so, als ob es keine
Europaeische Zentralbank gaebe und alle Menschen in der deutschen
Wirtschaft gemeinschaftlich Geld drucken und sich ebenso
gemeinschaftlich um dessen Verbreitung kuemmern wuerden. Um dies zu
bewerkstelligen, muessen einige technische Huerden ueberwunden werden.
Manche sind trivial, andere nicht. Zum Beispiel muss Geld teilbar
sein, also zwei Fuenfeuronoten muessen das Gleiche sein wie eine
Zehneuronote und jeder gleichwertige Teil eines Geldes muss genauso
gut sein wie ein anderer, so dass es keinen Unterschied macht, welchen
Zehneuroschein ich nun in der Hand halte. Diese Eigenschaft laesst
sich recht einfach erreichen, wenn man Zahlen auf Computern als Geld
hat.

Digitale Signaturen: Garantien wechselseitigen Schadens

Wenn man mit physischem Geld hantiert, also Bargeld, ist der
Eigentumswechsel offensichtlich. Wenn zum Beispiel Anna einen
Zehneuroschein an Bernd gibt, dann hat Bernd den Schein und nicht
Anna. Nach einem Austausch (oder auch Raub) ist es offensichtlich, wer
das Geld hat und wer nicht. Es gibt fuer Anna nach dem Bezahlen keine
Moeglichkeit zu behaupten, sie haette Bernd das Geld nicht gegeben,
weil sie es nunmal getan hat. Umgekehrt kann aber Bernd vor dem
Haendewechsel den Geldschein nicht einfach in seine Tasche stecken
ohne Annas Zustimmung, ausser natuerlich mit Gewalt. Letzteres soll
durch das Gewaltmonopol des Staates verhindert werden. Wenn man seine
Zahlungen ueber Banken abwickelt, ist es die Bank, welche dieses
Verhaeltnis durchsetzt, in letzter Instanz aber auch wieder die
Polizei.

Online in einem Peer-to-Peer-Netzwerk ist das natuerlich nicht so
einfach. Eine Banknote ist nun durch nichts anderes repraesentiert als
durch eine Nummer oder eine Zeichenkette. Nehmen wir mal an, 0xABCD
sei eine 1 BTC Note(9). Man kann diese Zeichenkette ganz einfach
kopieren. Es gibt erst einmal keine Moeglichkeit nachzuweisen, dass
jemand diese Zeichenkette nicht irgendwo gespeichert hat und weiter
benutzt oder anders herum, dass jemand diese vielleicht auch gar nicht
mehr besitzt, sie mir aber als Bezahlung weiterreicht. Weiterhin kann
Bernd die Banknote (hier ausgedrueckt durch diese Zeichenkette) von
Anna einfach kopieren, wenn er sie gesehen hat. Der Eigentumswechsel
ist also schwierig: Wie kann man sicherstellen, dass Anna Bernd den
Bitcoin wirklich gezahlt hat?(10) Damit hat man ein Problem an der
Hand, welches virtuelle Waehrungen und somit auch Bitcoin loesen
muessen.

Um zu beweisen, dass Anna wirklich die Zeichenkette 0xABCD an Bernd
uebergeben hat, unterzeichnet sie digital einen Vertrag. Dieser gibt
an, dass die Zeichenkette nicht mehr ihr selbst, sondern ab jetzt
Bernd gehoert. Eine digitale Signatur ist auch nichts anderes als eine
weitere Zeichenkette oder eine grosse Zahl. Jedoch hat dieser
spezielle kryptografische und mathematische Eigenschaften, die sie -
soweit man weiss - unfaelschbar machen. Also aehnlich wie Menschen
normalerweise Eigentum uebertragen, zum Beispiel den Titel auf ein
Grundstueck durch die Unterzeichnung eines Vertrages verschriftlichen,
wird das Eigentum am Geld im Bitcoin-Netzwerk auch ueber
Unterschriften unter Vertraegen transferiert. Nur eben digital. Die
Zeichenkette die unsere Geldnote darstellen sollte, an sich zaehlt
nicht. Nur der Vertrag, der anzeigt, wer die Note gerade besitzt macht
sie gueltig. Dieses Verfahren der digitalen Unterschriften ist
inzwischen so weit verbreitet, das es kaum Beachtung erfaehrt, nicht
mal im Designdokument von Bitcoin selbst.(11)
*

Teil 2, der sich ausfuehrlicher mit der Kritik an diesem Konzept
beschaeftigt, folgt in akin 15/2012
.

*

Fussnoten:
1) Das zentrale Dokument ueber Bitcoin, in dem die Idee dieser
digitalen Waehrung beschrieben wird, ist "Bitcoin: A Peer-to-Peer
Electronic Cash System" von Satoshi Nakamoto. Einige Details des
Netzwerks sind jedoch nirgends in der Literatur explizit beschrieben,
sondern nur im offiziellen Bitcoin-Client eingebaut. So weit wir
wissen, gibt es keine offizielle Spezifikation ausser:
https://en.bitcoin.it/wiki/Protocol_specification
2) Als Peer-to-peer-Netzwerk wird ein Netzwerk bezeichnet, in dem die
Teilnehmer sich direkt verbinden ohne die Notwendigkeit zentraler
Server (wobei einige Funktionen dennoch einen Server benoetigen
koennen). Beruehmte Beispiele einer solchen Technik sind Napster,
BitTorrent oder auch Skype.
3) Vermutlich auf Druck der US-Regierung haben alle grossen
Online-Bezahlsysteme die Zahlungen an Wikileaks eingestellt
(http://www.bbc.co.uk/news/business-11938320). Auch das Benutzen von
Kreditkarten fuer Online-Spielplattformen ist meist von deren
Herausgebern verboten.
4) Nach der Veroeffentlichung eines Artikels auf einer amerikanischen
Newsplattform
(http://gawker.com/5805928/the-underground-website-where-you-can-buy-any-drug-imaginable)
wurden zwei US-Senatoren darauf aufmerksam und baten den Kongress die
Seite abzuschalten. Bis jetzt scheinen allerdings scheinen diese
Versuche nicht wirklich erfolgreich gewesen zu sein.
5) Eine Stroemung, die vor allem in den USA Anhaenger findet, wo sie
als "Libertarians" bekannt sind. Im deutschsprachigen Raum sind solche
Ideen vor allem in der Hacktivism-Szene verbreitet.
6) Uebersetzt von
(https://forum.bitcoin.org/index.php?topic=5643.0;all): "If we're both
self-interested rational creatures and if I offer you my X for your Y
and you accept the trade then, necessarily, I value your Y more than
my X and you value my X more than your Y. By voluntarily trading we
each come away with something we find more valuable, at that time,
than what we originally had. We are both better off. That's not
exploitative. That's cooperative."
7) Uebersetzt von: "A community is defined by the cooperation of its
participants, and efficient cooperation requires a medium of exchange
(money)..." Wei Dai, "bmoney.txt" (http://weidai.com/bmoney.txt). In
diesem Text wird die grundsaetzliche Idee, auf der Satoshi Nakamoto's
Bitcoin-Protokoll aufbaut, zum ersten Mal beschrieben.
8) "The real problem with Bitcoin is not that it will enable people to
avoid taxes or launder money, but that it threatens the elites'
stranglehold on the creation and distribution of money. If people
start using Bitcoin, it will become obvious to them how much their
wage is going down every year and how much of their savings is being
stolen from them to line the pockets of banksters and politicians and
keep them in power by paying off with bread and circuses those who
would otherwise take to the streets."
(http://undergroundeconomist.com/post/6112579823)
9) Wir sind uns bewusst, dass Bitcoin durch nichts anderes als durch
die Liste der Transaktionen repraesentiert wird. Zur einfacheren
Praesentation hier nehmen wir aber einfach an, dass es so ein
eindeutiges Merkmal gibt wie die Seriennummer auf einem Euroschein.
10) "Commerce on the Internet has come to rely almost exclusively on
financial institutions serving as trusted third parties to process
electronic payments. [...] Completely non-reversible transactions are
not really possible, since financial institutions cannot avoid
mediating disputes. [...] With the possibility of reversal, the need
for trust spreads. Merchants must be wary of their customers, hassling
them for more information than they would otherwise need. A certain
percentage of fraud is accepted as unavoidable. These costs and
payment uncertainties can be avoided in person by using physical
currency, but no mechanism exists to make payments over a
communications channel without a trusted party." Satoshi Nakomoto,
"Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System", 2009.
11) Fuer eine Einfuehrung in das Thema kryptografisches Geld siehe
Burton Rosenberg (Ed.), "Handbook of Financial Cryptography and
Security", 2011.



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