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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 9. Mai 2012; 02:14
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Wien:

> Private Landraeumung

Die Geschehnisse in Jedlersdorf werfen viele Fragen auf

In akin 11/2012 hatten wir noch berichtet, dass die Landbesetzung der
Gruppe "SoliLa" (Solidarische Landwirtschaft) in Wien-Jedlersdorf
aufrecht sei, bei Auslieferung der Papierausgabe war das aber schon
nicht mehr wahr: Am Donnerstag, den 26.April, wurde die Besetzung
gewaltsam geraeumt. Ca. 60 mehr oder weniger besetzende Menschen
sollen auf der Flaeche gewesen sein, als etwa 20 Kraefte der privaten
Sicherheitsfirma Hel-Wacht die Raeumung auf Anordnung der Universitaet
fuer Bodenkultur vornehmen wollten. Nach Einschaetzung der Situation,
dass Securities die Raeumung vornehmen duerften, haetten sich die
Anwesenden entschlossen, sich mit dem zweiten Projekt der Flaeche
("Grossstadtgemuese", bisher BOKU-genehmigt) zu solidarisieren und
deren Pflanzen und Material hinauszutragen, und anschliessend
friedlich zu gehen. In der Zeit, in der ueber die rechtliche Lage
beraten wurde, kam es zu einem ersten Eingriff der Securities, die
versuchten, BesetzerInnen von der Flaeche zu draengen. Es kam zu einem
kleinen Tumult, indem noch niemensch verletzt wurde. Als begonnen
wurde, das Eigentum des "Grossstadtgemueses" an den Rand der Flaeche
zu tragen, kam es zu einem gewaltvollen Uebergriff der Securities auf
einzelne Personen, die scheinbar herausgezogen werden sollten. Dabei
wurde z.B. ein Mensch auf den Boden gestossen und ueber den
Schotterweg gezerrt und seine Arme verdreht. In dem Tumult verletzte
sich anscheinend auch einer der Securities am Arm. Andere Securities
hielten sich eher am Rande der Geschehnisse und wussten, so wirkte es
nach Angaben der BesetzerInnen, anscheinend nicht mit der Situation
umzugehen. Nach einem weiteren Gerangel beruhigte sich die Situation
wieder und nach und nach wurden die Pflanzen und Geraetschaften des
"Grossstadtgemueses" von BesetzerInnen weggetragen. Daraufhin gingen
die Verbliebenen geschlossen vom Gelaende. Die anwesende Polizei sah
waehrenddessen nur zu.

Nach Rechtsansicht der BesetzerInnen waren sowohl die Gewaltanwendung
durch die Angehoerigen der privaten Sicherheitsfima als auch das
Nichteinschreiten der Polizei dagegen rechtswidrig und sie wollen
rechtlich dagegen vorgehen. Daher bitten sie um Beweismaterial und
Gedaechtnisprotokolle. Kontakt: rotkraut@riseup.net

Umgekehrt sollen von der BOKU bereits Besitzstoerungsklagen gegen
einzelne Menschen eingebracht worden sein, deren Daten in den Tagen
vor der Raeumung aufgenommen worden waren.

Mittlerweile wurde aber auch bekannt, dass auf dem Gelaende nach wie
vor ein Versuch der BOKU mit genetisch veraendertem Steinobst laeuft.
Dies koennte, so war aus BesetzerInnen-Kreisen zu hoeren, der
eigentliche Grund fuer die rasche Raeumung gewesen sein. Immerhin
koennte die Befuerchtung gewesen sein, dass die BesetzerInnen
festgestellt haetten, dass Biolandbau in unmittelbarer Nachbarschaft
zu transgenen Pflanzen nicht moeglich ist, und sie daraus fuer die
Obstbaeume unangenehme Konsequenzen haetten ziehen koennen.

Die BesetzerInnen fordern weiterhin den Erhalt von und den offenen
Zugang zu landwirtschaftlichen Flaechen in Wien und zugleich
Mitbestimmung und -gestaltung. Denn es gaebe ein grosses Beduerfnis in
der Bevoelkerung nach solidarischer und zukunftswuerdiger
Landbewirtschaftung: "Wir kaempfen gegen die blosse Monokultur des
Wohnbaus, sowie gegen die Monokultur in der Landwirtschaft. Dass diese
Bodenmonokultur immer weiter vorangetrieben wird, ist tragisch und
verantwortungslos."
(akin)

Infos: http://17april.blogsport.eu
Video eines Teils der Raeumung:
http://www.youtube.com/watch?v=qmkRCdsLZHw

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> Kommentar

Der Trend hin zum Einsatz von privaten Wachleuten selbst bei
Raeumungen ist bedenklich -- Aehnliches haben wir letztes Jahr am
Augartenspitz erlebt. Die rechtliche Situation ist nach wie vor
unklar: In Notsituationen duerfen Privatsheriffs zum Schutz des
Eigentums ihrer Auftraggeber Gewalt anwenden. Wie weit das aber gehen
darf und inwieweit das nach Eintreffen der Polizei ueberhaupt rechtens
ist, duerfte wohl immer noch nicht voellig ausjudiziert sein. Auch
bedenklich ist der Hang zu zivilrechtlichen Klagen wie zuletzt bei der
Besetzung des Bueros des gruenen Landesrates Anschober. An die Stelle
der klassischen Kriminalisierung per Straf- und Verwaltungsstrafrecht
und dem Einsatz von Polizei treten nun ihre privaten, zivilrechtlichen
Pendants -- eine Entwicklung, die im Trend der Privatisierung der
Gesellschaft und der Uebergabe der Macht an nichtstaatliche
Institutionen zu betrachten ist.

Allerdings ist auch diese Besetzungsaktion zu kritisieren -- denn der
ideologische Hintergrund macht mir etwas zu schaffen. Obwohl es mir
sympathisch ist, Raum zu okkupieren, und ihn einer oeffentlichen
Nutzung zugaenglich zu machen, stellt sich die Frage, was die
Konsequenz aus den sehr speziellen Forderungen dieser Aktion ist. Denn
der Protest gegen eine Monokultur des Wohnbaus ist zwar sicher
angebracht -- ausgesprochene Schlafstaedte sind kulturelle Einoeden
und soziale Sprengsaetze --, so ist eine Durchmischung ausgerechnet
mit Agrarkultur voelliger Unsinn. Denn Landwirtschaft braucht viel
Platz -- und der ist in einer Stadt, die als solche funktionieren
soll, sehr knapp. Die wenigen Gruenflaechen, die hier vorhanden sind,
sollten als Nah- und Naechsterholungsgebiete genutzt werden --
Salathaeuptln wuerden das nicht moeglich machen. Was stellen sich die
SoliLas da so vor? Noch staerker zersiedelte Stadtraender als eh schon
vorhanden? Oder gar Agrarflaechen in Zentrumsnaehe? Was wir dann
bekaemen, waere etwas, was man kaum mehr als Stadt ansehen koennte,
denn das Wesen einer Stadt ist nunmal die dichte Besiedlung. Nur so
koennen die Wege kurz gehalten werden -- "Staedte" der langen Wege
kennen wir so manche beispielsweise in den USA; Vorstaedte, wo jeder
sein Haeusl mit viel Gruen rundherum hat, und ein Leben ohne Auto
einfach nicht mehr denkbar ist!

Ehrlich: Ich bin ein begeisterter Staedter, weil in diesem
Ballungsraum Wien rund 2 Millionen Menschen leben und dennoch ich fast
jeden meiner verstreut lebenden Bekannten, Freunde und Kunden ohne
grosse Anstrengung mit dem Fahrrad erreichen kann. In diesem kleinen
Gebiet leben mehr Menschen als in NOe und ich bin auch froh, dass mir
die Stadtluft zu einer gewissen Freiheit verhilft -- und die grosse
Bauernpartei hier kein Leiberl hat. Daher eine grosse Bitte an SoliLa:
Macht eure agrokulturellen Provokationen von mir aus auch in der
Stadt, aber verbreitet keine antiurbanen Vorstellungen...
*Bernhard Redl*



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