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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 11. Jaenner 2012; 02:53
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Glosse/WWW:

> Wer a Goed hot...

Der Verfassungsgerichtshof hat kuerzlich festgestellt, dass die
Anfertigung von Kopien von Gerichtsakten mittels eigener
Ausruestung -- also zum Beispiel einer Kamera oder einem tragbaren
Kopiergeraet -- keinerlei Gebuehrenpflicht unterliegt. Diese
Vorgangsweise des Kopierens unterscheide sich naemlich "nicht
wesentlich von der seit jeher ueblichen Herstellung einer Abschrift im
Rahmen der Akteneinsicht. Fuer eine Kopiergebuehr gibt es hier keine
Grundlage", so der VfGH. So weit, so gut.

Weiters wurde kuerzlich eine parlamentarische Petition eingebracht,
die als Forderung enthaelt, dass bei einem gerichtlichen Freispruch
die Beschuldigten eine volle Entschaedigung erhalten anstatt dem recht
laecherlichen Pauschalersatz, wie er derzeit ueblich ist. Ausgeloest
wurde diese Petition durch den bekannten Tierrechtsprozess, wo
Anwaltskosten in Millionenhoehe entstanden sind. Die Petition wurde
von Martin Balluch, dem Hauptangeklagten des Prozesses und dem
SPOe-Abgeordneten Johann Maier eingebracht und hat die erforderliche
Anzahl der Unterschriften bereits erreicht. Online kann sie aber auch
weiterhin unterstuetzt werden.

Jedoch werfen dieses Urteil und diese Petition ganz generell ein Licht
auf die seltsame Vorstellung von Rechtsstaat, die man (nicht nur)
hierzulande hat: Wer sein Recht haben will, muss dafuer zahlen.

Was bildet sich dieser Staat, der sich Rechtsstaat schimpft,
eigentlich ein? In einem Zivilverfahren muss der verlierende
Prozessgegner bluten bis zum Gehtnichtmehr, im Strafverfahren koennen
Staatsanwaltschaft und Polizei behaupten, was sie wollen, ohne dass
sie dafuer auch nur im Geringsten zur Verantwortung gezogen wuerden
und ohne dass man auch nur die geringste Entschaedigung dafuer
erhaelt.

Bei den Gerichtsgebuehren faengt es erst an! Sollte es nicht voellig
egal sein, wie man die Ablichtungen macht? Der Staat produziert
tonnenweise Akten, um einen Menschen zu verfolgen, aber wenn man sie
zum Zwecke der Verteidigung haben moechte, muss man dafuer Laenge mal
Breite zahlen.

Du willst einen Verteidiger? Tja, das kostet. Ohne Verteidiger wirst
du schlecht aussehen vor Gericht. Ja, wir wissen schon, dass die
Vorwuerfe an den Haaren herbeigezogen sind, aber wenn du nur
irgendeine Chance vor Gericht haben willst, musst du tief in die
Tasche greifen.

So steht einem der Staat gegenueber. Und selbst wenn man das Geld fuer
Kopierkosten und Verteidiger im Falle eines Freispruches ersetzt
bekaeme, was bekanntermassen nicht der Fall ist, wer ersetzt einem
ernsthaft den Verdienstentgang? Oder die Kreditwuerdigkeit? Wann hat
es das schon gegeben, dass jemand eine ungerechtfertigte Festnahme
entgolten worden waere? Was ist, wenn man durch eine solche Festnahme
den Arbeitsplatz verliert, weil man seinen Dienst nicht antreten kann?
Von dem Stress und den Aengsten, die solche Verfahren erzeugen, gar
nicht zu reden.

Durch Gerichtsverfahren werden Existenzen zerstoert -- und das oft
genug trotz Freispruechen. Festnahmen -- bei Demos beispielsweise --,
wo es danach oft genug nicht einmal ein Anzeige gibt, weil die
Vorwuerfe nicht einmal soweit reichen, koennen Angst und Schrecken
erzeugen, selbst wenn man nicht von der Polizei verpruegelt wird. Wer
zahlt einem da Schmerzensgeld?

Man ist geneigt anzunehmen, dass diese System Methode hat. Es bleibt
dabei: Du hast die Chance, in einem Gerichtsverfahren freigesprochen
zu werden. Vor der Strafe bewahrt dich das jedoch nicht. Denn das
Verfahren ist die Strafe.
-br-

Die Petition von Balluch und Maier ist online unterstuetzbar unter:
http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/PET/PET_00149/index.shtml

Der VfGH-Entscheid im Wortlaut:
http://www.vfgh.gv.at/cms/vfgh-site/attachments/0/5/5/CH0003/CMS1324453358376/kopierkosten_bei_gericht_g85-11.pdf

Siehe dazu auch: "Protest bleibt ungebuehrlich" unter "Notizen" in
diesem akin-pd


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