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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 28. Juni 2011; 22:38
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Asyl:

> Italien: Abschiebezentrum beschlagnahmt

Nach einem Brand scheint es selbst der Justiz es zuviel geworden zu
sein. Doch die Verhaeltnisse in Italiens Schubhaefen werden immer
schlimmer. Welche Methode steckt dahinter?

Eins der von der italienischen Regierung im Zuge der Einwanderung aus
Tunesien eingerichteten, angeblich temporaeren Identifikations- und
Abschiebezentren wurde am 8. Juni 2011 auf Anordnung der
Staatsanwaltschaft Caserta geraeumt und unter Beschlagnahme gestellt.

In der Nacht zuvor war die auf dem Gelaende der ehemaligen Kaserne
Andolfato in Santa Maria Capua Vetere, unweit von Neapel eingerichtete
Zeltstadt, in der 98 tunesische Migranten festgehalten wurden, in
Brand geraten. Ursache des Brandes waren nach Zeugenaussagen CS-Gas
Patronen.

Berichte von Uebergriffen, Misshandlungen, unwuerdiger Versorgung und
Verpflegung, Missachtung von Rechten und Nachrichten ueber groessere
und kleinere Revolten sowie Ausbrueche und Ausbruchsversuche, die sich
in Folge besagter Umstaende ereignen, erreichen schon seit mehreren
Jahren -- oft im Wochen oder gar im Tagesrhythmus -- die Aussenwelt,
wenn auch nicht die breite Gesellschaft. Auch die Selbstverstuemmelung
ist, als extreme Protestform, in beaengstigendem Rhythmus Teil dessen,
was unter Muehen nach Aussen dringt. Auf Lampedusa verletzten sich
kuerzlich fuenf Tunesier, die dort ihrer "Rueckfuehrung" nach Tunesien
entgegen sehen, anlaesslich des Besuchs eines Kardinals, der
anschliessend auf die Visite des Abschiebelagers verzichtete, mit
Rasierklingen. Einer der fuenf schnitt sich in die Beinschlagader. In
Bari kam es zu Auseinandersetzungen, als zwei Marokkaner die
Uebertragung des Fussballspiels Marokko-Algerien sehen wollten. Neun
Tunesier unterstuetzten ihre Forderung und protestierten mit, alle
versuchten kurz darauf einen Ausbruch, woraufhin sie verhaftet wurden.
Als naechstes blueht ihnen nun die Strafverfolgung wegen Widerstand,
Noetigung, Koerperverletzung und schwerer Sachbeschaedigung.

Ein weiterer Fluechtling wurde ins Krankenhaus eingeliefert, nachdem
er Bleichwasser getrunken hatte. Ein anderer fuegte sich mit
Glasscherben aus den Waschraeumen ausgedehnte Verletzungen zu. Von den
erniedrigenden und gesundheitsgefaehrdenden Lebensumstaenden gar nicht
zu reden: Nach dem Regen vor einigen Tagen waren die Matratzen
vollstaendig, sie waren so nass, dass einige Migranten aus Protest auf
ihre Matratzen urinierten, um die Erniedrigung deutlich zu machen, die
sie ertragen muessen! Schliesslich, die Isolation: die Untersagung des
Zutritts fuer jedwede unabhaengige Organisation, mit Ausnahme von
Anwaelten, hat ihre Fruechte getragen! Ein Dolmetscher des Roten
Kreuzes wurde entfernt, offenbar wird nach einer Anzeige zweier
Migranten gegen ihn ermittelt: Im Gegenzug fuer eine --
vorgetaeuschte -- Aufnahme in eine Warteliste fuer die
Aufenthaltsgenehmigung soll er Geld (400 Euro und ein Gegenstand aus
Gold) genommen haben!

Die Ereignisse in Santa Maria Capua Vetere sind lediglich ein
besonders eklatantes Beispiel fuer eine von vielen antirassistischen
und demokratischen Organisationen seit langem vehement angeprangerte
Situation.

Die Beschlagnahme des Lagers erfolgte offenbar aus zwei Gruenden: zum
Einen wurde die bereits seit Wochen von zahlreichen Organisationen
kritisierte Gefaehrlichkeit der Anlage ploetzlich als gegeben
anerkannt. Zum Anderen behaelt sich die Staatsanwaltschaft offenbar
vor, die Entstehung des Brandes genauer zu untersuchen. Die Behauptung
der Polizei, dieser sei nicht von CS-Gas-Patronen, sondern durch
Migranten verursacht worden, genuegte den ermittelnden Staatsanwaelten
offenbar nicht.

Fuer die 98 Lagerinsassen fordert der Migrationsbereich der
Gewerkschaft CGIL nun politisches Asyl.

Die erste grosse Zwangsunterbringung von Menschenmengen unter
polizeilicher und militaerischer Aufsicht erprobte Italien uebrigens
an den Opfern des Erdbebens in L'Aquila in den Abruzzen vor und nach
dem ebendort abgehaltenen G8 Gipfel im Jahr 2009. Dass es sich dabei
um ein Modell handelte, dem eine ueberaus vielseitige Zukunft
angedacht war, zeigt sich spaetestens jetzt in aller Deutlichkeit.
2009 in L'Aquila erkannten nur die Betroffenen und sehr kritische
Beobachter die Tragweite des Unternehmens - der Status "freier
Buerger" schuetzte die Erdbebenopfer nicht vor mitunter sehr
einschneidende Einschraenkungen der persoenlichen Freiheit, dem
Verlust persoenlicher Wuerde und Intimitaet und weiter Teile eines
selbstbestimmten Lebens, Uebergriffe und repressives Handeln erfolgten
aufgrund der Brisanz eines "Katastrophenschutzmanoevers" mit extrem
starkem Zwangscharakter jedoch ausgesprochen "kontrolliert". Die
Erinnerung zahlreicher damaliger Betroffener bleibt dessen ungeachtet
bis heute dramatisch.
(Indymedia/stark bearbeitet)

Quelle: https://linksunten.indymedia.org/de/node/41427



Zum Thema siehe auch: "Das Letzte" in diesem akin-pd



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