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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 12. Jaenner 2011; 01:10
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Offener Brief:

> Fuer die Befreiung von solchen Freidenkern

Kritisches Denken darf nicht durch rassistische und antisemitische
Ressentiments ersetzt werden! Warum ich aus dem Freidenkerbund
austrete.


Ich bin vor ca. einem Jahr dem Freidenkerbund beigetreten. Ich kannte
Euch zwar schon lange, fand Eure grundsaetzlichen Anliegen der
Durchsetzung einer wirklichen Trennung von Religion und Staat immer
wichtig und hatte auch zuvor schon bereits bei Euch referiert.
Allerdings bin ich erst Mitglied geworden, nachdem Ihr moeglichst
viele Mitglieder haben wolltet um eine Gleichstellung fuer
AtheistInnen in der Form einer eigenen Religionsgemeinschaft rechtlich
zu erzwingen.

Seither habe ich Eure Zeitschrift FreidenkerIn genauer gelesen und
auch die Aktivitaeten des von Euch mitgetragenen Zentralverbands der
Konfessionslosen etwas genauer verfolgt. Leider habe ich dabei nicht
nur jene Form des in der Arbeiterbewegung und in der Aufklaerung
basierenden Freidenkertums kennen gelernt, das historisch immer auch
fuer den Freidenkerbund in Oesterreich stand, sondern zunehmend auch
jenen szientistischen Atheismus neoliberaler BiologistInnen wie er
etwa in den USA und Grossbritannien mit Richard Dawkins Einzug
gehalten hat. Mein Freidenkertum war hingegen immer eines, das sich
als Teil einer sozialistischen Bewegung verstanden hat und das
vermutlich mit religioesen SozialistInnen immer noch mehr gemeinsam
hat als mit szientistischen SozialdarwinistInnen.

Was mich dabei jedoch besonders entsetzt hat, ist die zunehmende
Feindschaft gegen religioese Minderheiten, insbesondere Muslime. Ich
bin zwar sehr froh, dass ich meine Kritik am "Zentralrat der
Ex-Muslime" auch in einem Interview mit der "Freidenkerin" formulieren
konnte, allerdings wird das Liebaeugeln dieses "Zentralrats" mit
rechtspopulistischen und rechtsextremen Positionen (wie z.B. Cahit
Kayas Unterstuetzung des SVP-Minarettverbots in der Schweiz oder seine
Sympathien fuer Geert Wilders) nicht zum Anlass genommen sich einmal
selbstkritisch die Frage zu stellen wo die Grenzen zwischen legitimer
Religionskritik und dem Schueren rassistischer Vorurteile gegen eine
ohnehin schon stigmatisierte Minderheit liegen.

Spaetestens mit der Nr. 4/2010 der Freidenkerin verdichtet sich mein
Verdacht, dass hier unter dem Maentelchen des Freidenkertums eine
ressentimentgeladene Ideologie propagiert wird.

Der Artikel von Richard Kofler ueber angebliche "maskuline
Genitalverstuemmelung" ist nicht nur uninformiert und dumm, sondern
vom Ressentiment gegen Juden und Muslime, sowie von der Verharmlosung
weiblicher Genitalverstuemmelung (FGM) getragen. Kofler suggeriert,
dass die Beschneidung der Penisvorhaut des Mannes aehnlich negative
Folgen auf Gesundheit und sexuelle Empfindsamkeit haette, wie die
Verstuemmelung der Klitoris oder der Schamlippen bei der Frau. Damit
widerspricht er jeglicher wissenschaftlicher Erkenntnis der modernen
Medizin, sowie der jahrtausendelangen Praxis von Gesellschaften, die
die Beschneidung der Penisvorhaut betreiben. Es gibt zwar
Beschneidungsformen am maennlichen Penis, die durchaus schmerzhaft und
gefaehrlich sind, allerdings werden diese Formen der Beschneidungen
heute nur bei relativ wenigen tribalen Gesellschaften, etwa in
Australien, durchgefuehrt. Die von Judentum und Islam vorgeschriebene
und auch in den USA unter vielen Christen uebliche Beschneidung hat
keinerlei negative Konsequenzen auf die Gesundheit und das sexuelle
Empfinden der betroffenen Maenner und hat in vielen Faellen sogar
positive gesundheitliche Folgen. Statistisch erkranken deutlich
weniger beschnittene Maenner an Peniskrebs als Nichtbeschnittene, noch
deutlicher ist dies fuer weibliche SexualpartnerInnen.
Sexualpartnerinnen von beschnittenen Maennern erkranken deutlich
seltener an Gebaermutterhalskrebs als von Unbeschnittenen. All dies
bedeutet noch nicht, dass nun alle ihre Soehne beschneiden lassen
sollen, zeigt aber, dass im Gegensatz zur weiblichen
Genitalverstuemmelung bei der maennlichen Vorhautbeschneidung eher
positive als negative gesundheitliche Folgen zu erwarten sind. Vor
allem aber ist die Beschneidung der Penisvorhaut von Maennern alles
andere wie Lusthemmend. Waehrend FGM fuer die betroffenen Frauen je
nach genauer Form der Verstuemmelung jedenfalls Probleme - unter
Umstaenden auch ein voelliges Erliegen der sexuellen Empfindsamkeit -
mit sich bringt, schraenkt die Beschneidung der Penisvorhaut das
Lustempfinden nicht ein, ja fuehrt statistisch in vielen Faellen sogar
zu einem verlaengerten Geschlechtsakt.

Der langen Rede kurzer Sinn: Es gibt keinen rationalen und
wissenschaftlich belegbaren Grund gegen die Beschneidung der
Penisvorhaut von Maennern zu Felde zu ziehen und diese mit der
gesundheitsschaedlichen und schwer die Sexualitaet von Frauen
beeintraechtigenden weiblichen Genitalverstuemmelung (FGM)
gleichzusetzen!

Allerdings gibt es eine jahrhundertelange Tradition des
antisemitischen Ressentiments, das sich mit der Vorstellung vom
beschnittenen Juden verbindet. Bereits Sigmund Freud stellte in einer
Fussnote in "Analyse der Phobie eines fuenfjaehrigen Knaben" einen
Zusammenhang eines Kastrationskomplexes mit dem Antisemitismus her:
"Der Kastrationskomplex ist die tiefste unbewusste Wurzel des
Antisemitismus, denn schon in der Kinderstube hoert der Knabe, dass
dem Juden etwas am Penis - er meint, ein Stueck des Penis -
abgeschnitten werde, und dies gibt ihm das Recht, den Juden zu
verachten." (Sigmund Freud, Gesammelte Werke Bd. VII, Frankfurt/M.
1999, S. 271)

Gluecklicherweise koennten die Kastrationsaengste von Herrn Kofler
dank der Psychoanalyse heute anders bearbeitet werden als durch die
Pflege des antisemitischen oder antimuslimischen Ressentiments. Dass
der Freidenkerbund die Pflege dieser Ressentiments propagiert, statt
diesen entgegenzutreten, ist fuer mich jedoch Grund genug diesen
Verein wieder zu verlassen und mein Freidenkertum von solchen
Organisationen zu befreien.
*Thomas Schmidinger*

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Update 18.1.2011: Wir hatten auch den Freidenkerbund um eine Stellungnahme
gebeten. Diese lag aber erst nach Redaktionsschluss vor und erschien daher
erst in der darauffolgenden Ausgabe.



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