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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 14. September 2010; 21:12
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Wien/Wahlen/Gruene/Glosse:

> Unfaehig zum Streit

Der Standard widmete am Wochenende seinen Schwerpunkt den Gruenen --
am Titel mit einer Karikatur, die Glawischnig, van der Bellen und
Vassilakou als Laookon-Gruppe zeigte, die von einer Wuergeschlange
namens Basisdemokratie in die Mangel genommen wurden --
bezeichnenderweise mit vdB, der ja offiziell in die zweite Reihe
zurueckgetreten ist -- als Laookon, also als Zentralfigur.

Doch wie sieht es wirklich aus mit dieser Wuergeschlange? VdB, der
ueberhaupt keine demokratische Legitimation auf Wiener Ebene hat,
laesst via Zeitungsinterviews verkuenden, dass er im Falle von
Rot-Gruen in Wien sich schon als Stadrat sieht -- und kaum jemanden
stoert das. Glawischnig, die angeblich gar so arg gewuergte, wird von
den Delegierten (also mehr oder weniger eben dieser Basis) mit 96%
wiedergewaehlt. Und was die Wiener Partei angeht, so sei hier der
Weblog von Martin Margulies angefuehrt, worin sich dieser darueber
beschwert, dass die nun Ausgetretenen oder Hinausgeworfenen in
Mariahilf und Josefstadt keine basisdemokratischen Wahlen akzeptieren
koennten -- Wahlen, bei denen speziell in Mariahilf genau das
herausgekommen ist, was in der Lindengasse vorab beschlossen worden
sein duerfte. Also wo hat die gruene Spitze ein Problem mit der
Basisdemokratie? Diese Basis ist doch eh so brav, dass dagegen ein
Parteitag der KPOe in den 1950ern wie eine pluralistische
Veranstaltung wirken muss. Die Nichtwiederwahl von Stefan Schennach
allein kann wohl das Gezeter nicht rechtfertigen.

Man wird den Eindruck nicht los, dass in den buergerlichen Medien
(speziell dem Standard) ganz gezielt versucht wird, die gruene
Fuehrung von den Resten der Basisdemokratie zu befreien. Und von
Resten muss man sprechen, wenn man sich an die Hofuebergabe von van
der Bellen an Glawischnig erinnert oder die Installation des
Bundesgeschaeftsfuehrers, bei der vorher nicht einmal der Erweiterte
Bundesvorstand gefragt worden war. Es wird medial etwas verkuendet,
was im kleinen Kreis besprochen worden ist und dann wird es
abgesegnet -- mit der meist unausgesprochenen, aber evidenten Drohung,
das muesse so sein, weil sonst heisse es gleich wieder: Die Gruenen
streiten ja nur! Dass diese Befriedung halt in seltenen Faellen schief
geht, ist da doch wenigstens eine Hoffnung.

Nein, die Gruenen sind im Gegenteil leider fast voellig
streitunfaehig. Was wie ein Streit erscheint, ist das Geschehen, dass
in der Partei, die halt mittlerweile etabliert ist, derzeit vieles
aufbricht, was lange unter der Decke gehalten worden ist. Der
Widerspruch zwischen Basisdemokratie und Fuehrung ist ein Teil davon,
aber in Wirklichkeit sekundaer. Der Widerspruch zwischen Engagement
und Berufspolitikertum ist das schon viel relevanter -- und alles
andere als leicht zu loesen. Das Verhalten von Schennach ist dabei gar
nicht so verwerflich: Wenn ich Berufspolitiker werde, dann moechte ich
keine Angst davor haben muessen, von heute auf morgen den Sessel vor
die Tuer gesetzt zu bekommen. Das ist zwar in der Privatwirtschaft
auch nicht anders, aber die Angst vor dem Verlust von Job und Prestige
ist da wie dort gleichermassen verstaendlich. Schennach hat es dann
halt eben auch so gemacht: Bevor seine Partei ihn auch als Bundesrat
fallen laesst (oder auch gar keinen Wiener Bundesrat mehr stellen
kann), ist er halt lieber zu einer anderen Firma, sprich: Partei
gegangen. Eine offene Diskussion, wie man mit dem Berufspolitikertum
(das auch nicht ganz ohne Meriten ist) umgeht, waere angesagt. Doch
die Diskussion findet nicht statt, sondern die Parteispitze zeigt sich
enttaeuscht ueber diesen Liebesentzug -- das ist wirklich kein reifes
Verhalten fuer eine an und fuer sich schon ein bisserl zu sehr
erwachsene Partei.

FuehrerInnenprinzip

Womit wir bei der Personalfrage waeren: Ehrlich, ich mag Eva
Glawischnig ganz persoenlich nicht und vielleicht truebt diese seit 20
Jahren bestehende Antipathie auch mein Urteilsvermoegen. Aber der
Vorwurf gegen sie, sie haette keine Fuehrungsqualitaeten nervt auch
mich. Die frage ist doch nicht, ob die Partei von Sascha, Eva oder
irgendeinem Hugo gefuehrt wird, die Frage muss lauten: Braucht es
ueberhaupt eine solche Frontfigur? Eine Frage, die die Gruenen in
ihren Anfangsjahren immer wieder gestellt haben, doch spaetestens seit
der Aera vdB als beantwortet ansehen. Zugegeben, wahrscheinlich
braucht es eindeutige Zustaendigkeiten und Strukturen in der Partei;
Strukturen, die schon allein durch Gesetz und gesellschaftliche
Mechanismen vorgegeben sind. Aber braucht es eine Einzelperson als
Chefitaet? Braucht man jemanden, der zu allen Fragen, auch zu solchen,
wo diese Person nunmal keine wirkliche Expertise liefern kann,
gegenueber der Journaille Stellung bezieht? Muss man die mediale
Vorgabe des Einzelgesichts, das fuer eine Partei als Ganzes steht,
wirklich immer erfuellen? Die Gruenen sind einst angetreten die Welt
zu veraendern, aber sie sind nicht oder nicht mehr in der Lage, auch
nur ein bisserl an den buergerlichen Spielregeln zu kratzen. Zu diesem
Thema wuensche ich mir einen Streit, einen fundierten, ja, auch
manchmal lauten; auch deswegen um prinzipielle Probleme der
Gesellschaft aufzeigen zu koennen.

So ist auch der Umgang mit den Auseinandersetzungen in der Partei
einschlaegig: Anstatt offensiv das Thema anzugehen, tun die
Mariahilfer Gruenen so, als waere nichts passiert. Waehrend ganz
Oesterreich mittlerweile informiert ueber die Spaltung ist, findet
sich auf mariahilf.gruene.at darueber kein Sterbenswoertchen. Waehrend
der Josefstaedter Spitzenkandidat Spritzendorfer in einem Beitrag auf
der Josefstaedter Homepage wenigstens seine Sicht der Geschehnisse
praesentiert, stellen sich die Mariahilfer auf ihrer Site als
Wonneproppen dar, die kein Waesserchen trueben koennen. Nur wenn man
auf die Rubrik "BezirksraetInnen" klickt, wird erkennbar, dass da ein
Kahlschlag passiert ist -- drei MandatarInnen werden da aufgefuehrt,
bei 2005 errungenen 12 Mandaten ein ziemlich trauriger Rest. Und doch
spielen die Mariahilfer Gruenen das Spiel: es gibt keine Vergangenheit
und wir blicken nach vorn und wir sind alle ganz neu und aufmuepfig
und jung und dynamisch etc. etc. Das ist jaemmerlich.

Inhalte?

Gestritten wird aber bei den Gruenen schon gar nicht ueber Inhalte und
das ist vielleicht das Hauptproblem. Die Annahme liegt nahe, dass eine
Partei, die staendig streitet, nach aussen hin nicht das Bild liefert,
sie haette eine klare politische Linie. Nur: Nach aussen dringt ja gar
kein sachlicher Streit ueber Inhalte und intern ist er auch sehr
verhalten. Nur so konnte es passieren, dass die dissidenten Gruppen
aus Mariahilf und Josefstadt unter einem gemeinsamen Namen
zusammenfanden, denn ideologisch haben die Linken um Weihs und
Rakousky in Mariahilf eher etwas mit Rahdijans bisheriger Vize Doris
Mueller zu tun als mit ihm selbst. Tatsaechlich geht es aber auch hier
nicht um Inhalte, sondern um die Unzufriedenheit mit dem Apparat, also
mit der Lindengasse.

Eine inhaltliche Debatte aber waere eine feine Sache -- es wuerde zwar
die evidenten Widersprueche einer Partei, die bis heute keine klare
Definition ihres Weltbildes zustandegebracht hat, noch mehr ins
Rampenlicht zerren, aber damit wuerde auch klarer, wo die
Diskussionspunkte liegen und wie denn die Welt veraendert werden
koennte. Solche Debatten schaden nicht, sondern sind aeusserst
hilfreich, wie andere Parteien beweisen: Der steirische
Landeshauptmann Voves, der lange Zeit als voellig farb- und
ueberzeugungslos gegolten hatte, konnte einiges an Profil zulegen, als
er massiv die Wirtschafts- und Sozialpolitik der EU, der Regierung und
damit auch der SPOe kritisierte. Die Loewelstrasse gab sich "not
amused", aber Voves konnte sich als ein Protagonist gesellschaftlicher
Veraenderung praesentieren. (Dass er selbst seine konkreten
Handlungsmaximen als Landeshauptmann auch nicht nach links wendete,
sondern im Gegenteil die Linken in der Landespartei versucht
kaltzustellen, steht auf einem anderen Blatt.)

Streiten macht sexy

Das schoenste Beispiel aber, wie man Streit produktiv nutzen kann,
kommt aus den USA. Als 2008 die Wahl des Praesidenten (oder vielleicht
sogar einer Praesidentin) anstand, lieferten sich Obama und Clinton
einen heftigen oeffentlichen Kampf um das demokratische Ticket. Auch
da meinten die Auguren, dass diese Auseinandersetzung beiden
Kandidaten massiv schaden wuerde. Doch es kam ganz anders. Denn trotz
der fast totalen Verfoxung des US-Fernsehens kam der republikanische
Kandidat, der schon seit langem feststand, nur mehr selten auf die
Bildschirme. Praesent war hoechstens seine Vize-Kandidatin, aber halt
leider auch nur eher als Lachnummer. Obama und Clinton hatten hingegen
die Gelegenheit, ueber so ziemlich jedes politische Thema ihre
Positionen zu praesentieren -- als Obama als Kandidat fix war, konnte
die Nation bereits sein Wahlprogramm im Schlaf hersagen und "yes, we
can" war selbst im Bible Belt ein gefluegeltes Wort. Hingegen musste
man sich erst die republikanischen Werbespots anschauen, um wenigstens
irgendwie eine Ahnung zu haben, wer denn dieser McCain eigentlich ist.

Ein gut gefuehrter Streit ist also nicht nur hilfreich, um zur
internen Bewusstseinswerdung dialektisch genuetzt zu werden, sondern
kann auch in der Oeffentlichkeit etwas bringen -- sofern man willens
und faehig zum Streit ist. Und das sind die Gruenen halt nicht. Ihre
Oeberen verhalten sich wie so manche Alternativschullehrerin, die bei
einer Auseinandersetzung unter ihren Erziehungsunterworfenen sagt:
"So, jetzt halten wir uns alle an den Haenden, singen ein Lied und
nachher ist alles gut und es wird nimmer gestritten". Ja und das ist
eben das Grundverhalten der Gruenen: Sie sind konfliktunfaehig. Die
Unzufriedenheit ist gross, aber nur wenige machen das Maul auf. Wird
dann doch trotz aller Befriedungspolitik einmal ein Streit virulent,
dann schliesst sich der Rest der Partei nur noch umso enger zusammen.
Dann gibt es auch Wahlergebnisse wie diesen Sonntag am Bundeskongress.
Und damit ist der kuschelige Zusammenhalt in der Familie
wiederhergestellt. Eine heile Welt ist schon was Schoenes.
*Bernhard Redl*

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Siehe dazu auch die Wiener Wahl-WWWebtips im heutigen akin-pd, Tip 3

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