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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 27. Mai 2008; 14:41
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Israel/Palaestina/Oesterreich:

> Mit und ohne Jagdschein

130 Leute versammelten sich am 17.Mai, eng gedraengt, im Hotel Regina,
nachdem sie aus dem Albert-Schweitzer-Haus und dann aus der
Arbeiterkammer verjagt worden waren. Es war die Veranstaltung der
Initiative "Gaza muss leben", der Antisemitismus vorgeworfen worden
war und die daher in christlichen und sozialdemokratischen
Institutionen keinen Platz fand. (s. akin 14/08)
*

Am Podium sassen Gamal el Khoudary, unabhaengiger Abgeordneter aus
Gaza, Anas Schakfeh (Praesident der Islamischen Glaubensgemeinschaft
in Oesterreich), Karin Resetarits, (EU-Abgeordnete), Viola Raheb
(evangelische Religionspaedagogin aus Bethlehem), Peter Melvyn
(Juedische Stimme fuer einen gerechten Frieden in Nahost), Paula
Abrams-Hourani (Frauen in Schwarz), Franz Sieder (Betriebsseelsorger
in Amstetten) und Fritz Edlinger (Gesellschaft fuer
Oesterreichisch-Arabische Beziehungen). Moderiert wurde die Diskussion
vom Journalisten Leo Gabriel.

"Es ist leichter, von Gaza nach Wien als nach Jerusalem zu kommen, die
unzaehligen Strassensperren machen dies unmoeglich!" sagte eingangs El
Khoudari in seinem Eingangsstatement und gab zunaechst einige
sprechende Daten bekannt: "80% der Menschen in Gaza leben unter der
Armutsgrenze, 65 % sind arbeitslos, 140.000 Arbeiter koennen derzeit
nicht arbeiten, da Israel die Zufuhr von Rohstoffen nach Gaza
verhindert. Somit sind 1.300 Fabriken stillgelegt und koennen nicht
produzieren. 45% der 1,5 Millionen Menschen umfassenden
Gesamtbevoelkerung sind Kinder, und 60% dieser Kinder leiden unter
Blutarmut und weiteren schweren Krankheiten. Diese Zahlen stammen von
internationalen Organisationen. Sie leiden auch darunter, dass sie
nicht behandelt werden koennen. Die Reduktion der Oelzufuhr fuehrte
dazu, dass die Leute keinen Strom, keinen Sprit, kein Oel mehr haben.
49% der oeffentlichen Verkehrsmittel sind bereits stillgelegt."

Christliches

Viola Raheb verkoerpert jenes ernsthafte und engagierte
Basischristentum, das hierzulande beinahe unbekannt ist. Nicht ohne
Grund ist sie Protestantin, und Theologin. War in Palaestina als
Schulleiterin taetig. Sie studierte in Heidelberg und veroeffentlichte
zwei Buecher und zahlreiche Aufsaetze in deutscher Sprache. Sie ist
unter anderem Mitglied des Netzwerks fuer Friedenserziehung im
Weltkirchenrat.

Leo Gabriel sprach zuerst die Christen an: "Meine erste Frage an Viola
Raheb: Gibt es ueberhaupt diese Differenzierung zwischen Islam und
Islamismus, ist Gaza etwas Besonderes und von der Westbank und anderen
Teilen der islamischen Welt Verschiedenes? Und um der Frage auf die
Spur zu kommen, warum setzt man diese Bevoelkerung so aus, warum
richten sich so viele Vorurteile gegen sie?"

Raheb machte in ihrer Antwort auf die ideologische Umdeutung von
Widerstand in Terrorismus und auf die systematische Desinformation
aufmerksam, die es ermoeglicht, die Angst vor dem Unbekannten zu
schueren: "Nach dem 11. September hat sich die internationale Politik
geaendert bezueglich des international anerkannten Rechts auf
Widerstand. Ohne das koennen wir nicht verstehen, was in Palaestina
vor sich geht. In diesem Krieg hat man einen neuen Feind gefunden.
Einige nennen ihn Islam, andere Islamismus. Es gibt viele Namen. Man
hat einen Feind gebraucht, der fuer die Mehrheit fremd ist, da hat
sich der Islam angeboten. denn damit ist die Mehrheit nicht vertraut.
Denn das, was man nicht kennt, davor hat man Angst."

Dann Kaplan Franz Sieder: "Ich moechte als katholischer Priester
sagen, dass ich den Holocaust zutiefst verurteile und dass es das
groesste Verbrechen der Menschheitsgeschichte war und dass man nichts
mit dem Holocaust vergleichen kann. Gleichzeitig koennen die
unmenschliche Politik und die Verbrechen, die heute von Israel am
palaestinensischen Volk begangen werden, nicht mit dem Holocaust
gerechtfertigt werden. Der spezifische christliche Glaubensanspruch,
das Gebot der Naechstenliebe, gebietet es, diesen Menschen zu helfen.
Grenzen zuzumachen und diese Menschen dem Hungertod preiszugeben, das
ist fuer mich Mord und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. ...
Sicher hat auch Israel das Beduerfnis, in Frieden zu leben." Die
Politik Israels sei es jedoch, "mit einer militaerischen Uebermacht
und dem Besitz von Atombomben den anderen in die Knie zu zwingen und
zu einem Sklaventum und unmenschlichem Leben zu degradieren." Der
Unterschied zwischen den Kontrahenten sei immens: Auf der einen Seite
"die, die mit dem Militaer toeten, gewissermassen einen Jagdschein zum
Toeten besitzen, und die anderen, seien es Selbstmordattentaeter, die
sind dann die sogenannten Wilden und werden zu Terroristen
abgestempelt. ... Wenn Praesident Bush heute in den Nahen Osten kommt,
ist er nicht der geeignete Vermittler, weil er parteiisch fuer Israel
ist und sicher nicht fuer die Armen und Schwachen einsteht." Und hier
fuehrt er einen grossen Bogen zu einer Grundthese des christlichen
Engagements zurueck: "Es geht uns einzig und allein darum, ein Anwalt
der Schwachen zu sein und Frieden zu stiften. Die Friedensstifter
werden in der Bergpredigt selig gepriesen, die Feindesliebe sagt uns,
dass wir nicht nur die Leiden des eigenen Volkes in betracht ziehen
muessen, sondern auch die des anderen. Die Israelis muessen sich
bewusst werden der Leiden des palaestinensischen Volkes, und die
Palaestinenser der des juedischen. ... Eine Aug-um-Aug und
Zahn-fuer-Zahn-Politik kann nicht zum Frieden fuehren. Hinein spielt
auch die Angst der Israelis vor der Atombombe. Ich bin nicht dafuer,
dass Iran Atombomben baut, ich bin aber auch dagegen, dass Israel oder
die USA Atombomben haben. ... Frieden kann nur durch den permanenten
Abbau der Ruestung geschaffen werden. Auch nicht durch eine weltweite
neoliberale Wirtschaft, die Inseln von unermesslichem Reichtum
schafft, wenn Millionen dem Hungertod preisgegeben werden. ... Eine
andere Welt ist moeglich, und fuer diese andere Welt werden wir auch
weiter kaempfen und unser Leben einsetzen."

Islamisches

Anas Shakfeh, Praesident der Islamischen Glaubensgemeinschaft wies auf
den legitimen Charakter des Sieges der Hamas hin: "Die Wahlen fanden
nicht nur in Gaza statt, sondern auch auf der Westbank. Diese Partei
hat sowohl im Gazastreifen als auch in der Westbank gewonnen. ...
Unbestreitbar: Die Religion ist dort meinungsbildend, aber nicht
allein. Es gab auch andere innenpolitische, wirtschaftliche Motive.
... Die Welt hat gesagt: Das ist unverstaendlich, suspekt, und jede
Zusammenarbeit mit dieser Partei wurde abgelehnt. Bis dahin kann man
das nachvollziehen und verstehen. Darueber kann man reden; aber das
Gespraech zu verweigern, das ist problematisch."

Und nun folgt eine bittere Anklage: "Nach der Gespraechsverweigerung
gab es die verschaerften Boykottmassnahmen Israels. Wir haben jetzt
die kollektive Bestrafung eines ganzen Volkes! Das ist
voelkerrechtswidrig. Man darf nicht alle bestrafen, wenn man einige
treffen will."

In der Folge versucht Shakfeh, einen Kausalzusammenhang zu schaffen
zwischen der Schoah und dem Unrecht in Palaestina. Die Schoah war "ein
massloses Unrecht, die Schoah hat stattgefunden, und wer sie leugnet,
leugnet die Wahrheit." Allerdings bezeichnet er die Unterdrueckung der
Palaestinenser als "die unmittelbare Folge davon" und "fuer beide
Unrechte, fuer beide Katastrophen tragen vor allem die Deutschen
schuld."

Juedisches

Lakonisch berichtet Paula Abrams-Hourani ueber ihr Projekt, die
"Frauen in Schwarz". Zentrale Aufgabe der Organisation sei, "eine
Luecke zu fuellen, die die Medien regelmaessig vernachlaessigen."
Eingaben und Petitionen gehoeren zum taeglichen Brot der Initiative:
"Ich weiss nicht, wie viele Briefe wir an das Aussenministerium
gerichtet haben." Als Vertreterin Oesterreichs war sie im Februar mit
einer kleinen internationalen Gruppe auch im Westjordanland. Dort
wurden die "echten israelischen Friedensgruppen" kontaktiert: Die
Physicians for Human Rights und das Alternative Informationszentrum in
Jerusalem. Und in Rueckbeziehung auf die grosse Tradition des
juedischen Humanismus sagt Abrams-Hourani: "Als Jude hat man die
Pflicht, nicht zu schweigen zu diesen Verbrechen. Wir muessen die
Politiker daran erinnern, dass sie eine Verantwortung haben fuer die
Freiheit des palaestinensischen Volkes."

Peter Melvyn von den Juedischen Stimmen fuer einen gerechten Frieden:
"Sie werden sich wundern, warum eine juedische Gruppe nicht feiert wie
die juedischen Gemeinden in aller Welt. Die Antwort ist: Wir feiern
nicht, weil es nichts zu feiern gibt, genauso wie unsere
Schwesterorganisationen in 10 europaeischen Laendern nicht feiern.
Denn der Staat Israel beruht seit seiner Gruendung auf Terror, auf
Massakern, auf ethnischer Saeuberung. ... 750.000 Menschen wurden
damals vertrieben, ihr Hab und Gut wurde beschlagnahmt, Israel hat
sich auch daran bereichert, und solange Israel das nicht anerkennt,
kann es, glaube ich, keinen Frieden geben."

Parteipolitisches

Nun stellte Leo Gabriel eine interessante, aber "schwere" Frage an
Karin Resetarits: "Welche Moeglichkeit der Aenderung der EU-Politik
sehen Sie und was kann man dazu beitragen, dass sich diese Politik
aendert?" Mit ihrer Antwort skizzierte Resetarits die hierarchische
Verfasstheit der EU-Institutionen und lieferte ein wertvolles
Lehrstueck fuer EU-Skeptische.

Die Mehrheit im EU-Parlament wolle Aenderungen, aber sie komme gegen
den Rat nicht auf, der sich aus den Aussenministern, Premierministern
und Kanzlern zusammensetze. "Das letzte Wort liegt in den Haenden der
Regierungschefs." Die politische Stagnation besonders in Oesterreich
wirke sich natuerlich auf die europaeische Ebene aus. "Wenn wir
wenigstens eine klare engagierte Antwort bekaemen, aber (es ist) ein
feiges Sich-Herauswinden. Solche Leute sitzen in der Regierung, und
sie sitzen im Rat. Dieser Rat, der sich alle 3 Monate trifft,
beschliesst, ob ein Embargo aufgehoben wird oder nicht." Und dagegen
setzt sie die exemplarische politische Basisarbeit von Luisa
Morgantini, "eine tolle Frau", Stellvertretende Vorsitzende des
EU-Parlaments, von der italienischen Rifondazione herkommend. Staendig
werden von ihr Reisen nach Gaza organisiert, die Abstimmungsmehrheiten
im EU-Parlament waeren ohne sie nicht moeglich gewesen.

Und nun stellte Leo Gabriel an Fritz Edlinger eine Frage, die diesem
wohl nicht das erste Mal gestellt wird: Was denn in Oesterreich von
der Kreisky-Tradition noch uebrig bleibe? Damals sei die
palaestinensische Seite das erste Mal als gleichwertiger Partner
anerkannt worden. Edlinger, nicht faul, schiesst sich als Antwort
sofort auf einen Beitrag der oesterreichischen Aussenministerin zu
Israel ein, der im Standard erschienen war. Es sei "schlicht und
einfach ein Skandal, was sich die Frau Dr. Plassnik an Lobhudeleien
ueber das 'Pionierland, das die Wueste zum Bluehen gebracht hat'" da
geleistet habe.

Oesterreich habe ja immer, so heisse es da, sehr gute
freundschaftliche Beziehungen zu Israel gehabt, "mit einer kurzer
Unterbrechung, wo es nicht so gut war" fasst Edlinger zusammen. "Was
sie gemeint hat, ist wohl klar, die 13 Jahre, wo Kreisky Bundeskanzler
war, wo Oesterreich an der Spitze des europaeischen Dialogs mit den
Palaestinensern war." Welch ein Unterschied, wenn man sich dagegen
heute die Regierungen anschaue: "Welche Regierung, das ist eigentlich
schon zweitrangig, das ist keine parteipolitische Frage mehr. Feige
Rote und feige Schwarze gibt es, und in der Nahostpolitik ganz
besonders."

"Viele in Oesterreich haben mit der Vergangenheit so abgeschlossen,
dass sie sie einfach verdraengt haben, wir haben einfach die
Nazi-Greuel verdraengt. Wir haben hochrangige Nazis sowohl bei den
Roten wie bei den Schwarzen (von den anderen brauch ich nicht zu
reden). Heute wird diese Sache in Wirklichkeit umgedeutet, und jenen,
die fuer Menschenrechte eintreten im Falle des palaestinensischen
Volkes, wird eine Keule auf den Kopf geschlagen, und es wird gesagt:
Wenn jemand fuer die Palaestinenser eintritt, ist er ein alter und
junger Nazi, oder ein neuer Antisemit. Das tritt uns jeden Tag
entgegen. Es ist ihr Recht, ihren eigenen Staat zu bekommen, ihre
Selbststaendigkeit zu bekommen, so wie auch andere Voelker das Recht
hatten. Sie sind eines derjenigen Voelker, denen dieses Recht
verweigert wird, und zwar seit 60 Jahren in immer staerkerem Ausmass.
Die Amerikaner koennen mit dem Rest der Welt machen was sie wollen,
nicht nur mit den Arabern, diese Wahrheit ist unangenehm. Bist du
gegen Amerika, dann bist du ein Antisemit. Das ist etwas Neues. Als
wir fuer Vietnam auf die Strasse gingen, was das nicht die Frage. Auf
einmal ist es eine noble Sache, fuer die Amerikaner zu sein und die
Amerikaner aufzufordern, Nuklearwaffen einzusetzen. Die Welt ist mit
einem Angriffskrieg erster Guete konfrontiert und die Welt schweigt.
Es geht nicht um humanitaere Hilfe, diese Frage loest sich von selbst,
wenn die fundamentalsten Menschenrechtsfragen implementiert sind. ...
Wenn man die Wahrheit ausspricht, muss man sagen, dass Palaestina seit
60 Jahren besetzt ist."
*Aug und Ohr (bearb.)*


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