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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 21. September 2004; 18:19
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Linke/Imperialismus/Debatte:

> Antiamerikanische Linke

Antwort an Fritz Pletzl (akin 20/04)

In fast jedem (Solidaritaets-)Flugblatt linker Gruppen heisst es: "Tue dies,
mache das, marschiere gegen...usw". Trotzdem wuerde mir nie einfallen,
Demoaufrufe als "arrogant" oder "oberlehrerhaft" zu bezeichnen.

Ich kenne Fritz Pletzls Freunde nicht, weiss nicht, was sie denken. Ich kann
nicht sagen, ob sie unterschiedlicher Meinung sind. Ich will auch niemanden
beleidigen, der "unter Dollfuss im Gefaengnis gesessen" hat. Ich glaube,
hier herrscht ein Missverstaendnis. Und ich weise mit Entschiedenheit
zurueck, dass ich "alle Linken ueber einen Kamm schere." Im Gegenteil: Ich
denke, ich formuliere ganz genau, wer womit gemeint ist, wie z.B. letzte
Woche, als die Organisatoren von Friedensdemos gemeint waren, die immer nur
dann organisieren, wenn die USA was damit zu tun hat.

Es geht nicht um bestimmte Personen oder Gruppen. Es ist unwichtig, ob sie
sich "Anarchisten" oder "Kommunisten" oder sonstwie nennen. Es geht mir um
eine Kritik eines bestimmten Verhaltens und Denkens, nicht mehr, nicht
weniger.

Welche "Linke" sind gemeint und wie "individualistisch" sind sie zur Zeit?

Seit rund eineinhalb Jahren stecke ich in einer intensiven Diskussion mit
anderen (Linken) ueber die USA und deren weltpolitischer Rolle. Mir wurden
zahllose Internet-Links zugesandt und einige Buecher empfohlen, ich bin, so
weit wie moeglich, den Dingen nachgegangen. Gefunden habe ich einen einzigen
antiamerikanischen Brei. Von Individualismus keine Spur. Im Internet
schreiben die Leute immer wieder die gleichen Geschichten und Behauptungen
voneinander ab.

Das grosse Problem der Geschichten ist: Sie werden unvollstaendig
wiedergegeben, aus dem Zusammenhang gerissen und logisch falsch verknuepft.
Finstere "Verschwoerungstheorien" rund um die "Abschaffung der Demokratie
und US-Imperialismus" florieren.

Ein Beispiel um das zu erlaeutern: Seit einiger Zeit kursiert eine "schwarze
Liste" ueber die "Verbrechen der US-Aussenpolitik nach 1945". Diese Liste
listet alle bekannten und unbekannten Konflikte, an denen die USA in
irgendeiner Weise beteiligt war, einfach auf und schiebt die Anzahl der
Toten allein auf das Konto des US-Militaers. Diese Liste taucht immer
wieder, ueberall, in Gespraechsforen und sogar auf Neonazi-Seiten auf. Ohne
zu erklaeren oder zu zeigen, was und warum es passiert ist.

Diese Liste ist purer Antiamerikanismus. Wer jetzt glaubt, behaupten´zu
muessen, ich wuerde "Kritik an der US-Politik" mit "Antiamerikanismus"
verwechseln, dem sage ich: Ich verwechsle da ganz sicher nichts, ich kann
das bestimmt sehr gut voneinander unterscheiden, deshalb beschreibe ich,
WIESO es sich um Antiamerikanismus handelt: Diese Liste ignoriert z.B.
fundamentale Prinzipien. Sie ignoriert voellig, dass es immer einen
"Angreifer" gibt, der einen Krieg beginnt und damit die Schuld traegt.
Wuerde irgendwer den von den Deutschen ueberfallenen Franzosen die Schuld am
1. Weltkrieg geben oder Belgien 20 Mio. Weltkriegstote anlasten?

Die Liste sieht das anders. Die Toten des Koreakriegs z.B. werden den USA
zugerechnet. Obwohl Nordkorea zuvor mit Unterstuetzung der Sowjetunion als
erstes in Suedkorea einmarschiert ist, um Korea "wiederzuvereinigen". Auch
die Sowjetunion selbst ist 1979 aufgrund eines "Freundschaftsvertrages" in
Afghanistan einmarschiert und das Land versank anschliessend in Armut und in
einem Buergerkrieg, in dem die Taliban mit Unterstuetzung des islamistischen
Pakistans in den 90ern an die Macht kamen.

Wie kann diese Liste die Frechheit haben, die Toten in Afghanistan nach 1979
den USA zuzurechnen? Was ist das fuer eine Verdrehung weltpolitischer
Geschichte??? Aus welchem Eck kommt diese Liste? Wer hat Interesse daran,
Kriegstote den USA anzulasten, wenn andere verantwortlich sind?

Ich koennte ja ein paar Namen nennen. Ich koennte z.B. "Juergen Elsaesser"
hinschreiben oder "", doch wozu, es geht nicht um Personen, es geht um ein
bestimmtes Denken innerhalb der Linken.

Ist es "Zufall", dass gerade Fritz Pletzl auf meine Kommentare so empoert
reagiert? Habe ich einen wunden Punkt getroffen? Mir geht der grassierende
Antiamerikanismus ehrlich gesagt ganz schoen am Nerv, nicht zuletzt deshalb,
weil er auf falschen Behauptungen beruht.

Ich denke, fuer diesen Antiamerikanismus sind mangelhafte Bildung und die
Unfaehigkeit, Zusammenhaenge zu verstehen und sich mit einer Sache
ausfuehrlich zu befassen eher verantwortlich als "ideologischer Hass".

Es ist aber kein Zufall, dass dieser "Antiamerikanismus" aus jenem linken
Eck kommt, das noch immer ein, sagen wir, "eigenartiges Verhaeltnis" zum
Kommunismus hat. Fuer sie ist der Zusammenbruch des Kommunismus ein
"Betriebsunfall" oder ein "maechtiger Zerstoerungsakt des amerikanischen
Kapitalismus."

Diese Linke hat ein bedenkliches Verhaeltnis zur Gewalt. Da mutieren Hamas
und radikalislamistische Terroristen zu "Freiheitskaempfern gegen die Armut,
hervorgerufen vom Kapitalismus." Eine paranoide Fehleinschaetzung.
Vielleicht ist es sogar noch schlimmer: Irakische "Widerstandskaempfer"
bezeichnen z.B. die UN als "Handlanger der USA" und rechtfertigen damit
brutalen Terror (z.B. den Anschlag auf das UN-Hauptquartier in Bagdad mit
zahlreichen Toten). Wo haben die so einen grenzdebilen Bloedsinn her? Man
kann ihn zuhauf auf diesen "linken Websites" lesen! Die Linke wird sich also
von mir die Frage gefallen lassen muessen, was sie zur Unterstuetzung des
radikalislamistischen Terrors, des Faschismus des 21.Jhdts., beitraegt!

Zurueck zum Sudan (ein bisschen weltpolitische Bildung ist immer gut):

- "Syrien testet chemische Waffen an Sudanern" ("Die Welt", 15.9.04)

Syrische Offiziere trafen sich mit Vertretern der sudanesischen Armee. Es
wurde vorgeschlagen, die Wirkung chemischer Kampfstoffe an der
schwarzafrikanischen Bevoelkerung zu testen. Im Juni wurden "urploetzlich
mehrere Dutzend eingefrorener Leichen ins Krankenhaus gebracht." Sie hatten
"am ganzen Koerper merkwuerdige Verletzungen." Zeugen berichteten, dass
danach der Zugang im Spital "nur noch einem unbekannten syrischen Aerzteteam
gestattet" wurde.

- Zeugenberichte aus dem Sudan: (ARTE-Reportage, Mi. 15.9.04)

"Um 6 Uhr frueh haben sie unser Dorf angegriffen. Drei Menschen starben,
drei sind verschwunden." "Und wer hat Sie angegriffen?" "Die
Regierung...Dschandschavit-Milizen und Soldaten. Sie ueberfielen uns im
Morgengrauen. Sie haben das ganze Dorf zerstoert, alles niedergebrannt. Sie
nahmen alles mit und zogen wieder ab."

Hilfslieferungen der UN (es gibt genug Nahrungsmittel) in die
Fluechtlingscamps werden uebrigens bis zu drei Monaten von der sudanesischen
Polizei aufgehalten.

200.000 der mehr als 1 Mio. Gefluechteten leben in "Sperrgebieten", isoliert
von Hilfe und der Sektor wird von Rebellen kontrolliert. Ueber die Haelfte
von Darfur gilt als "unsicheres Gebiet", wo die UNO gar nicht hindarf.
Hilfsorganisationen helfen dort "auf eigene Gefahr".

Die UN hat vor mehr als vier Wochen mit der sudanesischen Regierung eine
Einstellung der Kaempfe vereinbart. Die Wirklichkeit sieht anders aus:
Massenexodus aus dem Dorf Yassim.

Es gibt Schaetzungen, dass jedes Monat 6.000-10.000 Fluechtlinge nur wegen
dem schlechten Trinkwasser sterben.

- Das ist die Realitaet! - Aber nehmen wir einmal an, morgen wuerde die USA
militaerisch (ohne "neue" UN-Resolution, weil China ein Veto dagegen
einlegt) eingreifen, das rassistische Regime absetzen, rund 20.000 arabische
Kaempfer und Dschandschavit-Milizen im Kampf toeten bzw. gefangen nehmen und
1 Mio. Fluechtlinge koennten in ihre Doerfer zurueckkehren: Was wuerden wir
dann in 10 Jahren auf zahlreichen linken Websites lesen?

- Eine Liste gibt den USA die Schuld an 100.000 Toten fuer den "2004: Krieg
gegen den Sudan". - Alles wegen dem Oel! Als "Beweise" werden uns
amerikanische Firmen praesentiert, die sich am Wiederaufbau des Sudan
beteiligen. Ich nehme an, auch diese (boes durchtriebene) "Carlyle-Group"
wird man nennen. - Es wird heissen: "angebliche Massaker" an der
Zivilbevoelkerung wuerden als "Kriegsgrund" vorgegeben, um die UN zur
militaerischen Intervention zu "zwingen". Das "pazifistische China" wollte
diesen Krieg "verhindern". - Man wird schildern, wie die USA die Medien des
Westens "gesteuert" hat, um "angebliche Berichte" ueber "sudanesische
Graeueltaten" zu lanzieren und die Meinung zu beeinflussen.

Ja, ich rufe die Linke dazu auf, sich an alte antifaschistische Werte zu
erinnern und sich von den Antiamerikanern endlich zu distanzieren.
*Thomas Herzel*

***

Lieber Thomas!

> Zu Vorstehendem

Schwer, keine Antiamerikanerin zu sein! Ich hab die ominoesen Listen, von
denen Du sprichst, nicht gelesen, sie enthalten ganz sicher einigen
Bloedsinn, wie alles, was in Richtung Monokausalitaet geht. Nichts passiert
nur aus einem Grund. Sicher sind die Amerikaner nicht an allem schuld, was
auf der Welt an Widerwaertigem passiert. Ich hab mich als Kind auch immer
ueber meinen Vater aufgeregt, der mir zu erklaeren versuchte, dass an den
allermeisten Widerwaertigkeiten der Kapitalismus schuld sei. Aber je laenger
ich lebe, um so mehr komm ich drauf, dass der Kapitalismus zwar nicht an
allem schuld ist, aber dass er an den meisten Widerwaertigkeiten mitschuld
ist. Das Patriarchat auch, und die Gier und ... und ...

Nun hat die Bevoelkerung der USA doppelt Pech: Sie wohnen in einem Land,
dessen Praesident sich als Weltherrscher fuehlt, also zum Groessenwahn
neigt. Und ausserdem muss er "sein" kapitalistisches System, das er fuer das
einzige und beste und wunderbarste ueberhaupt haelt, ueberall hin
exportieren. Mit Gewalt. Da dieser Praesident ohnehin nur von 20% der
amerikanischen Bevoelkerung gewaehlt wurde, halten also ohnehin
moeglicherweise nur 20% der amerikanischen Bevoelkerung das fuer richtig,
was ihr Praesident ganz fest glaubt, aber er ist halt an der Macht.

Und fuer die Menschen ausserhalb der USA verkoerpert der Praesident das
Land. Fuer die Amerikaner hat zuerst die Trapp-Familie, dann Waldheim und
jetzt Schwarzenegger Oesterreich verkoerpert. Deshalb sind die Amerikaner
aber keine Anti-Oesterreicher. Oder hast Du Dich davon angegriffen gefuehlt,
dass Waldheim auf der Watchlist steht?

Verwechsle bitte nicht Aktionen gegen die Regierung der USA mit
Antiamerikanismus! Die Situation im Sudan ist grauenhaft, ohne Frage, aber
warum kann das nur von den USA geregelt werden? Vor allem ist doch auch die
Frage, warum es ueberhaupt so weit kommen konnte. Wahrscheinlich hast Du
nicht genug aufgepasst, was in jedem Winkel der Welt passiert - genau wie
wir alle.

Warum soll ich mich von den Antiamerikanismen distanzieren? Ich fuehl mich
nicht antiamerikanisch, wenn ich Aktionen der amerikanischen Regierung nicht
gutheisse. Schliesslich haben wir alle das Recht, alle Regierungen aller
Laender zu kritisieren, inklusive unserer eigenen.
*Ilse Grusch*





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