Samstag, 24. Januar 2009
 
"Mach was Gescheiteres" PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Michael Genner   
Donnerstag, 24. April 2008

Der Vorsitzende von Asyl in Not erinnert sich in einem weiteren Kapitel der bewegten Tage im Revolutionsjahr 1968.

Vom Berliner Vietnamkongreß zum Ersten Mai in Wien    

Im Februar 1968 fuhr ich mit einer Delegation der sozialistischen Studenten zum Vietnamkongreß nach Berlin. Es war eindrucksvoll, eine Bildungsreise. Die Springer-Presse veranstaltete seit Wochen eine Hetzkampagne, die „Bild-Zeitung“ rief zur „Entscheidungsschlacht“ auf.

Die Demonstration, die die Studenten planten, wurde verboten, die Polizei plante offenbar eine Knüppelorgie, in der Stadt herrschte eine Stimmung, als stünde der Bürgerkrieg bevor. Die Studenten waren vom Rest der Bevölkerung völlig isoliert.

Immerhin: Der evangelische Bischof Scharf erklärte, die Kirchen Berlins stünden offen, um Demonstranten Schutz zu gewähren, wenn die Polizei zuschlug.  

In letzter Minute hob das Berliner Verwaltungsgericht das Verbot der Demonstration auf. Tausende Menschen gingen friedlich auf die Straße. Der Berliner Senat veranstaltete, unterstützt von den (stramm rechten) Gewerkschaften, eine Gegenkundgebung mit hübschen Parolen:

„Wir Bauarbeiter wollen schaffen – kein Geld für langbehaarte Affen“, „Macht Schluß mit der Seuche!“, „Bomb Vietnam!“, Auf einem (dann eingezogenen) Transparent stand sogar: „Bei Adolf wäre das nicht passiert.“

Mit dem Ruf „Schlagt sie tot!“ wurden Studenten auf offener Straße verprügelt, Studentinnen schnitt man die Haare ab.  Nicht lange danach, im April 1968, schoß ein von „Bild“ verhetzter Hilfsarbeiter den Studentenführer Rudi Dutschke in den Kopf.

Wir nahmen uns vor: In Österreich sollte es anders laufen. Hier sollte es nicht gelingen, Studenten und Arbeiter auseinander zu dividieren.

Seit 1966 hatten wir in Österreich eine Alleinregierung der ÖVP. Sie arbeitete darauf hin, die Verstaatlichte Industrie zu zerschlagen, die in den Augen der Arbeiterschaft Garant und Symbol ihres Aufstiegs war. Hier setzten wir den Hebel an:

Die staatliche Firma Elin hatte einen Kooperationsvertrag mit dem deutschen Siemens-Konzern geschlossen und sich zum Abbau „unrentabler“ Bereiche verpflichtet. Im Klartext: Elinarbeiter wurden  entlassen, weil der deutsche Konzern es befahl.

Im April 1968 demonstrierte die Belegschaft in der Penzingerstraße vor der Elin-Direktion. Drinnen, hinter verschlossenen Türen, verhandelten die Gewerkschaftsfunktionäre mit den Direktoren, draußen mischten wir sozialistischen  Studenten uns unter das Volk und machten Stimmung: „Ihr werdet sehen, bald kommen sie zurück und sagen, sie können nichts für euch tun.“

Genauso war es dann auch. Die Arbeiter pfiffen die Bonzen aus. Am nächsten Tag streikten manche Abteilungen spontan, allerdings nur kurz, denn sie wurden von der Spitze der Partei und des ÖGB zur Ruhe und Ordnung gemahnt.

Ein paar junge Elinarbeiter gaben nicht so rasch auf. „Opium für das Volk ist die Gewerkschaft“, rief einer von ihnen den Funktionären zu. Mit diesen Unzufriedenen bildeten wir ein „Aktionskomitee sozialistischer Arbeiter und Studenten“ und riefen zu einer Demonstration am Ersten Mai, nach den offiziellenFeiern, auf.

Ein paar Tage vorher bestellte uns Parteichef Bruno Kreisky zu sich: „Wer an dieser Demonstration teilnimmt, schließt sich selbst aus.“

Am 1. Mai waren wir immerhin über tausend Leute. Vom Vorstand der sozialistischen Studenten freilich nur Hermann Dworczak und ich. Die anderen waren alle umgekippt. Wir marschierten zum Rathausplatz, wo das Abschlusskonzert der SPÖ im Gange war, und forderten Bürgermeister Marek auf, sich mit den entlassenen Elinarbeitern zu solidarisieren.

Marek, völlig überfordert von dieser unerwarteten „Störung“ seines schönen
Blasmusikkonzerts, rief die Polizei zu Hilfe. Die prügelte uns weg. Es war das Ende meiner „Karriere“ in der SPÖ. Ich hatte mich „selbst ausgeschlossen“...

Bruno Kreisky erinnerte sich später ganz anders daran. Einige Jahre vor seinem Tod besuchte ich ihn mit einer Delegation sowjetischer Journalisten, die ich in Österreich herumführte, in seiner Villa in der Armbrustergasse. Kreisky erzählte den Russen aus seiner Sicht, was ihn mit mir verband. Ich hörte zu und wunderte mich...

Damals, 1968 vor dem Ersten Mai, habe er zu mir gesagt: „Du siehst doch selbst, Genosse Genner, wie rechts, wie reformistisch diese Partei ist. Das ist nicht deine Partei! Geh - und mach etwas Neues, etwas Gescheiteres.“

Im hohen Alter sah er die Dinge wohl in verklärtem Licht. In Wirklichkeit hatte er mich hochkant rausgeschmissen. Aber ich ließ ihn dabei. Die Geschichte war ja eigentlich viel schöner so.

Bruno Kreisky hat während seiner Kanzlerschaft (1970-1983) die Verstaatlichte Industrie - für einige Jahre wenigstens - zu einem Bollwerk gegen die Krise gemacht und die Menschen vor Arbeitslosigkeit geschützt. Eine Zeit lang ging es den Leuten besser. Auch sonst war es eine Zeit demokratischer Reformen, fast so etwas wie ein Aufbruch zur Moderne. Wir hatten mit unseren Aktionen dazu beigetragen.

Ich habe etwas Neues gemacht. Hoffentlich auch: etwas Gescheiteres.

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