Samstag, 24. Januar 2009
 
Plädoyer für ein Linksprojekt PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Hubert Pichler   
Dienstag, 25. März 2008

Eine linke Alternative zu den gegenwärtig existierenden Parteien in Österreich ist nur stufenweise zu erreichen und muß sich auf den größten gemeinsamen Nenner stützen, nicht auf einen Minimalkonsens, wie Kritik am EU-Vertrag, meint der Autor.

Liebe Freunde und Genossen,

Es ist mir eine große Befriedigung, Hermanns Vorschlag betreffend die Gründung eines Linksprojektes aufzugreifen. Ich würde mich voll einbringen. Eine bessere und gerechtere Gesellschaft aufzubauen sollte Motivation für alle progressiven Kräfte der Gesellschaft sein. Alle jene, denen eine solche Zukunftsvision am Herzen liegt, sind gefragt, daran mitzuarbeiten.
Ein solches Projekt braucht Grundvoraussetzungen. Zuallererst eine Analyse, in welchem Umfeld wir uns befinden und ein realistisches Ziel, was wir innerhalb einer gewissen Zeitspanne erreichen wollen. Unseren Erfolg oder Misserfolg müssen wir ständig daran messen, ob wir unserem Ziel, nachhaltig eine gerechtere Gesellschaft aufzubauen, näher kommen. Können wir das Bewusstsein der Gesellschaft schärfen und in der Politik, wenn auch in kleinen Schritten, einen Paradigmenwechsel herbeiführen? Dies erfordert eine flexible Strategie, die nicht mit Opportunismus verwechselt werden sollte, solange wir unsere Prinzipien hochhalten.

Was ist gegenwärtig das real existierende Umfeld? Eine Partei, die sich als Volkspartei bezeichnet und den sozialen Werten höchstens Lippenbekenntnisse zollt und innerhalb der EU einer neoliberalen Ausrichtung der Wirtschaftspolitik das Wort redet und damit indirekt für Sozialabbau, Aushöhlung der ArbeiterInnenrechte, Privatisierung öffentlicher Dienste und Prekariat steht. Eine Partei, die es ablehnt solidarisch mit anderen Ländern, den Steuerwettlauf nach unten und damit Umverteilung von unten nach oben eine Grenze zu setzen. Eine Partei, deren Vizekanzler Steuerhinterzieher mit legalistischen Scheinargumenten zu schützen sucht.

Aber unser System bietet auch eine andere Partei, die sich als sozialdemokratisch bezeichnet, wobei es schwierig ist, den Unterschied in der aktuellen Politik zur ersteren zu erkennen. Die Bezeichnung sozial-liberal dürfte vielleicht ein bisschen näher der politische Wirklichkeit kommen wobei sozial sekundär und (neo)liberal primär die Handlungsweise bestimmt. Ihr großes Problem ist Schein und Sein. In Sonntagsreden und vor allem vor den Wahlen werden Versprechungen gemacht, die auf eine soziale Gerechtigkeit hindeuten - „Mehr Fairness braucht das Land“ -, die sich aber im Nachhinein als leere Worthülsen entpuppen. Alibiaktionen werden versucht als Schritte zu einer gerechteren Gesellschaft zu verkaufen. Man fragt sich, wo bleibt wenigstens eine Substanz sozialistischer Prinzipien oder ist alles um der Macht willen verhandelbar? Die letzte Wahl und die darauf folgenden Regierungsverhandlungen haben eindeutig in diese Richtung gewiesen. Rechtfertigungen wie „wir haben nicht die absolute Mehrheit und sind daher gezwungen, mit dem Koalitionspartner (faule) Kompromisse zu schließen, laufen ins Leere. Diese Koalition wurde freiwillig mit dem einzigen Zweck zur Erlangung von Macht und Positionen geschlossen, wobei praktisch fast alle Prinzipien auf der Strecke blieben. Dieser Verrat an den Wählern und der enttäuschten Hoffnungen ist für den Absturz (siehe Niederösterreich) verantwortlich und diese Tendenz könnte sich fortsetzen und mit einem Debakel bei der nächsten Nationalratswahl enden. Das große Problem ist, dass die Volkspartei ihre neoliberalen Prinzipien unbeirrt fortsetzt und in dieser Hinsicht keines Verrates beschuldigt werden kann und dadurch kein Glaubwürdigkeitsproblem hat.

Was für eine Alternative bieten die Grünen? Gesellschaftspolitisch keine, wenn auch positiv zu erwähnen wäre, dass sie sich dem latenten Rassismus, der in weiten Teilen der Bevölkerung vorhanden ist und auch teilweise bewusst vom politischen Establishment geschürt wird, noch entgegenstellen. Es gibt auch noch einige wenige programmatische Schnittpunkte, wie Ihre Betonung auf nachhaltige Ökologie und Gendergerechtigkeit, aber damit hören sich auch schon die Gemeinsamkeiten eines linken progressiven Projektes auf. Die Grünen sind ein Modul, das sowohl kompatibel mit der neoliberalen ÖVP (siehe Oberösterreich) als auch der neoliberalen SPÖ ist, aber kaum kompatibel mit einem Linksprojekt.

Wo bleibt die andere (Schein)alternative zum gegenwärtigen politischen Establishment? Man muss mit Entsetzen feststellen, dass eine Partei diesen Platz einnimmt, die kein kohärentes Programm hat, mit rassistischen und zynischen Parolen die dumpfen Ängste und verbreiteten Ressentiments in der Bevölkerung für politische Zwecke ausbeutet und damit einen Sündenbock schafft, der von den wahren Problemen einer sich immer weiter öffnenden Kluft wachsender Ungerechtigkeit und Perspektivlosigkeit, die sich auf eine wachsende Mehrheit der Gesellschaft erstreckt, ablenkt und als Folge das neoliberale System temporär stabilisiert. Sie gibt sich nach alter faschistischer Manier ein soziales Feigenblatt mit Aussagen, die von linken Positionen entlehnt sind, aber ohne das System als solches je in Frage zu stellen sondern es sogar indirekt zu stärken. Darüber täuschen auch heuchlerische Distanzierungen von Seiten der ÖVP und SPÖ nicht hinweg. Die ÖVP selbst schürt unterschwellig xenophobe und islamophobe Tendenzen. Mit der ablehnenden Haltung einer Mehrheit gegen den EU Reformvertrag - nicht gegenüber der EU aber gegen das neoliberale und militaristische Konzept derselben - will die FPÖ ebenfalls mit dem Vorschlag einer Volksabstimmung punkten. Aber die Argumente, die sie für eine Volksabstimmung und den indirekt propagierten EU-Austritt ins Treffen führt, laufen jedem Konzept eines sozialen und solidarischen Europa zuwider. Sie unterstreichen einen provinziellen Nationalismus, der die sozialen Probleme selbst bei einem Austritt nicht lösen sondern verschärfen würde. Dieses Konzept ist sowohl im nationalen wie auch europäischen Rahmen weder wünschenswert noch realisierbar und stärkt somit die neoliberalen Kräfte indem zugleich jene progressiven linken Kräfte die für ein weltoffenes, soziales, friedliches und solidarisches Europa einstehen, geschwächt werden.
Die Frage „cui bono“ – wem nützt es? - erübrigt sich.

Wo bleibt die wahre Alternative? Hier schließt sich der Kreis mit der Weichenstellung für ein Linksprojekt. Es ist meine tiefste Überzeugung, dass nur eine linke Alternative eine Antwort auf die brennenden Probleme und sozialen Verwerfungen, die durch die neoliberale Globalisierung entstanden sind, zu geben imstande ist.

Aber welche Linke? Wer ist der Ansprechpartner von dem breiten Spektrum von Gruppen und Grüppchen, der in der Lage ist, eine kritische Masse zu erlangen, die von gesellschaftlicher Relevanz ist, um als ernstzunehmende Alternative aufzutreten? Ich glaube die Summe aller würde die kritische Masse ergeben, aber wer kann sie einen, um als politische Kraft aufzutreten und um im Bewusstsein der Bevölkerung ernst genommen zu werden. Wer kann eine linke progressive und glaubwürdige Strategie und Programmatik entwickeln, die der gegenwärtig realen Situation Rechnung trägt? Wie definieren wir Pluralismus in dieser Bewegung? Pluralismus muss aber letztendlich auf den größten und nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner hinauslaufen. Wir brauchen in einem linken Projekt mehr als alles andere progressive Gewerkschafter und Betriebsräte, die das politische Bewusstsein der Werktätigen stärken, damit diese wiederum als Multiplikatoren in der Gesellschaft tätig werden können. Wir brauchen sichtbare Aktionen, um das Bewusstsein für die wirklichen Probleme, an denen eine stetig wachsende Zahl von Menschen leidet, zu schärfen und zugleich eine glaubwürdige Alternative anzubieten. Eine Protestaktion mit mehr oder weniger 100 Teilnehmern wird in der Bevölkerung als versprengter Haufen wahrgenommen, dem wenig Beachtung geschenkt wird, so sehr auch das Thema für sich eine positive Resonanz findet. Für diese Aktionen brauchen wir ein Mobilisierungspotential, das optimal von den mit der Basis verbundenen Gewerkschaftern und Betriebsräten etc. wahrgenommen werden kann. Gewerkschafter und Betriebsräte brauchen aber eine politisch relevante gesellschaftliche Alternative, die sie selbst überzeugt, um damit andere überzeugen zu können, und die in der Lage ist das Ziel einer solidarischen, sprich sozialistischen, Gesellschaft schrittweise zu verwirklichen. Ohne diese Perspektive wird es kaum möglich sein sie von bestehenden Verbindungen herauszulösen, sosehr sie auch von denselben enttäuscht und frustriert sind. Die Linke in Deutschland bietet diese reale Alternative, auch wenn kritische Begleitung zur Stärkung der Bewegung immer vonnöten ist. Progressive Zivilgesellschaften und Gruppierungen innerhalb des marxistischen Spektrums sind nebeneinander und unabhängig voneinander nicht in der Lage, die alles entscheidende Machtfrage im kapitalistischen System zu stellen und zu lösen. Millionen auf den Strassen ohne politisches Programm und Strategie verhindern nicht die Wahl eines konservativen Präsidenten, wie Frankreich zeigt.

Zu sagen, uns vereint das Ziel, eine andere und bessere Welt zu schaffen, frei von Ausbeutung, in der Solidarität die oberste Priorität ist, greift zu kurz. Wer den Realitätssinn nicht verloren hat, weiss, dass diese andere bessere Welt nur in Etappen zu erreichen ist und es dafür einer Orientierung bedarf. Wir sehen das Ziel in der Ferne aber der Weg dorthin ist langwierig und beschwerlich und wir können nicht mit Absolutheit die Richtigkeit des Weges vorhersagen. Ob wir uns auf dem richtigen Weg befinden, bedarf einer kontinuierlichen Standortbestimmung, die daran zu messen ist, ob wir dem Ziel ein Stück näher gekommen sind. Weganweisungen, basierend auf einem fundamentalistisch ideologischen Konzept, erinnern frappant an religiösen Fundamentalismus, der die Offenbarung Gottes für sich beansprucht und alle aus der Wirklichkeit vorhandenen Belege verwirft, wenn sie dieser Offenbarung widersprechen.
Wenden wir das auf unsere Situation an. Vom breiten Spektrum der linken Bewegungen von links „dogmatisch“ bis „reformistisch“ werden Weganweisungen, sprich Strategien, angeboten zum erstrebten Ziel zu gelangen. Nur werden nicht nur verschiedene Richtungen angeboten, sondern die Richtungshinweise einer Gruppe von der anderen als falsch und irreführend bezeichnet. Dies führt unweigerlich zu einem Glaubwürdigkeitsproblem. Ein positiver linker Pluralismus wäre zu sagen, die angebotenen Strategien können zum Ziel führen, schneller oder langsamer. Wir halten nach einer zurückgelegten Wegstrecke inne, um uns zu orientieren. Die Realität wird dann beweisen, welcher Weg uns dem angestrebten Ziel am nächsten gebracht hat und den wir dann gemeinsam verfolgen.

Weg und Ziel sind eine Einheit. Ein Ziel ohne die dazugehörige glaubwürdige Strategie, es in dem real existierenden Umfeld zu erreichen, bleibt eine Fata Morgana.

Eine gemeinsame Strategie zu erarbeiten mag quälend und konfliktbeladen sein. Ein breites Spektrum progressiver linker Organisationen und Personen, die auch außerhalb unseres eigenen begrenzten Umfeldes angesiedelt sind, müssen in eine solche richtungweisende Strategie eingebunden und ihre Beiträge ernst genommen werden. Keine Position ist einer anderen von vornherein überlegen.

Konflikte werden aufbrechen, die durchgestanden werden müssen. Wir müssen überzeugen und voneinander lernen. Wir haben keine andere Alternative, wenn wir es wirklich mit einem nachhaltigen Linksprojekt ernst meinen. Es ist relativ leicht, ein Ziel in den Raum zu stellen, das von allen bejaht wird und jeden Konflikt ausschaltet. Ein zukünftiges Linksprojekt ist eine andere Sache, als die Plattform Volxabstimmung mit dem einzigen Programmpunkt „NEIN zum Reformvertrag“, worauf sich 50 + Organisationen mit unterschiedlichen Programmen und Zugängen schnell einigen können. Aber der Teufel steckt im Detail. Was kommt nachher? Ich wage die Prognose, dass es realpolitisch wenig Niederschlag finden wird. Das Referendum in Frankreich gegen die EU Verfassung hat die Massen mobilisiert. Hat es sich in der Politik niedergeschlagen? Die Antwort kennen wir.

Die vor uns liegende Arbeit, ein Linksprojekt auf die Beine zu stellen, sollte für uns alle eine große Motivation sein. Ich selbst habe eine fundamentale Überzeugung, obwohl ich jedem Fundamentalismus abhold bin. Wir werden Erfolg haben, denn die Geschichte und die gesellschaftliche Entwicklung sind unsere Bündnispartner.

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