Anleitung zum Umgang mit den Auswüchsen der neuen Strafprozeßordung und mit der Polizei im Allgemeinem. Jedem kann etwas passieren.
Es ist vielleicht anzuraten, sich einmal folgende Situation vorzustellen und als Szenario im Geist durchzuspielen – nicht aus Jux, sondern um sich für den Ernstfall vorzubereiten, um – in diesem Fall - möglichst pragmatisch und nüchtern handeln zu können – falls es einmal so weit kommen sollte:
Es ist Freitag abend, schon nach zehn, draußen nieselt es, es ist November – ein Mann und eine Frau kuscheln sich aneinander, gemütlich gekleidet, mit Bier/Wein und Chips vor den Fernseher und sehen vielleicht in Erwartung des Nachtfilms die letzten Ausläufer von "Wetten dass...", da springt die Tür des Zimmers auf und sehr viele schwarz maskierte Männer in Kampfanzügen stürzen herein, auf die beiden drauf, schreien Befehle: auf den Boden, auf den Bauch! Und dann fühlen sie Knie im Rücken, die Arme zurückgerissen, "keine Bewegung!" Nun, so könnte ein Freitag Abend auch enden und in dem Fall ist es gut, ein paar Dinge schon vorher bedacht zu haben. Also, die scharzen Herren in Kampfanzügen sind nicht Außerirdische oder eine Bande von Profi-Einbrechern, sondern sie sind von der Polizei. Sie hingegen haben prinzipiell nichts dagegen, sich den Wünschen und Fragen der Polizei zu stellen und auch zu nachtschlafender Zeit, wenn es unbedingt sein muss, Antwort und Auskunft zu geben – wenn Sie nur wüssten, dass die was von Ihnen will. Aber – wenn Gefahr in Verzug ist, wird nicht geklingelt oder geklopft, auch nicht angerufen, sondern da schleichen 15 Mann mit einem großen Brecheisen die Stiegen herauf und sind damit sehr schnell durch die Tür und im selben Augenblick mitten im Wohnzimmer und Sie am Boden mit einigen Knien im Rücken.
Mittlerweile wird von anderen Polizisten gesucht und wehe denen, die viel Kram in ihrer Wohnung schön geordnet auf viel Platz verteilt, verstaut haben – es bleibt kein Schnipsel Papier auf dem anderen. Wenn Sie schon lange einmal alles durchsuchen und neu ordnen bzw. ausmisten wollten – demnächst haben Sie jede Gelegenheit dazu.
Irgendetwas wird schon gefunden werden oder auch nicht und – sagen wir einer der beiden (oft wird es der männliche und manchmal auch der dunkelhäutigere Teil des Paares sein) wird mitgenommen und verschwindet gut begleitet in der Nacht. Er wird einfach mitgenommen, dass es vielleicht die U-Haft ist, die ihm blüht, muss man sich zusammenreimen.
In seinen Pyamahosen, Umziehen gibts nicht, Medikamente gibts nicht, Handy gibts nicht, auch keine Zahnbürste, stolpert er und wird zwischen zwei Herren davongezogen. Sie muss auch mitkommen und beide werden getrennt in Autos verfrachtet.
Im oben willkürlich zitierten Fall, wird die Frau in einem Präsidium kurz verhört und kann dann wieder gehen. Und damit das Heimkommen nicht so aussieht: weinend, im Schock, nicht wissend, was dieser Einbruch von Hölle ins normale Leben bedeuten soll, - damit das Entsetzen und die Hilflosigkeit nicht so groß ist, wird diese Geschichte erzählt.
Ja also, das Heimkommen: die Tür hängt lose im Rahmen, die Scharniere sind kaputt, sie liess sich vorher wohl noch von einem umsichtigen Polizisten korrekt versperren, aber nun braucht man ja gemütlich nur ein bisschen zu drücken, kein Schlüssel mehr nötig, um in die Wohnung zu kommen. Endlich wieder zu Hause: Freitag Nacht einige Stunden später, sie könnte jetzt schlafen gehen. Zwar plötzlich allein und mitten in einer Sturzflut von sämtlichen Dingen, die herausgerissen, heruntergeworfen, auseinandergezerrt den Boden dicht bedecken und Möbeln, von denen keines mehr an seinem Platz steht, zwar bei offener Wohnungstüre, aber ja, wenigstens nicht in einem Gefängnis.
Schlafen wird aber in dieser Nacht schwierig sein. Vielleicht ist es dann gut, sich schon einmal zu überlegen, was nun zu tun ist.
Nach Inkrafttreten der Novelle zur StPO (Strafprozessordnung) seit 1.1.2008 ist die Staatsanwaltschaft Herrin des Ermittlungs-Verfahrens und die Polizei entscheidet bei „Gefahr in Verzug“ über die Wahl und Anwendung der Mittel. (Vor dem 1.1.2008 war ein Untersuchungsrichter Herr über die Entscheidungen des Verfahrens. Ich als juristisch Unerfahrene stelle mir die Position des Richters neutraler vor als die des Staatsanwalts – dessen Aufgabe doch das Anklagen ist.)
Eine der ersten Überlegungen wird sein: welch ein Aufwand! Wie viele Leute! Wozu? Niemand hat etwas getan! Nur auf Verdacht hin werden zehn oder 15 Leute in der Nacht mobilisiert, brechen die Wohnungstür auf und verwüsten die Wohnung ….?
Falls also die angewendeten Mittel bei der Festnahme nicht so gelinde waren und Material und Eigentum zu Schaden gekommen sind, soll heißen: die Wohnung verwüstet wurde, kann Schadenersatz verlangt werden.
Wenn man sich in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt fühlt, ist auch Einspruch gegen eine in diesem Sinne vermutete Unangemessenheit der Mittel möglich: Einzubringen ist er wiederum bei der Staatsanwaltschaft und geht dann ans Gericht. Im Fall von Polizeiangelegenheiten ist auch beim Unabhängigen Verwaltungssenat (UVS) Beschwerde möglich.
Was den Schadenersatz betrifft: Momentan hat der heimgekehrte (glücklichere) Teil des Paares noch keinen Überblick über den angerichteten Schaden. Ab Kenntnisnahme des Umfangs des Schadens kann Schadenersatz gefordert werden. Man hat die Zeit, die man braucht, um sich zu fangen und beraten zu lassen. Ganz gut wäre es, das Schlachtfeld in allen Einzelheiten zu fotografieren. Die Einbringung der Klage eilt nicht – erst nach 3 Jahren verjährt so eine Schadenssache.
Der nächste Schritt wird wahrscheinlich sein, einen Anwalt zu Rat zu ziehen. Es gibt einen anwaltlichen Notdienst – der auch am Wochenende konsultiert werden kann, täglich 24 Stunden: 0800 376 386 Dieses Angebot sollte man gleich nutzen, um zu versuchen, Schock und Entsetzen möglichst bald durch sachliche Überlegungen und Informationen zu überwinden.
Den abhanden gekommenen Partner (vielleicht ist’s auch umgekehrt möglich, es geht um die Partnerin) sollte man in Gedanken Glück wünschen und hoffen, dass er einer der ungefähr 10 - 20% Betroffenen ist, die das Informationsblatt der Polizei bekommen, das eigentlich alle festgenommenen Verdächtigen bekommen sollten. Auf diesem Informationsblatt ist auch ein Hinweis auf den rechtsanwaltlichen Journaldienst mit der Telefonnummer angegeben und auch auf das Anrecht des in Haft genommenen Menschen auf einen Telefonanruf verwiesen.
Leider – nach Angaben eines Rechtsanwalts und von Betroffenen - scheint es doch häufig vorzukommen, dass auf diese Information vergessen wird.
Der Festgenommene hat das Recht auf Beiziehung eines Anwalts, der aber nicht von selbst daherwandert - er muss beauftragt werden, ob vom Häftling selbst oder von seinen Angehörigen. Kostenpunkt: die ersten fünf Minuten der Beratung sind kostenlos, alles weitere wird verrechnet. Die Stundensätze bewegen sich um die 100 €. Für diejenigen, die sich den Anwalt selbst aussuchen möchten und leisten können: die Anwalts-Kosten pro Verhandlung differieren natürlich – aber die Begleitung und Vertretung durch die Untersuchungshaft bis zur entscheidenden Verhandlung kann Tausende von Euro betragen. Wenn die Anklageschrift fertig ist, kommt es zur Hauptverhandlung – auch hier kann wieder eine Enthaftung verlangt werden.
Wenn kein Geld da ist, kann der Häftling Verfahrenshilfe beantragen - dann wird ihm ein Anwalt beigestellt. Diesen kann er nicht frei bestimmen, aber jeder Anwalt in Österreich wird drei bis fünf Mal pro Jahr für beide Arten der Verfahren (Zivilrecht, bzw. Strafrecht) herangezogen.
Für den Anwalt, der auf Basis der Verfahrenshilfe beigestellt wird, sieht die Sache – im Vergleich zu Deutschland und anderen EU-Staaten in Österreich nicht so rosig aus, denn er sieht für seine Arbeit keinen Cent – seine Bezahlung fließt direkt von der Justiz in die Pensionskassen seines Berufsstandes.
Die Arbeit des Anwalts umfasst Betreuung des Untersuchungshäftlings in der Haft, die Beschäftigung mit den speziellen Umständen, Vorbereitung auf die Verhandlungen und Vertretung während der Verhandlung.
In den 48 Stunden nach der Festnahme muss der Häftling von der Polizei in der zuständigen Justizanstalt abgeliefert werden und dann, binnen weiterer 48 Stunden dem Haftrichter vorgeführt werden. Bei dieser Vorführung wird über den Verbleib in der U-Haft entschieden. Entscheidend dafür ist, ob weiterer dringender Tatverdacht nahe liegt, ob Flucht- oder Verdunkelungsgefahr gegeben ist.
Selbst wenn der Haftrichter bei der ersten Vorführung sich für den Verbleib in der Haft entschieden hat, ist eine Entlassung aus der U-Haft prinzipiell jederzeit möglich, wenn die Gründe dafür sprechen – jeder Antrag für eine neuerliche Haftprüfungsverhandlung bedeutet aber, dass der Akt so schnell wie möglich – „ohne Verzug“ - beim zuständigen Richter bearbeitet wird – deshalb ist in manchen Fällen zu überlegen, ob so ein Antrag gestellt werden soll und womöglich den natürlichen Lauf der Dinge verzögert. Die festgesetzten Haftfristen sind: 14 Tage, ein Monat, zwei Monate. So lange es noch keine Anklageschrift gibt, entscheidet der Haftrichter bei diesen Haftverhandlungen die Entscheidung über den weiteren Verbleib.
Für die Freunde und Angehörigen des Verhafteten stellen sich einige Grundfragen und bis zur endgültigen Klärung sollte man Geduld aufbringen und sich über seine und die eigenen Rechte informieren.
Sobald man weiß, in welcher Haftanstalt der Angehörige ist, kann man ihn besuchen. Während der Wochentage können sich – in Wien, z.B. beim Landesgericht - die 2 möglichen Besuche pro Woche unter mehreren Personen aufgeteilt werden. Maximal drei Personen können hier zugleich einen Häftling besuchen. Die Erlangung einer Besuchserlaubnis ist notwendig, sie wird vom zuständigen Staatsanwalt in der Haftanstalt gewährt. (Im Wiener "Landl" – Landesgericht: zuerst einmal ab in den 4. Stock, Zi. 4007 – Ausweis nicht vergessen). Pakete, Briefe zustellen zu lassen ist möglich – bitte dort nachfragen. Geldüberweisungen sind möglich – direkt zum Besuch kann man aber gar nichts mitbringen.
Wem die Geschichte zu abgehoben ist und wer glaubt, so etwas könne nur anderen passieren und das nicht ohne guten Grund - der sollte sich genauer mit dem Sicherheitspolizeigesetz beschäftigen und mit den Möglichkeiten, auch zufällig in den Umkreis einer überwachten Person zu geraten oder sich schon mitten darin zu befinden. Bei vermuteten Kontakten zu vermutlichen Akteuren des Terrorismus oder Drogenhandels ist sehr schnell "Gefahr im Verzug" – und auf der Handyliste eines überwachten Verdächtigen zu stehen, oder als Kontaktperson von einem gar nicht so gut Bekanntem, der glaubt, sich seine Situation verbessern zu können, gegenüber der Polizei genannt zu werden, - dagegen ist kein Kraut gewachsen. Und dann muss gehandelt werden - vonseiten der Polizei: schnell, wirksam und unsentimental. Da ist keine Zeit mehr für lange an der Tür Klingeln und höflich Nachfragen.
Juristische Informationen von Dr. Heinrich Vana (Rechtsanwalt und Verteidiger in Strafsachen; akad. Europarechtsexperte) http://www.vana.cc
Zum Sicherheitspolizeigesetz: quintessenz: http://www.quintessenz.at/d/000100004099
Heise Newsticker: http://www.heise.de/newsticker/ Neues-oesterreichisches-Sicherheitspolizeigesetz-in-der-Kritik--/ meldung/100667
Die Grünen: http://www.gruene.at/frieden_sicherheit/ inneres_sicherheitspolizeigesetz_novelle_2008/
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