Asyl in Deutschland schützt nicht vor Schubhaft in Österreich. Einem politisch verfolgten Kurden droht Auslieferung an die türkische Militärjustiz.
Kurden Mesut Tunç sitzt in Wels in Haft. Der türkische Staatsbürger, der in Deutschland und der Schweiz politisches Asyl genießt, wurde vergangenen Samstag zwischen St. Pölten und Wels von fünf Zivilpolizisten festgenommen. Ein von der Familie eingeschalteter Anwalt und die Flüchtlingsorganisation Asyl-in-Not bemühen sich um die Freilassung des Mannes, der nächsten Montag seinen 33. Geburtstag feiert. Vater Kenan Tunç appellierte an die Behörden, seinen Sohn unter keinen Umständen auszuliefern: „Wenn ihr ihn umbringen wollt, macht es lieber hier“.
Mesut Tunç wurde 1996 von einem türkischen Militärgericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Man warf dem Sympathisanten der Linkspartei DHKP-C Beteiligung an einem Brandanschlag mit fünf Toten und zwei Verletzten vor obwohl er nachweislich weit entfernt vom Tatort gewesen sei. Das Geständnis, so geht es aus der Stellungnahme des Psychosozialen Zentrums für Flüchtlinge und Opfer organisierter Gewalt in Frankfurt hervor, sei durch vierwöchige körperliche und psychische Folter erpresst worden. Nach seiner Verurteilung trat Tunç gemeinsam mit anderen politischen Gefangenen in einen unbefristeten Hungerstreik, das sogenannte „Todesfasten“. Er hielt fast neun Monate durch, bfrach aber schließlich wiederholt zusammen. Darauf wurde er Anfang 2002 für ein halbes Jahr in familiäre Pflege entlassen. Da seine Betreuer fürchteten, er würde nochmalige Haft nicht überleben, verhalfen sie ihm zur Flucht nach Deutschland, wo der Vater bereits politisches Asyl genoß.
Tunç der nach Ansicht seines Anwalts Christian Kras für das Leben geschädigt ist, lebt jetzt mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern in der Nähe von Bern, wo er Architektur studieren will. Für Kras ist die Lage klar: Österreich darf den Mann nicht ausliefern. Ihn schütze die Europäische Menschenrechtskonvention und das Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz. Auch ein Spruch des Oberlandesgerichts Celle aus dem Jahr 2007 habe in einem Präzedenzfall so entschieden. Michael Genner von Asyl-in-Not: „Das Refoulement-Verbot hat in Österreich Verfassungsrang“. Dieses schützt vor Abschiebung in Länder, wo Folter zu befürchten ist.
Nach den Schilderungen von Ehefrau Sati Kilic-Tunç sei Mesut von den Polizisten nicht, wie diese angaben, durch eine Routinekontrolle entdeckt, sondern gezielt gesucht worden. Sie beriefen sich auf einen Haftbefehl von Interpol vom vergangenen April und drohten die umgehende Abschiebung an. Sati habe daraufhin gedroht, sich samt den Kindern aus dem fahrenden Zug zu werfen. Der wenig später eingeschaltete Anwalt konnte zunächst wegen der Feiertage bei Staatsanwaltschaft und Justiz nichts ausrichten. Die Richterin in Wels erklärte ihm zuletzt, die Prüfung der Unterlagen würde einige Zeit dauern. Sie wolle auch überprüfen, ob seinem Mandanten auch in Österreich Asyl gewährt worden wäre.
Anwalt Kras findet das höchst ungewöhnlich. Er schickte eine Beschwerde an das Oberlandesgericht in Linz und forderte das Justizministerium auf, die Staatsanwaltschaft anzuhalten, den Auslieferungsantrag zurückzuziehen. Er fürchtet aber, dass das österreichische Innenministerium die Verhaftung des Kurden auf Veranlassung des türkischen Geheimdienstes angeordnet habe. Ministersprecher Rudolf Gollia schloß in einer Stellungnahme nicht aus, dass es eine Kooperation gegeben habe.
Mesut Tunç, dem eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wurde, ist nach seiner Festnahme neuerlich in Hungerstreik getreten – gegen den ausdrücklichen Rat von Anwalt und Angehörigen. Kras: „Die Behörden beeindruckt das nicht. Er kommt höchstens in ein Krankenzimmer mit einem Polizisten davor“.
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