Zum dritten Mal ruft die Peter-Weiss-Stiftung für Kunst und Politik
Kulturinstitutionen, Theater und interessierte Personen zu einer
weltweiten Lesung am 20. März, dem Jahrestag der politischen Lüge, auf.
Es soll der Essay des chinesischen Schriftstellers Lu Xun (1881-1936)
„Ich erinnere mich, um zu vergessen" gelesen werden.
Gerade vor den Olympischen Spielen (8.-24.8.2008 in Peking) ist es sinnvoll, so auf die Zensur, das verordnete Schweigen zu Themen der jüngeren Geschichte Chinas, auf die enorm hohe Zahl von Todesurteilen, Tibet, die Zusammenarbeit mit dem Regime im Sudan und nicht zuletzt auf die Gefängnisstrafen für Bürgerrechtler hinzuweisen. Erst vor drei Wochen ist der wegen seines Einsatzes für HIV-Infizierte und Menschenrechte bekannt gewordene 34-jährige Aktivist Hu Jia nach halbjährigem Hausarrest festgenommen worden.
China ist ein Land ohne jede Erinnerung, wenn es um bestimmte Themen geht. Der 4. Juni 1989, das Tian'anmen-Massaker, ist der überwiegenden Mehrheit, die in den 90er Jahren in China aufgewachsen sind, kein Begriff. Die Kulturrevolution darf nicht erforscht werden. Eine öffentliche Erinnerung an die 500.000 Intellektuellen, die während der Kampagne „Hundert Blumen" in den Jahren 1956 und 1957 ins Gefängnis oder in die Arbeitslager kamen, ist nicht erlaubt. Die Regierung predigt Harmonie. Insofern beginnt ihr nun Lu Xun, ihr vermeintlicher Gewährsmann der Revolution, der Vater der modernen chinesischen Literatur, suspekt zu werden, hat er doch die Chinesen zur Erinnerung immer wieder aufgerufen.
Nachdem Lu Xun von den Lehrplänen einiger amerikanischer Universitäten verschwunden ist, hat sich das Erziehungsministerium der VR China im Sommer 2007 angeschickt, bestimmte Texte von Lu Xun, die sich im Lichte des 4. Juni 1989 lesen lassen, aus den Schulbüchern zu streichen und durch Rittergeschichten von Jin Yong zu ersetzen. Lu Xun war Zeit seines Lebens von der Zensur bedroht. Auch nach 1949 sind seine Werke und Fotos je nach politischer Lage ediert und gedeutet worden.
Ziel der Veranstaltungen und Aktionen soll es sein, das Bewusstsein über Inhalte und Formen politischer Kommunikation zu erhellen. Weil auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Lüge zum Instrumentarium bestimmter politischer Formationen gehört, muss deutlich gemacht werden, dass die Kräfte nicht erlahmen, die sich gegen sie verwahren.
Aus Anlass des dritten Jahrestages des Kriegsbeginns im Irak hatte die Peter-Weiss-Stiftung erstmalig am 20. März 2006 eine weltweite Lesung initiiert. An diesem "Jahrestag der politischen Lüge" wurde Eliot Weinbergers "Was ich hörte vom Irak" in Veranstaltungen und über Radio-Sender gelesen. Am 20. März 2007 hörten über 1,2 Millionen Menschen zwei Reportagen von Anna Politkovskaja.
Der Text von Lu Xun liegt der Peter-Weiss-Stiftung für Kunst und Politik in allen Weltsprachen vor.