Samstag, 24. Januar 2009
 
Die Tücken des „Dublin“-Verfahrens" PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Asyl-in-Not   
Mittwoch, 22. Oktober 2008

Aus der Arbeit des Rechtsberaterteams von Asyl-in-Not: Judith Ruderstaller, Tanja Svoboda, Volkan Kaya, Michael Genner. Manchmal gelingt es, Abschiebungen schwer traumatisierter Flüchtlinge zu verhindern.

Wir hatten doch einige Erfolge an dieser (scheinbar hoffnungslosen) Stelle der Front, an der sich entscheidet, ob unsere KlientInnen überhaupt ins Asylverfahren kommen. Darüber freuen wir uns umso mehr angesichts unserer geringen Mittel - und der himmelschreienden Resignation der großen, caritativen Verbände, denen der Kampf gegen „Dublin“ längst zu mühsam erscheint.
 
Für NichtjuristInnen: Die „Dublin-Verordnung“ regelt, welcher EU-Staat für ein Asylverfahren zuständig ist. „Dublin-Staaten“ sind alle Staaten der Europäischen Union plus Norwegen und Island. Österreich, inmitten der EU gelegen, putzt sich ab und schiebt Flüchtlinge hin und her, meist in Staaten, in denen sie nicht sicher sind.
 
Seit der Einrichtung des Asylgerichtshofes am 1. Juli dieses Jahres haben wir immerhin 13 Dublin-Bescheide (nicht gerechnet die Familienangehörigen, insgesamt ca. 40 Personen) zu Fall gebracht. (Stand Mitte Oktober).
 
Grundsatz Nummer eins: Zeit gewinnen!
 
Einer der wichtigsten Gründe für Dublin-„Heber“: Das Asylamt hatte es nicht geschafft, unsere KlientInnen innerhalb der von der Dublin-Verordnung vorgesehenen Frist von sechs Monaten außer Landes zu schaffen. Dazu tragen wir durch konsequente Rechtsvertretung bei, da wir Beweisanträge stellen, Gutachten vorlegen und überhaupt lästig sind.
 
Wie erinnerlich, hat uns ein (mittlerweile entschwundener) schwarzer Ex-Bundeskanzler deshalb die „Wurzel allen Übels“ genannt. Wie wahr!
 
In einigen dieser Fälle hatte schon der Unabhängige Bundesasylsenat (UBAS) – der Vorläufer des Asylgerichtshofes - unseren Berufungen die aufschiebende Wirkung zuerkannt und die Dublin-Bescheide sodann behoben; das Bundesasylamt hatte aber Beharrungsbescheide erlassen und vermeint, die Sechsmonatsfrist fange mit dem UBAS-Bescheid neu zu laufen an.
 
Der Asylgerichtshof hat die Erstinstanz aber eines besseren belehrt und unseren Beschwerden stattgegeben. Die Sechsmonatsfrist wird durch die aufschiebende Wirkung nämlich nur gehemmt und läuft nach Behebung des Bescheids weiter.
 
Andernfalls, so Asylrichterin Maurer-Kober, „würde die Erstbehörde für die Erlassung eines mangelhaften Bescheides, der in der Folge behoben wird, ‚belohnt’, falls ihr neuerlich die ganze Sechsmonatsfrist zur Verfügung stünde“. Das wäre gleichheitswidrig und könne daher nicht rechtens sein.
 
Durchtauchen
 
Mehr Zeit hat die Behörde allerdings, wenn unsere KlientInnen nicht lammfromm auf ihre Abschiebung warten, sondern untertauchen. Dann verlängert sich die Überstellungsfrist auf 18 Monate.
 
So lange im Untergrund zu überleben, ist schwierig, aber nicht unmöglich. Einigen ist es – nicht zuletzt mit Hilfe engagierter MitbürgerInnen – gelungen. Nach Ablauf der 18 Monate ist Österreich für das Asylverfahren zuständig. Dann haben die Behörden keine Ausrede mehr.
 
Zulassung gilt für die ganze Familie
 
In anderen Fällen war ein Mitglied der „Kernfamilie“ (Vater oder Mutter) sicher nach Österreich gelangt und zum Verfahren zugelassen worden (sei es wegen besonders schwerer Traumatisierung, oder weil man nicht beweisen konnte, durch welchen „Dublin“-Staat er oder sie durchgezogen war).
 
Nach einiger Zeit kam der Rest der Familie nach, wurde in Polen registriert und zog – im Vertrauen darauf, die Zulassung werde für alle Angehörigen gelten - nach Österreich weiter, um hier Asyl zu beantragen.
 
Das Bundesasylamt vermeinte jedoch, dann sei aber Polen für die ganze Familie zuständig - auch für den Erstangekommenen, der schon zugelassen war – und erließ Dublin-Bescheide für alle. Auch für den, der sich schon sicher gefühlt hatte! Eine von vielen Unmenschlichkeiten, deren unsere Behörden fähig sind.
 
In unseren Beschwerden machten wir geltend, daß die Dublin-Verordnung hier ausnahmsweise für unsere KlientInnen günstig ist. Artikel 8 besagt nämlich, daß der Staat, wo schon ein „zugelassener“ Angehöriger lebt, auch für die Verfahren der restlichen Familie zuständig ist.
 
Der Asylgerichtshof schloß sich unserer Rechtsmeinung an.
 
Krankheit, Trauma
 
Ungeheuerlich war ein Asylamtsbescheid, der einen Tschetschenen von seiner Frau (einer Asylwerberin mit aufschiebender Wirkung) und dem neugeborenen Kind, das sich nach Komplikationen bei der Geburt auf der Intensivstation befand, trennen wollte.
 
Auch dieses Verfahren haben wir gewonnen, Asylrichter Peter Chvosta entschied, es bedürfe keiner weiteren Erörterung, daß die Ausweisung unseres Mandanten unter derartigen Umständen menschenrechtswidrig sei.
 
Diesen Erfolgen stehen zahlreiche Niederlagen gegenüber.

Zwei tschetschenische Brüder wurden im Vorjahr von Österreich nach Italien abgeschoben, da dies der zuständige „Dublin“-Staat sei. In Italien wurden sie nicht ins Flüchtlingslager aufgenommen und konnte keinen Asylantrag stellen, obwohl Italien sich zu ihrer Rückübernahme verpflichtet hatte.

„Wir wurden in Italien verhöhnt und gedemütigt“, berichteten sie. Einige Tage lang irrten sie umher, dann flüchteten sie nach Österreich zurück. Sie wurden in Schubhaft genommen, als haftunfähig freigelassen und bei der Caritas untergebracht.

Das Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost in Traiskirchen, erließ neuerliche Dublin-Bescheide, ohne auf die Zustände in Italien nur im geringsten einzugehen; stattdessen stand im Bescheid, die Krankheiten der beiden Flüchtlinge könnten auch in Polen (!) behandelt werden.

Der Beamtin, einer uns durch viele Bescheid-Gustostückerln bekannten Frau H., war es offenbar zu mühsam erschienen, sich auch nur zu merken, um welches EU-Land es denn eigentlich ging... Oder sie hatte einfach den falschen Textbaustein erwischt.

Selbst die amtseigene Ärztin in Traiskirchen hatte bei einem der Brüder eine schwere Traumatisierung festgestellt, Erwin Klasek, Psychotherapeut beim Verein „Hemayat“, bei beiden. Zwei Monate später stellte die Ärztin fest, daß es unserem Klienten besser ginge, offenbar weil der Druck, der auf ihm lastete, nach der Entlassung aus der Schubhaft geringer geworden war.

Die Beamtin der Erstabschiebestelle behauptete aber in ihrem Bescheid steif und fest, die Ärztin habe überhaupt nie eine Traumatisierung festgestellt. Dem Befund Erwin Klaseks (eines international renommierten Experten für die Therapie Traumatisierter und Folteropfer) komme „ein wesentlich geringerer Beweiswert zu, als einer ärztlichen Stellungnahme“.

Woher Frau H. das wissen mag, bleibt ihr Geheimnis. Daß sie irgendeine medizinische oder psychologische Fachkenntnis (oder auch nur einen durchschnittlichen Intelligenzquotienten) hätte, ist uns nun wirklich nicht bekannt.

Erwin Klasek untersuchte die beiden Brüder während des Beschwerdeverfahrens noch einmal und stellte neuerliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes fest. Die geplante Abschiebung habe einen massiven Traumatisierungsschub ausgelöst, der sich auch in körperlichen Symptomen äußere.

Unserer Beschwerde gab Asylrichter Thomas Büchele statt. Dem Bundesasylamt wurde aufgetragen, ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen, um zu klären, ob im Falle einer Abschiebung das reale Risiko einer Retraumatisierung besteht.

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