Von den Versuchen, die Glaubwürdigkeit von Frauen zu zerstören, die über ihre persönliche Geschichte sprechen und dabei politische Verhältnisse schildern, berichtet Eva Kumar.
Die aus Eritrea stammende Pop-Sängerin Senait Mehari hat vor drei Jahren ihr Buch „Feuerherz“ herausgebracht, in dem sie über ihre Jugend als Kindersoldatin schreibt.
Ausgehend davon, dass dieses Buch nun von Andreas Bareis („Nirgendwo in Afrika“ – Oscar ausgez.) verfilmt werden soll, wurde vom NDR-Magazin „Zapp“ nun ihre Glaubwürdigkeit in Zweifel gezogen und eine Medienlawine von Verleumdungen und Gegendarstellungen ausgelöst.
Als sechsjähriges Mädchen wurde Mehari vom eigenen Vater in ein Militärlager gebracht und dort zum Dienst an der Waffe gezwungen. Im Krieg Eritreas um die Unabhängigkeit von Äthiopien hat es die rivalisierenden Rebellenarmeen ELF und EPLF gegeben, die auch Jugendorganisationen unterhielten. Was genau nun in diesen Lagern geschah, wird von Senait Mehari als Ausbildung von Kindersoldaten beschrieben: zum Töten mit Waffen und als Späher und Kuriere.
Nun da da Buch verfilmt werden soll, wird es plötzlich als fehlerhaft und lügenhaft bezeichnet. Nicht nur sollen Orte und Zeiten nicht übereinstimmen, und die Auseinandersetzungen zwischen ELF und EPLF sollen sich anders zugetragen haben – aber am wichtigsten: Mehari sei keine Kindersoldatin gewesen, sie habe keine Waffe besessen und habe nie gekämpft. Es habe im Konflikt um Eritrea überhaupt keine Kindersoldaten gegeben und Mehari habe diese Dinge nur erfunden, um mit der Betroffenheit, die sie mit ihrem Buch im Westen ausgelöst habe, Profit zu machen.
ELF und EPLF haben weltweit vernetzte Exilgemeinden und arbeiten gegen das offizielle Regime von Eritrea unter Isaias Aseweki, das sich zur Diktatur entwickelt hat. Natürlich wirkt es sich auf die Bereitschaft von Geldgebern und Medien aus, wenn bekannt wird, dass sich die Befreiungsbewegung mit der Ausbildung von Kindersoldaten beschäftigt hat und diese in ihren Kämpfen auch eingesetzt hat. ELF und EPLF Deutschland erklären Mehari als Verräterin an afrikanischen Werten und fühlen sich durch ihre Darstellung des Befreiungskampfes verletzt.
Auch das offizielle Regime Eritreas unter Isaias Afewerki, das aus der EPLF-Abspaltung People's Front for Democracy and Justice hervorging, ist nicht begeistert und Afewerkis Arm reicht weit, wenn es darum geht, negative Publicity zu bekämpfen.
Die Bereitschaft, Berichte von Frauen aus Afrika über ihre Lebenssituation als Lügen zu verleumden und Versuche, diese Frauen öffentlich zu demontieren kommt einerseits aus Afrika und den Exilgemeinden selbst: die jungen Frauen werden als Verräterinnen an den afrikanischen Werten von Familie und Solidarität bezeichnet , an den Werten der Kultur und ihrer kulturellen Eigenart gegenüber der verhassten westlichen Kultur von Kommerz und verlogener Freiheit der ehemaligen Kolonialherrscher.
Andrerseits kommt - seltsam verspätet - Kritik aus den Ländern, wo die Frauen ihre Geschichten in Form von Büchern oder Filmen veröffentlichen und eine engagierte Zuhörerschaft und Leserschaft dafür finden.
Dann wird wieder einmal gerne von Sozial-Schmarotzertum, Visa-Shopping, Asyl-Tourismus geredet und penibel darauf geachtet, nicht die gefürchtete politische Correctness und emotionale Betroffenheit zu erwecken – als ob sich diese kostbaren Regungen, einmal hervorgebracht, durch besonders irrationale Handlungen des Hilfeleistens und Wiedergutmachens wild Bahn brechen würden.
Als ob in den Lehnstühlen der Leser und Film-Konsumenten Menschen säßen, die nur Anspruch auf die nach höchsten Kriterien abgesicherte Wahrheit hätten – verwöhnt wie sie sind durch Privatfernsehen, Werbung, Talkshows und Quizsendungen sonder Zahl.
Gewisse Ähnlichkeiten kann man in der Art und Weise der Demontage als glaubwürdige Personen erkennen, wie sie schon Ayaan Hirsi und jetzt auch Senait Mehari wiederfuhr.
Ayaan Hirsi hat über ihr Leben und Leiden als Tochter in einer muslimischen Familie in Somalia geschrieben und über ihre Verweigerung, die ihr zugeschriebene Rolle als muslimische Frau zu erfüllen.
Und nicht nur wird sie von den Muslimen als Feindin und Verräterin betrachtet, als Gefahr für die Muslimgemeinden – als Theo van Gogh auf offener Straße in Amsterdam von Islamisten erstochen wurde, war mit einem Messer ein Droh-Brief an sie an seine Brust geheftet.
Kurze Zeit später wird sie als Abgeordnete der Lüge und formaler Fehler bei ihrer Einbürgerung in die Niederlande bezichtigt und von ihrer Partei ausgeschlossen und zum Verlassen des Landes gebracht. Am 11. Mai 2006 strahlte der sozialdemokratische Sender VARA (Vereeniging van Arbeiders Radio Amateurs) eine Reportage über Ayaan Hirsi Ali aus („De heilige Ayaan“), worin auch auf ihre seit längerem bekannten falschen Angaben in ihrem Asylverfahren 1992 hingewiesen wurde.
Am 15. Mai 2006 kündigte die niederländische Ministerin für Immigration und Integration Rita Verdonk (VVD) an, dass Hirsi Alis Einbürgerung nach ihrer Meinung für hinfällig erklärt und ihr die niederländische Staatsbürgerschaft aberkannt werden müsse. Verdonk steht für einen rigiden innenpolitischen Kurswechsel der bislang liberalen Niederlande hin zu einer restriktiven Einwanderungspolitik. Dies machte sie zu einem der beliebtesten Regierungsmitglieder. Zur allgemeinen Verwunderung wurde die Ausbürgerung schon einen Tag später, am 16. Mai, durchgeführt. Die Ausbürgerungsforderung und die außergewöhnliche Schnelligkeit des Verfahrens sorgte in den Niederlanden für heftige Diskussionen.
Am 16. Mai 2006 hatte Hirsi Ali ihren Parlamentssitz niedergelegt. Sie äußerte, sie sei fassungslos, dass ihr die niederländische Staatsbürgerschaft entzogen würde, da sie schon vor langem die falschen Angaben zugegeben habe. Die Affaire endete erst 6 Wochen später mit dem Rücktritt der Regierung Balkenende als politische Intrige, deren Akteure sich Hirsi Alis bedient hatten. Ursprünglich wollte Hirsi Ali erst 2007 in die USA gehen, um dort für eine neokonservative Denkfabrik zu arbeiten. Doch eine erfolgreiche Gerichtsklage im April 2006 der Nachbarn ihrer Wohnung in Den Haag, die sich wegen ihres Personenschutzes gestört sahen und den Verfall der Immobilienpreise beklagten, beschleunigte ihren Entschluss zum Ortswechsel.
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