Samstag, 24. Januar 2009
 
Film: Bolivarische Sozialismusfabriken PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Roman Gutsch/akin   
Donnerstag, 1. Februar 2007

Roman Gutsch war im Kino und rezensierte für die akin "5 Fabriken – Arbeiterkontrolle in Venezuela"

Denkt man Kino und Fabrik zusammen, draengt sich die Traumfabrik Hollywood
auf, weniger die Aluminiumhuette, das Textilunternehmen, die Tomatenfabrik,
die Fabrik, in der Kakaomasse produziert wird, und die Papierfabrik, alle
Schauplaetze im Dokumentarfilm "5 Fabriken – Arbeiterkontrolle in Venezuela"
von Oliver Ressler und Dario Azzellini. In der Vorwoche hatte dieser Film in
Wien Premiere. Schauplatz einer interessanten Diskussion ueber diesen Film –
mit Regisseur Ressler und einem Aktivisten von "Haende weg von Venezuela" am
Podium – war das Filmcasino.

Zum politischen Hintergrund des Films: Wuerden in Oesterreich ArbeiterInnen
eine Fabrik besetzen, dann waeren binnen zehn Minuten Sondereinheiten der
Polizei vor Ort, um den Wunsch nach Selbstverwaltung und sozialer Produktion
im Keim zu ersticken. Anders in Venezuela. Dort steht die Staatsmacht hinter
den ArbeiterInnen. So koennen sie etwa auf Kredite bauen, die ihnen gewaehrt
werden, wenn sie die Produktion eines abgewirtschafteten oder stillgelegten
Unternehmen eigenmaechtig wieder in Stand setzen, sich die
Produktionsmitteln aneignen, die fuer ihre Kooperative notwendig sind.

Die besetzten Betriebe – in Lateinamerika produzieren mittlerweile rund 300
Betriebe unter der unmittelbaren Kontrolle der Belegschaft, manche im
rechtsfreien Raum, andere voellig legal – verstehen sich mehrheitlich als
Unternehmen sozialer Produktion, die durchaus unterschiedliche Antworten auf
die Schluesselfrage finden, wie ein Unternehmen im Rahmen des Kapitalismus
Druck in Richtung Sozialismus machen kann.

Allein diese Fragestellung, die im Film explizit vom Praesidenten der
Aluminiumfabrik gestellt wurde, der seine Aufgabe als die Aufgabe eines
Revolutionaers sieht, macht deutlich, dass das Modell der partizipativen
Demokratie, das in Venezuela auch auf den Bereich der Wirtschaft angewendet
wird, den Aufbau des Sozialismus anstrebt. Folglich faellt die Abgrenzung zu
sozialdemokratischen Modellen der Mitentscheidung genauso deutlich aus wie
die Ablehnung des Staatssozialismus der ehemaligen UdSSR. Mit
Unternehmensstrategien, die derzeit unter dem Schlagwort Corporate Social
Responsibility diskutiert werden, haben die in Venezuela gebildeten
Arbeiterkooperativen allein schon aufgrund ihrer Zielbestimmung ueberhaupt
keine Schnittmenge.

Gegenoeffentlichkeit oder Propaganda


Der Film von Oliver Ressler und Dario Azzellini zeigt, da er nur die
Betroffenen selbst zu Wort kommen laesst, authentische Einblicke in den oben
skizzierten Prozess, der nicht, wie gerne in den kapitalistischen Medien
behauptet wird, von oben verordnet, der Bevoelkerung aufoktroyiert wurde.
Demnach stellt der Film eine Gegenoeffentlichkeit zu der in Europa
dominanten, die bolivarische Revolution denunzierenden Berichterstattung
dar. Eine Gegenoeffentlichkeit, die bewusst darauf verzichtet hat, den
politischen GegnerInnen eine Plattform zu bieten. Diese Entscheidung wurde
in der Diskussion angegriffen. Diese Kritiker behaupteten auch, dass der
Film sowohl aesthetisch als auch inhaltlich an einen realsozialistischen
Propagandafilm erinnere. Er zeige nur, so der Vorwurf, reibungslose
Produktionsablaeufe und wohlwollende Kommentare von AktivistInnen.

Diesem Vorwurf wurde in der Diskussion auf mehreren Ebenen begegnet.
Einerseits wurde festgehalten, dass nicht jede Filmsequenz auch ein Symbol
ist (Beispiel: ein die Leiter nach oben steigender Arbeiter stehe nicht
immer fuer Fortschritt), andererseits wurde darauf hingewiesen, dass ein
Film nicht automatisch zum Propagandafilm wird, nur weil er sich einem
politischen Phaenomen ausschliesslich aus einer Perspektive naehert, zumal
es sich bei dieser Perspektive um eine handelt, die ansonsten nur am Rand
wahrgenommen wird: die der ArbeiterInnenklasse.

Insgesamt wurde in der Diskussion nicht nur die Dynamik auf der
Betriebsebene, sondern auch das regionale Entwicklungspotential der
Kooperativen durch die Einbindung der Communities und der weltpolitische
Kontext thematisiert, vor dem die Besetzungen stattfinden und bewertet
werden muessen.
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