Samstag, 24. Januar 2009
 
WSF in Nairobi: Licht und Schatten PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Peter Wahl   
Samstag, 27. Januar 2007

Für Peter Wahl, Mitarbeiter des deutschen Informationsdienstes für Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung (WEED), fällt die Bilanz des 7. Weltsozialforums in Nairobi widersprüchlich aus. Er plädiert in dieser Analyse vom 27.1. für Erneuerung, sowohl in Bezug auf das Format als auch die Häufigkeit der Treffen.

Positiv war, dass das Forum in Afrika stattgefunden hat. Es war eine Schwäche der früheren Sozialforen, dass die afrikanische Zivilgesellschaft, ihre Themen und Probleme immer stark unterrepräsentiert waren. Nairobi hat diese Lücke geschlossen. Das Forum 2007 bot der afrikanischen Zivilgesellschaft die Gelegenheit, sich als Teil der globalen Bewegung für Alternativen zu den herrschenden Verhältnissen darzustellen und eine gemeinsame Identität zu entwickeln. Viele neue Informationen, die Debatten und die Vernetzung mit anderen haben sicher einen wertvollen Beitrag zu Stärkung der afrikanischen Zivilgesellschaft leisten können.

Dies gilt zumindest für den anglophonen Teil des Kontinents. Denn auch in Nairobi war die koloniale Teilung in einen anglophonen und frankophonen Teil schmerzhaft spürbar. Die Beteiligung Westafrikas war sehr gering. Damit reproduzierte sich mit umgekehrten Vorzeichen das, was beim regionalen Forum 2006 in Bamako aufgetreten war.

Auch für Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den Industrieländern, die zum ersten Mal nach Afrika kamen, brachte das Forum wichtige Erkenntnisse. Was sie sonst nur aus abstrakten Satistiken über Armut und Elend kannten, wurde greifbar und mit konkreter Erfahrung aufgefüllt. Denn die Veranstaltungen, die Zeltstadt mit ihren Infoständen, die vielen informellen Kontakte wurden von den existentiellen Alltagsproblemen der afrikanischen Realität dominiert: Hygiene, Wasser, Aids, Gewalt gegen Frauen, Korruption, Verschuldung, Straßenkinder usw. Die Akteure, die diese Themen repräsentierten, waren vorwiegend NGOs, darunter in besonders hohem Maße kirchliche Hilfswerke sowie große, international operierende NGOs.

Verlust an Attraktivität und Ausstrahlungskraft

Über den positiven Aspekten sollten allerdings nicht die Defizite dieses WSF übersehen werden. Das fängt mit der deutlich geringeren Beteiligung an. Auch wenn man nicht brasilianische Verhältnisse zum Maßstab machen will, wo in Porto Alegre übers Wochenende einfach mal 100.000 Brasilianer auflaufen, so muss man zur Kenntnis nehmen, dass selbst die Teilnahme aus den Industrieländern generell geringer war. Das heißt: An den Reisekosten allein kann es nicht gelegen haben. Die Attraktivität in die Bewegung hinein ist sichtlich zurückgegangen.

Auch die politische Ausstrahlung nach außen hat spürbar nachgelassen. Die internationale Medienberichterstattung war geringer und mehr als früher auch negativ. Das gilt auch für Deutschland. Damit ist eine der wichtigsten Funktionen der Foren, nämlich weltweit als Gegenpol zum Weltwirtschaftsforum in Davos wahrgenommen zu werden, deutlich reduziert. Die politische Botschaft, die sonst vom WSF in die Welt gegangen war, ist schwächer geworden.

Dabei spielen sicher auch "natürliche" Gründe mit hinein. Der Reiz des Neuen ist nach sieben Jahren verflogen. Und wer seriös Politik macht, kann nicht permanent das mediale Bedürfnis nach Spektakularität bedienen. Aber dennoch ist ein Gutteil der gesunkenen Außenwirkung hausgemacht.

Pluralität muss Produktivkraft werden

So hat die starke single issue-Orientierung auch eine Kehrseite: Eine qualifizierte Weiterentwicklung der Kritik an der Globalsierung als systemisches Phänomen fand in Nairobi kaum statt. So wurden z.B. die internationalen Finanzmärkte, die immerhin den Kern des neuen Akkumulationsregimes (vulgo: Globalisierung) bilden, in gerade mal fünf Veranstaltungen ausdrücklich thematisiert.

Auch hat sich der Verzicht auf Großveranstaltungen mit prominenten Bewegungs-
intellektuellen nicht ausgezahlt. Abgesehen davon, dass es für die Identitätsbildung einer so heterogenen Bewegung auch solcher verbindender Elemente bedarf, ist damit ein Stück Außenwirkung verloren gegangen.

Übrig bleibt dann nur die unverbundene Koexistenz einer Vielzahl von single issues. Es geht dabei überhaupt nicht darum, die Pluralität und Offenheit des Forums einzuschränken. Vielfalt ist aber nur dann eine Stärke, wenn die unterschiedlichen Elemente in produktive Reibung miteinander treten, wenn Verallgemeinerung, Synthese und gemeinsame Lernprozesse möglich werden. Ein statisches Pluralismusverständnis führt hingegen dazu, dass das Forum zum Markt der Möglichkeiten zerfällt - mit dem enstprechenden Risiko der Entpolitisierung. Insofern ist das Format des WSF in Nairobi mitverantwortlich für den Verlust an Attraktivität nach innen wie nach außen.

Einige Hilfswerke und NGOs haben diese Entwicklung befördert, weil sie glauben, das sei "ideologiefrei". Schützenhilfe bekommen sie dabei von einigen Linken, die aus einem Affekt gegen "die Promis", den sie für basisdemokratisch halten, in die gleiche Richtung ziehen.

Hier sind Reformen notwendig. Es kommt darauf an, ein Format zu entwickeln, das komplementär zu den single issues Verallgemeinerung ermöglicht, scheinbar Disparates und Konkretes bündelt und Pluralität zu einer Produktivkraft werden lässt.

Das Gegenteil eines Fehlers ist meist wieder ein Fehler

Die Versammlung der Sozialen Bewegung hat ein explizit politisches Selbstverständnis. Sie will  anders als das Gesamtforum - nicht nur ein Raum sein, sondern einen transnationalen Akteur konstituieren und Handlungsfähigkeit entwickeln. Sie ist der Kristallisationskern der Linken innerhalb des Forums und möchte einen bewussten Gegenakzent zur Mehrheit der NGOs bilden. Allerdings bestätigte die Versammlung in Nairobi die alte Binsenweisheit, dass das Gegenteil eines Fehlers meist wieder ein Fehler ist.

Zwar wurde eine Erklärung verabschiedet, in der nichts Falsches steht, ansonsten bestand das Meeting aber hauptsächlich darin, dass Fäuste geballt wurden, Amandla Ngawethu, Parolen vom Typus "Hoch die ...Weg mit ..." gleich im Dutzend gerufen wurden und zum Teil sektiererische Kritik am Forum im allgemeinen und "den NGOs" im besonderen geübt wurde. Das ist nicht die Alternative zur Entpolitisierungstendenz des WSF.

Notwendig ist stattdessen, Räume für eine qualifizierte Kritik der Globalisierung auf der Höhe der Zeit zu schaffen. Auch das wäre im Format des Forums zukünftig zu berücksichtigen.

WSF und Staat

Zivilgesellschaft und soziale Bewegungen agieren außerhalb des formellen politischen Systems. Sie versuchen an einem Problemfeld das Meinungsklima in der Gesellschaft zu beeinflussen, ohne parlamentarische Vertretung oder Regierungsbeteiligung anzustreben. Auch wenn es inhaltliche und politische Übereinstimmungen zwischen Parteien und/oder Regierungen und zumindest Teilen der Zivilgesellschaft geben kann, folgen beide Akteurstypen in Strukturen und Dynamik einer unterschiedlichen Logik und spielen gesellschaftlich verschiedene Rollen. Insofern ist es weise, wenn das WSF auch weiterhin auf eine gewisse Distanz zu Parteien und Regierungen achtet.

Das WSF 2007 zeigt aber auch, dass die Durchführung eines solchen Großevents ohne die Unterstützung mindestens einer großen Kommune äußerst schwierig ist. Bestimmte Schwächen in Nairobi, wie etwa das Fehlen der angekündigten Übersetzung, sind nicht einfach ein organisatorischer Mangel, sondern hochpolitisch. Eine globale Bewegung muss ein Minimum an Kommunikationsgerechtigkeit garantieren. Wenn alles in Englisch läuft, macht das nicht nur viele sprachlos, sondern verfestigt auch noch die monokulturelle Hegemonie einer Sprache.

Solange staatliche Unterstützung für das WSF transparent ist und - wie in Porto Alegre - nicht zu politischer Instrumentalisierung führt, kann sie akzeptiert werden. Zumal gerade einige der einflussreichsten Kritiker einer Kooperation mit dem Staat aus NGOs kommen, die selbst über Staatsknete in der Größenordnung von sechsstelligen Millionenbeträgen zu verfügen pflegen. Insofern kam die Finanzierung des WSF 2007 zwar nicht von der Kommune Nairobi oder dem Staat Kenia, aber indirekt doch zu einem erklecklichen Teil aus staatlichen Budgets, insbes. den Entwicklungs- und Außenministerien Skandinaviens, Frankreichs, Großbritanniens, Deutschlands etc. oder aus staatlich eingetriebener Kirchensteuern in den Industrieländern. Darüber sollte man offen reden, statt mit zweierlei Maß messen.

Ein anderes WSF ist nötig

Das WSF war eine Erfolgsgeschichte. Aber: Wandel und Wechsel liebt, was lebt. Damit die Erfolgsgeschichte ihre Fortsetzung findet, ist es an der Zeit, dass das Projekt auf die Veränderungen der Rahmenbedingen reagiert und sich erneuert.

Dazu gehört nicht nur das Format, sondern auch die Häufigkeit der Treffen. Der Jahresturnus ist auf Dauer nicht durchzuhalten. Es muss Raum und Zeit sein, für dezentrale, regionale und lokale Foren. Auch was den Austragungsort angeht, dürfen früher einmal gefasste Beschlüsse in Frage gestellt werden. Warum sollte ein WSF nicht auch einmal in Europa stattfinden können, solange dies nicht zur Dauereinrichtung wird?

Nötig wären auch Strukturen, die mehr Kontinuität und Kommunikation zwischen den großen Meetings ermöglichen. Und last but not least braucht es mehr Transparenz in den Entscheidungsprozessen. Zwar werden angesichts der vielen praktischen und
finanziellen Probleme internationaler sozialer Bewegung ideale Standards von repräsentativer und partizipativer Demokratie immer deutlich unterboten werden, aber etwas mehr an Transparenz, Partizipation und damit Demokratie als gegenwärtig ist durchaus möglich.

WEED - Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung
Torstr. 154, D-10115 Berlin;
Tel +49(0)160-8234377
www.weed-online.org


Ein WSF-Bericht von Uli Brand  siehe:
Frankfurter Rundschau online, 27.1.2007
http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/?em_cnt=1060211

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