Im Genfer Palast der Nationen begann am 20.11.2006 die sechste Überprüfungskonferenz der Biowaffen-Konvention. Nachdem die letzte Veranstaltung vor fünf Jahren durch die angedrohte Totalverweigerung der USA mit einem Eklat endete, wollen die 155 Mitgliedstaaten nun unter Vorsitz von Masood Khan aus Pakistan erneut versuchen, die Ächtung biologischer Waffen zu stärken.
Weil aber Biowaffen nicht präzise definiert sind, muss angesichts der enormen Fortschritte in den Lebenswissenschaften überprüft werden, ob die Begriffsbestimmung möglicherweise auszuweiten ist. Auch die erlaubte "Defensivforschung" droht das Verbot zu unterlaufen, denn die Konvention gestattet, biologische Agenzien wie z.B. Impfstoffe zur "Vorbeugung" und zum "Schutz" zu entwickeln. Eine klare Unterscheidung zwischen offensiv und defensiv ist jedoch in der Praxis häufig kaum möglich.
Bei einem Verdacht auf verbotene Handlungen sollen Vertragsteilnehmer sich zwar konsultieren und bei der Aufklärung zusammenarbeiten. Auch eine Beschwerde beim UNO-Sicherheitsrat ist möglich. Da dieser durch ein Veto seiner ständigen Mitglieder aber jederzeit paralysiert werden kann, sollte ein spezielles Kontrollinstrument Abhilfe schaffen. Mehr als neun Jahre wurde verhandelt, bis im Sommer 2001 endlich ein Ergebnis vorlag. Doch die USA lehnten das nahezu fertige Zusatzprotokoll plötzlich ab und forderten ultimativ die Auflösung der Verhandlungsgruppe. In den vergangenen Jahren beschränkten sich die multilateralen Aktivitäten deshalb auf unverbindliche Themendiskussionen, und Washington weigert sich bis heute strikt, die Kontrollfrage auch nur zu erörtern. Ein umfassendes und zuverlässiges Verbot von Biowaffen wird jedoch vor allem durch die Entwicklungen der Gentechnologie immer dringlicher, denn zahlreiche Regionalkonflikte und gewaltsame innergesellschaftliche Auseinandersetzungen machen es wahrscheinlicher, dass auch künstlich manipulierte Krankheitserreger zu kriegerischen, kriminellen oder terroristischen Zwecken eingesetzt werden könnten.
Für die dringend erforderliche Stärkung der Konvention gibt es eine Reihe von Ideen und Anregungen. So schlagen die EU und auch lateinamerikanische Staaten vor, eine ständige Kontaktinstitution zu bilden, um Informationen auszutauschen und die Aktivitäten zwischen den Teilnehmerstaaten zu koordinieren. Ein wissenschaftliches Beratergremium sollte neue Entwicklungen daraufhin prüfen, ob sie für das Biowaffenverbot relevant sind. Andere Überlegungen fordern die Wiederbelebung von UNO-Expertengruppen, die in den achtziger Jahren Vorwürfe des Chemiewaffeneinsatzes im Iran-Irak-Krieg und in Südostasien untersuchten. Ein weiterer Vorschlag will die Sonderkommission UNMOVIC (United Nations Monitoring, Verification and Inspection Commission) reaktivieren, die bis zum Kriegsbeginn im Frühjahr 2003 in Irak nach verbotenen Massenvernichtungswaffen suchte. Einige Staaten wie Frankreich, Kanada, Russland und Schweden drängen darauf, UNMOVIC künftig zur Verifikation der Biowaffen-Konvention einzusetzen. Wissenschaftler der New Yorker Carnegie-Stiftung wie auch die auf Kontrollfragen spezialisierte Nichtregierungsorganisation VERTIC regen ebenfalls ein eigenständiges Verifikationsorgan an.
Bisher allerdings scheiterten alle derartigen Projekte am Widerstand der USA. Washington möchte sein 5,6 Milliarden Dollar teures Biowaffenprogramm um jeden Preis vor internationalen Kontrollen abschirmen, denn es bewegt sich zumindest teilweise jenseits der vertraglich erlaubten Defensivaktivitäten. Nachdem die Vereinigten Staaten bereits seit Jahren geheime Biowaffenforschung betrieben, beanspruchen sie jetzt ganz offen das Recht auf "Schutzforschung" als Bestandteil des globalen Kampfes gegen den Terrorismus. Carolyn Leddy vom US State Department erklärte bereits vor Konferenzbeginn unmissverständlich, "dass die Bush-Regierung nicht zu den Protokollverhandlungen oder irgendwelchen anderen Verhandlungen über einen Verifikationsmechanismus für die B-Waffen-Konvention zurückkehren wird." Die übrigen Vertragsstaaten stehen jetzt vor dem Dilemma, entweder dem Druck aus Washington zu weichen, oder Kontrollvereinbarungen gegen den Willen der USA abzuschließen. Diese wären aber ohne Teilnahme der in den Biowissenschaften führenden Macht wenig wirksam.
Als einen Schritt aus der Sackgasse empfiehlt ein Forscherteam der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) einen provisorischen "Compliance-Mechanismus", der sich vor allem auf den UNO-Generalsekretär und seine Abrüstungsabteilung stützt (siehe unten). Ein entscheidender Vorteil der Idee besteht darin, dass sie nicht durch den Sicherheitsrat mit seinen Vetomächten beschlossen werden, sondern lediglich die Vollversammlung passieren müsste. Somit könnte die Einhaltung des Abkommens trotz der USA-Blockade bis zur Verabschiedung eines Verifikationsprotokolls kontrolliert und die Gefahr vermindert werden, dass Vertragsbrüche und Selbsthilfekonzepte das Biowaffenverbot unterminieren. Ob die Anregung von der Überprüfungskonferenz allerdings akzeptiert wird, bleibt abzuwarten.
Themen der jährlichen Fachkonferenzen: 2003: Staatliche Umsetzung der Vertragsbestimmungen, nationale Strafgesetzgebung sowie physische Sicherheit von Krankheitserregern und Toxinen. 2004: Internationale Hilfe und Zusammenarbeit bei einem Angriff mit biologischen Kampfstoffen und dem Ausbruch von Massenepidemien. 2005: Verhaltenskodex für Biowissenschaftler zur Verhinderung des Missbrauchs biowissenschaftlicher Forschung.
Der Vorschlag der HSFK-Friedensforscher besteht aus vier Elementen:
1. Ein Mandat für den UNO-Generalsekretär, vermutete Verstöße gegen das Biowaffenverbot zu untersuchen. Das Recht hierzu lässt sich aus Artikel 99 der UNO-Charta ableiten, der den Generalsekretär ermächtigt, den Sicherheitsrat auf Probleme aufmerksam zu machen, die den Weltfrieden und die internationale Sicherheit bedrohen. Sowohl der Sicherheitsrat als auch die Generalversammlung haben wiederholt erklärt, dass die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen eine solche Bedrohung darstellt.
2. Der Auftrag setzt logischerweise voraus, dass der Generalsekretär zur Ausübung seines Rechts die nötigen Informationen erlangen kann. Dafür könnte innerhalb der bereits bestehenden Abrüstungsabteilung im UNO-Sekretariat biologische und biotechnologische Expertise angesiedelt wird.
3. Wenn die bereits im Rahmen der Konvention vereinbarten vertrauensbildenden Maßnahmen erweitert werden und die Abrüstungsabteilung sie nutzen darf, erhalten die Experten eine wichtige Informationsgrundlage, auf der sie verdächtige Aktivitäten identifizieren können.
4. Eine Überführung der Konventionsnormen ins Völkergewohnheitsrecht, unter das gegenwärtig nur der Einsatz von Bio- und Chemiewaffen fällt, nicht aber ihre Herstellung oder Weitergabe, wird schließlich die Rechtsgrundlage stärken, auf der auch gegen die Verbreitung von B-Waffen vorgegangen werden kann.
Dieser Artikel ist ebenfalls erschienen bei ND (Neues Deutschland) vom 20.11.2006.
|