Politische Correctness ist manchmal eine Gratwanderung. Vor allem, wenn es darum geht, Autoren, die partout nicht politically correct sein wollen, in ein Schema zu zwingen. Einen gescheiterten Versuch konnte man jüngst anläßlich einer Buchpräsentation in einer Wiener Bibliothek beobachten.
Am Dienstag, 20. Februar 2007 lud die Bücherei Penzing (Zweigstelle der Büchereien Wien) zu einer Abendveranstaltung ein. Am Programm stand eine Buchpräsentation mit dem deutschen Publizisten Henryk Broder, der sein neues Buch vorstellte: "Hurra, wir kapitulieren! Von der Lust am Einknicken." Berlin: wjs Verlag 2006. ISBN 3-937989-21-8 Henryk Modest Broder (geboren am 20. August 1946 in Kattowitz, Polen) ist ein deutscher Journalist und Schriftsteller. Als Publizist beschäftigt er sich vorwiegend mit Themen wie dem Judentum, dem dem Nationalsozialismus oder der "deutschen Linken". Kennzeichend für seinen Stil ist sowohl die recherchierende und informierte Kolumne als auch die pointierte Polemik. Broder schreibt für das Magazin Der Spiegel und die Berliner Tageszeitung Der Tagesspiegel. Er ist Mit-Herausgeber des "Jüdischen Kalenders", einer jährlich erscheinenden Text- und Zitatensammlung deutsch-jüdischer Kultur.
Broder wird in Deutschland sehr kontrovers aufgenommen. Auf seine Polemiken wird sehr scharf reagiert, nicht selten mit Rechtsmitteln. Wikipedia: (....) Er tritt als "erbarmungsloser Provokateur und klassischer Unruhestifter" (FAZ) auf. Dass er sich dabei nicht nur Freunde macht, kann nicht überraschen. Als positiv wird ihm die "Fähigkeit des Auf-den-Punkt-Bringens, des Erkenntnis fördernden Vereinfachens" attestiert. Damit halte er "das schlechte Gewissen der Deutschen" wach (SZ). Die Jury des Schubart-Preises rückte Broders "streitbares wie kenntnisreiches Werk" in die "freiheitliche und republikanische Tradition des deutschsprachigen Journalismus" und benannte den Satiriker Karl Kraus als einen der Ahnherren. Bei aller Lust an der Polemik sei es "das bleibende Verdienst Broders, stets prägnant und präzise argumentierend für das jüdisch-deutsche und das deutsch-israelische Verhältnis einzutreten." (...)
Vor allem im letzten Jahr anlässlich des Krieges Israel-Libanon hat sich allerdings die Kritik an seiner Person zugespitzt, wie sich überhaupt die Gruppen und Grüppchen der Linken an diesem Thema profiliert oder auch aufgerieben haben.
Es werden Broder Netzwerverbindungen zu den Antideutschen nachgesagt ? hier einige Verweise (wieder aus Wikipedia) auf die verwirrenden Positionen dieser Gruppe:
(.....) Obwohl sich Antideutsche selbst als Gegner des Kapitalismus und meist als Kommunisten verstehen, weisen sie darauf hin, dass einige Formen des Antikapitalismus, etwa Elemente der sogenannten Globalisierungskritik, Ausdruck eines versteckten, strukturellen Antisemitismus seien. Damit wird insbesondere gegen Bewegungen wie attac Stellung bezogen.
Die in der globalisierungskritischen Bewegung populäre Forderung nach einer Regulierung der Finanzmärkte (z.B. Tobin-Steuer) argumentiert nach Meinung vieler Antideutscher mit einer problematischen Unterscheidung zwischen schaffendem und raffendem Kapital, die wesentlich von den Nationalsozialisten geprägt wurde und implizit - auch da, wo sie nicht entsprechend ausformuliert oder auch nur bewusst gemacht werde - auf das Stereotyp des "Geldjuden" verweise.
In letzter Zeit lässt sich jedoch eine Diskursverschiebung insbesondere bei der extrem antideutschen Zeitschrift "Bahamas" beobachten, die relative Sympathien für das neoliberale Gesellschaftsmodell im Vergleich zum deutsch-französischen "rheinischen Kapitalismus" bekundet.
Während linksradikale Gruppen traditionell die Diskriminierung von Migranten in Deutschland als zentrales Problem ansehen, äußern sich antideutsche Publikationen wie die Zeitschrift Bahamas zunehmend negativ über die Rolle von Migranten in der europäischen Gesellschaft. Analog zu bürgerlichen und rechten Parteien behaupten sie, dass das Ideal der Multikulturalität Freiräume für gewalttätige und kriminelle Islamisten schaffe, in denen eben die eingeforderten Toleranzräume für Minderheiten nicht mehr gälten.
Also Fakt ist, dass Broder eine nicht ganz unumstrittene Persönlichkeit ist und in diesem Zusammenhang relativiert sich vielleicht das Ereignis, das im folgenden geschildert wird.
Thema des vorgestellten Buches ist die Kritik an der Tendenz in westlichen Gesellschaften, auf den extremistischen Islamismus mit unangemessenem Entgegenkommen zu reagieren. (Nur ein Beispiel: Nach dem bekannten Streit um die Mohammed-Karikaturen einer dänischen Zeitung und die darauffolgenden Gewaltwelle verbreitete der Großkonzern Nestlé eine öffentliche Erklärung, dass er bei seinen Produkten keine aus Dänemark stammenden Zutaten verwende.)
Nun wurde pikanterweise auch anlässlich der Buchpräsentation und des Auftritts von Broder scheinbar solche Art von vorauseilendem Gehorsam von der Leiterin der Bücherei Penzing erwartet:
Am Nachmittag vor der Veranstaltung kündigte ihr die vorgesetzte Dienststelle (Magistratsabteilung 13) die Teilnahme eines Vertreters der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen an. Die Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen hatte bereits öffentlich gegen eine weitere, einen Tag später stattfindende Buchpräsentation Broders protestiert.
Mit "Teilnahme" war allerdings gemeint, dass der Vertreter der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen neben Broder am Podium sitzend als Diskussionspartner den Abend bestreiten sollte. Nun war aber die Veranstaltung nicht als Podiumsdiskussion, sondern als Buchpräsentation mit Lesung und anschließender Publikumsdiskussion geplant und angekündigt.
Als Vertreter der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen war Dipl.Ing. Tarafa Baghajati schon einige Zeit vor Beginn der Veranstaltung eingetroffen und musste feststellen, dass für ihn ein Platz in der ersten Publikumsreihe reserviert war, von wo aus er herzlich eingeladen war, sich an Diskussionen zu beteiligen. Er führte dann vorerst einmal lange Telefonate.
Daraufhin wurde die Bibliotheksleiterin telefonisch von der Magistratsabteilung 13 nachdrücklich aufgefordert, Herrn DI Baghajati einen Platz am Podium einzuräumen. Dieser Aufforderung kam sie nicht nach.
Die Veranstaltung hatte bereits in der geplanten Form begonnen und Herr DI Baghajati in der ersten Reihe Platz genommen, als ein weiterer Anruf aus der MA 13 die Bibliotheksleiterin erreichte. Inhalt des Anrufs: der Wunsch nach Änderung des Charakters und Ablaufs der Veranstaltung komme aus dem Büro der für die Büchereien Wien ressortzuständigen Stadträtin und Vizebürgermeisterin. Und - ein dezenter aber unmissverständlicher Hinweis an die Bibliotheksleiterin, dass das Nichtbefolgen der Anweisung für sie Folgen haben könnte....
Hier kamen also mehrere Dinge zusammen: Der polarisierende Broder, der mit seinen Polemiken immer wieder Finger nicht sehr heilend in offene Wunden legt. Ein wohlmeinendes interessiertes offenes Bibliothekspersonal und Publikum, das an sein Recht auf Meinungsfreiheit und Redefreiheit glaubt bzw. in der Bibliotheksarbeit jeden Tag dafür einsteht. Der Repräsentant der muslimischen Gemeinde, Baghajati, der als sehr moderat bekannt ist und immer großen Wert auf Verständigung und Vermittlung zwischen Muslimen und anderen Gemeinschaften legt und eine Magistratsabteilung, die offenbar ihre Kompetenzen überschätzt und vorauseilend schützende Hände über ? zu der Zeit - gar nicht Schutzbedürftige hält und aus Angst vor Konfrontationen mit Leuten, die ohnehin gar nicht darauf aus sind - ein patriarchal autoritäres fast metternichsches Selbstverständnis pflegt. An Metternichs Angst vor einem afrikanisch dominierten Europa des 19. Jahrhunderts fühlt man sich auch durch die ängstliche Haltung gegenüber der friedfertigen Initiative österreichischer Musliminnen erinnert. http://afrika-wien.at/pub/buch-chibo.pdf
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