In den westlichen Medien ist durchgängig von einer russischen
Aggression gegen Georgien die Rede. Die georgische Kriegspropaganda,
die vor einem unmittelbar bevorstehenden Angriff auf Tiflis warnte und
sogar Vergleiche mit den sowjetischen Einmärschen in der
Tschechoslowakei und Afghanistan zog, wurde schlicht übernommen.
Die Fakten sprechen eine andere Sprache. Es war der radikal proamerikanische Präsident Saakaschwili, der den Befehl zum Angriff auf Südossetien erteilte. Die darauf folgende Invasion georgischer Truppen in die Provinzhauptstadt Zchinwali kostete hunderte, nach anderen Quellen sogar tausende Zivilisten das Leben und führte zur Massenflucht von Osseten.
Saakaschwilis Militärabenteuer konnte nicht anders als eine russische Reaktion hervor zu rufen. Der russische Gegenschlag war umso massiver und brachte Georgien eine klare Niederlage bei. Tiflis wurde nicht nur zum Rückzug aus Südossetien gezwungen, sondern musste auch die letzten verbliebenen Stellungen in Abchasien räumen, der zweiten, wichtigeren Region, die nach Unabhängigkeit strebt. Aber Russland ging es darüber hinaus, dem Westen eine Lektion zu erteilen. Es bombardierte die Baku-Tbilisi-Ceyhan-Pipeline, die einzige Route zur Versorgung Europas mit Erdöl aus Zentralasien, die sich nicht unter russischer Kontrolle befindet. Und für kurze Zeit verhängte die russische Schwarzmeerflotte sogar eine Seeblockade gegen den georgischen Hafen Poti.
Angesichts des enormen Ungleichgewichts der Kräfte, die das georgische Unterfangen von Anfang an als aussichtslos erscheinen lassen musste, stellt sich die Frage nach dem Sinn der georgischen Militäraktion. Es drängt sich die Vermutung auf, dass Georgien Opfer einer groben Selbstüberschätzung geworden ist. Diese schien durch die jahrelange Militärhilfe der USA noch bestärkt worden zu sein. Zudem rechnete scheinbar niemand mit der Heftigkeit der russischen Reaktion. Den imperialistischen Westmächten blieb indes nichts anderes übrig als der russischen Machtdemonstration tatenlos zuzusehen. Zwar schlug Washington härtere diplomatische Töne an als Frankreich oder Deutschland, aber letztlich konnten selbst die USA ihrem Verbündeten im Kaukasus nicht militärisch beistehen, denn das hätte das Verhältnis zu Moskau zu sehr belastet. Das gemeinsame Versprechen Georgien in die NATO aufzunehmen ist bereits eine gefährliche Bedrohung Russlands. Und zudem nutzte Washington die Gunst der Stunde, um den Raketenschild gegen Moskau in Polen endgültig zu fixieren. Doch global gedacht will man nicht zu weit gehen. Moskau darf als Verbündeter im „Krieg gegen den Terrorismus“ nicht verloren gehen. Diese Erwägung überwiegt alle anderen. Ein heute im Brennpunkt stehender Aspekt dessen ist die Eskalation gegen den Iran, bei der man Russland zumindest neutral halten will.
Und nochmals zur Motivation Saakaschwilis: Die „Heimholung“ Südossetiens und Abchasiens in Form eines chauvinistischen Nationalismus stellten den zentralen Punkt seines Programms dar. Dass er dies in Form eines militärischen Abenteuers durchzuführen versuchte, mag mit einer wohlkultivierten, mittelalterlich anmutenden georgische Tradition des Kriegertums, der Ehre und Männlichkeit zusammenhängen. Man erinnere sich an den ersten post- und antikommunistischen Präsidenten Swiad Gamsachurdia, der den Autonomiestatus für die Minderheiten aufhob und damit den Konflikt erst richtig anheizte, sich in die Berge zum Guerillakrieg zurückzog und einen sagenumwobenen Heldentod starb.
Von einem antiimperialistischen Standpunkt aus ist das Eigentor im Kaukasus fast erfreulich: Das kleine Land unterhält nach den USA und England das drittgrößte Kontingent an Besatzungstruppen im Irak. Dieses wurde übrigens von den USA flugs zurück an die Heimatfront geflogen. Sowohl die USA als auch Israel sind massiv an der Aufrüstung des Landes beteiligt, dessen Führung lieber früher als später von der NATO aufgenommen werden will.
Weiters sei daran erinnert, dass das gegenwärtige Regime durch die sogenannte „Rosenrevolution“ an die Macht kam. Dem Modell der Umstürze in Serbien und der Ukraine folgend, wurden die zivilgesellschaftlichen Apparate der USA (NGOs, Think Tanks, Medien,…) in Stellung gebracht, um eine dem Westen genehme Regierung an die Macht zu bringen. Bei mehreren Gelegenheiten zeigte sich bereits die fehlende Verankerung in der Bevölkerung und der autoritäre Charakter des Regimes, der sich in der gewaltsamen Niederschlagung von politischen Protesten äußerte.
Das westliche Pochen auf die territoriale Integrität Georgiens und das Recht auf Selbstbestimmung ist lächerlich und verlogen. Hier drängt sich der Vergleich mit dem Kosovo auf, der deutlich zeigt, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Für den Kosovo wurde das Recht auf Selbstbestimmung in Anspruch genommen, dass den Osseten und Abchasen verwehrt werden soll. Warum sollten Albaner den Kosovo von Serbien abspalten können, während den Völkern in Georgien das Recht auf Selbstbestimmung verweigert wird? Der Vergleich macht deutlich, wo der entscheidende Unterschied liegt: in der Stellung zum imperialistischen Zentrum. Von einem demokratischen Gesichtspunkt ist der georgische Anspruch auf Südossetien und Abchasien durch nichts zu rechtfertigen. Im Gegenteil, das Streben nach Selbstbestimmung ist auch dadurch gerechtfertigt, dass er sich mittelbar auch gegen die amerikanische Präsenz im Kaukasus richtet und damit Voraussetzungen für eine wirkliche Unabhängigkeit schaffen würde. Zudem sind die chauvinistischen Tendenzen des georgischen Nationalismus bekannt.
Kritik an der imperialistischen Präsenz darf indes nicht dazu verleiten sich unkritisch zum Apologeten der russischen Ambitionen und Interventionen zu machen. Moskau unterstützt das Selbstbestimmungsrecht nur dort, wo es seinen geostrategischen Interessen dient. Nicht weit entfernt, auf den nördlichen Abhängen des Kaukasus führt es einen blutigen Krieg gegen das tschetschenische Volk. Angesichts der Monstrosität der westlichen Scheinheiligkeit und Selbstgefälligkeit, darf die imperiale Vergangenheit Russlands, die nur kurz von der russischen Revolution unterbrochen wurde, sowie das Wiederaufleben ebensolcher Ambitionen nicht verschwiegen werden. Auch im gegenwärtigen Fall riskiert die Grobheit der russischen Selbstverteidigung gegen westliche Vorstöße in seinem Hinterhof die Scheidelinie zur Verletzung der legitimen Souveränitätsansprüche des georgischen Volkes zu überschreiten. Trotz der angebrachten Skepsis gegenüber der einseitigen Berichterstattung würde es angesichts der tschetschenischen Erfahrung nicht verwundern, wenn die russische Armee ohne Rücksicht auf zivile Verluste vorginge.
Angesichts der historischen Vorbelastung führt die Überspannung des Bogens schnell zu nationalistischen Reaktionen, die das Saakaschwili-Regime stärken könnten. Die pro-georgischen Reaktionen der offiziellen Politik in fast allen ehemaligen Sowjetrepubliken bestätigen dieses Muster.
Was wir jedenfalls radikal ablehnen, ist die von der EU in Person ihres gegenwärtigen Vorsitzenden Sarkozy ventilierte „Friedensmission“, deren Form noch reichlich unklar und umstritten ist. Sie stellt sich jedenfalls als Versuch dar, zu retten was nach der Niederlage noch zu retten ist und westliche Truppen mit einem internationalen Mandat ins Land zu bekommen.
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