Auch wenn der Vatikan jüngst die Vorhölle abschaffte, so sehen konservative mexikanische Kirchenkreise die Seelen von Hauptstadt-Bürgermeister Marcelo Ebrard und zahlreicher Ratsabgeordneter in höchster Gefahr. Eine Woche, nachdem eine breite Mitte-Links-Mehrheit der Lokalparlamentarier ein liberales Abtreibungsgesetz für Mexiko-Stadt verabschiedete, schlagen die Wogen immer noch hoch. Viele Gegner der Reform, allen voran Erzbischof Kardinal Noberto Rivera, wollen sich mit ihrer Niederlage nicht abfinden.
Die Kirche droht denjenigen, die für die Straffreiheit der Abtreibung in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen stimmten, mit der Exkommunikation. Ein Bischof sprach gar von "Hitlerianern". Das Personal im Gesundheitssektor der Hauptstadt wird offen zur Dienstverweigerung aus Gewissensgründen aufgefordert. Bürgermeister Ebrard, der das Votum der Stadtversammlung so schnell wie möglich umsetzen will und Informationskampagnen unter anderem an Schulen angekündigt hat, ist von der Kirchenhierachie zum "kleinen Diktator" befördert worden. Er unterminiere das Recht.
Doch die Mexiko-Stadt regierende links-gemäßigte Partei der Demokratischen Revolution (PRD) weiß in der Abtreibungsfrage den größeren Teil der Bevölkerung und fast alle Oppositionsparteien hinter sich. Anders als noch vor Jahren steckt sie diesmal nicht zurück. Ebrard erwiderte dem Kardinal: "Wir sind im 21. Jahrhundert, nicht im 16". Einmal in der Offensive, überlegt die Stadtverwaltung, mehrere Grundstücke von der Kirche zurück zu fordern. Sie waren dem Erzbistum vor fünf Jahren für nie ausgeführte Erweiterungsbauten im Umfeld der Basilika von Guadalupe, der wichtigsten Pilgerstätte Mexikos, überlassen worden. Dieses Beispiel zeigt, dass es beim aktuellen Konflikt um mehr als die Abtreibungsfrage geht. Seit dem Jahr 2000 stellt die klerikal-konservative Partei der Nationalen Aktion (PAN) den mexikanischen Präsidenten. Die katholische Kirche hat das zu Versuchen genutzt, an Einfluss zu gewinnen und die in der Verfassung klar festgeschriebene Trennung zwischen Kirche und Staat aufzuweichen. Ihr eiferndes Engagement gegen die Abtreibungsreform ist durchaus ein weiterer Testballon, der von der PAN durch Spots in den Medien begleitet wurde. Allerdings könnte ein Bumerang daraus werden. Obwohl fast 90 Prozent der mexikanischen Bevölkerung Katholiken sind, folgen sie der Kirche in Fragen der Doktrin nur sehr bedingt. Die Partei der Demokratischen Revolution, in der Hauptstadt wegen ihres Pragmatismus und häufiger Scheu vor heißen Eisen zunehmend der Profillosigkeit angeklagt, hat Stärke und Geschlossenheit zurück gewonnen. Besonders gefährlich für die PAN: In Mexiko-Stadt stellten sich auf der lokalen Ebene auch Parteien gegen sie, auf deren für die absolute Mehrheit notwendigen Stimmen sie sich im Bundesparlament meistens verlassen kann.
Die konservative Partei scheint ihre Lehren daraus gezogen zu haben. Zwar schließt sie eine Verfassungsklage gegen die Abtreibungsreform nicht völlig aus. Zudem hat der PAN-Gesundheitsminister erklärt, Hauptstadt-Krankenhäuser unter Verantwortung der Zentralregierung seien nicht verpflichtet, abtreibungswillige Frauen zu behandeln. Doch andererseits gehen Parteimitglieder auf vorsichtige Distanz zur Kirche und rufen zu rhetorischer Mäßigung auf.
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