Samstag, 24. Januar 2009
 
Warum Chávez scheiterte PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Dario Azzellini   
Dienstag, 4. Dezember 2007

Venezuelas wortgewaltiger Staatschef Hugo Chávez hat seine erste politische Niederlage erlitten. Seine Verfassungsänderungen in Richtung Sozialismus wurden - knapp aber doch - abgelehnt. Darunter auch die Möglichkeit, sich unbeschränkt als Präsident wiederwählen zu lassen. Der Journalist Dario Azzellini unternimmt einen ersten Verusch einer Erklärung aus linker Sicht.

Das Referendum zur Verfassungsreform in Venezuela ist vorbei und die Option für das Ja hat verloren: Abgestimmt wurde in zwei Blöcken, ein Block A mit den auf Chávez’ Vorschlägen beruhenden Änderungen und ein Block B mit den Änderungen, die von der Nationalversammlung zusätzlich beschlossen wurden.

Ergebnisse Verfassungsreferendum
Block A
NO 4.504.354 Stimmen und 50.70%
SI 4.379.392 Stimmen und 49.29%.

Block B
NO 4.522.332 Stimmen und 51.05%
SI 4.335.136 Stimmen und 48.94%.

Wahlbeteiligung: 55,89 %,
Gültige Stimmen: 8.883.746.
Ungültige Stimmen: 118.693

Was ist passiert? Vergleichen wir das Ergebnis mit dem der Präsidentschaftswahlen im Dezember 2006:Hugo Chávez 7.309.080 Stimmen (62,84%)Manuel Rosales 4.292.466 Stimmen (36,90%)Wahlbeteiligung: 74%Tatsächlich hat also die Opposition nur etwa 200.000 Stimmen hinzugewonnen, während die bolivarianischen Kräfte fast drei Millionen Stimmen verloren haben. Diese haben aber nicht gegen die Option gestimmt, sondern sind nicht zur Wahl gegangen. Die Niederlage liegt also darin begründet, dass die eigene Basis nicht von dem Projekt überzeugt war und der Wahl fern blieb.Wie hat Chávez reagiert? Unmittelbar nach Bekanntgabe des vorläufigen Endergebnisses erkannte Chávez in einer beeindruckenden Rede den Abstimmungssieg der Opposition an.

„Dies ist ein weiterer Beweis für die Glaubwürdigkeit unserer Institutionen. Jeder Prozess dieses Wahltages erlaubt, dass unsere Demokratie weiter reift“, so der Präsident. „Fühlt euch nicht traurig, ich sage euch, dass angesichts einer Situation, wie der, die wir gelebt haben, angesichts eines so kleinen Abstands, der am Schluss irreversibel wurde, ziehe ich es vor, wie es ist, dass es so endete. Ich will keine Pyrrhussiege.“ Und in Anspielung auf eine Wahl von George W. Bush während der das Land lange auf Einzelergebnisse wartete, erklärte er, er habe die Option vorgezogen das Ergebnis anzuerkennen, sobald es nach Ansicht des CNE irreversibel war. Ein längeres Warten wäre unverantwortlich gegenüber dem Land und der Bevölkerung gewesen. „Das venezolanische Volk genießt volle Freiheiten, die durch die Verfassung garantiert werden“, erklärte Chávez.„Por ahora – vorerst - haben wir es nicht geschafft“, sagte Chávez und benutzte dabei die gleichen Worte, die ihn beim gescheiterten Staatsstreich 1992 berühmt gemacht hatten. Damit will er signalisieren: Das politische Projekt sei für ihn damit keineswegs erledigt. Der Reformvorschlag behalte weiterhin Gültigkeit und müsse eben viel breiter in der Bevölkerung diskutiert, verändert und ergänzt werden: „Wir werden den hier enthaltenen gesellschaftlichen Vorschlag weiter bearbeiten“. Chávez merkte auch an, dass die Debatte über die Verfassungsreform die Opposition dahin geführt habe, die geltende Verfassung von 1999 anzuerkennen und zu verteidigen, die sie bisher ebenso abgelehnt hatte. Er hoffe, dies sei nicht nur ein Wahlmanöver gewesen. Die Tatsache, dass 49 % der WählerInnen das sozialistische Projekt unterstützt hätten, stelle einen enormen politischen Schritt im Aufbau eines neuen sozialistischen Modells dar. Daher gehe auch der Aufbau des Sozialismus im Rahmen der geltenden Verfassung weiter. Chávez unterstrich die Notwendigkeit, sich mit den Gründen auseinanderzusetzen, die drei Millionen Bürger, die bei den vergangenen Wahlen den Prozess unterstützten, sich nun im Referendum enthielten. „Ich bin mir völlig sicher, dass die große Mehrheit dieser drei Millionen Personen weiterhin auf unserer Seite steht, dass sie auch nicht für das Nein gestimmt haben. Zweifel? Ängste? Es fehlte Zeit? Es fehlte die Fähigkeit zu erklären? Vielleicht war es das...“Er erklärte, er werde die strategische Geschwindigkeit der Veränderungen steigern. Chávez lud die Opposition ein, im Rahmen der geltenden Verfassung weiter ein Venezuela aufzubauen, das politisch, sozial, moralisch und territorial gestärkt wurde. Er unterstrich:„wir befinden uns Jahrzehnte, Jahre, das gesamte Leben in diesem Kampf. Wir wissen schwierige Momente anzugehen, die harten Momente. Und darüber hinaus haben wir es zu anderen Gelegenheiten verstanden, scheinbare Niederlagen in moralische Siege zu verwandeln, die sich dann in politische Siege verwandelten. “Er forderte das venezolanische Volk auf, es solle lernen die Differenzen zu akzeptieren, gemeinsam zu gehen und zu debattieren, damit die gewalttätigen Ansätze, die Konspirationen und die dem Imperium untergeordneten Pläne in die Ferne rücken.

“Worin liegt die Abstimmungsniederlage begründet?

Es ist sicher richtig, dass die Propaganda gegen die Verfassungsreform sehr stark, ja fast übermächtig war, dass die Komplexität der Vorschläge in vielerlei Hinsicht unterging unter den Plattitüden der Gegner: „Der Staat nimmt euch die Kinder weg“; „Privatbesitz wird nicht mehr existieren“ u.v.m.. Auch international wurde Druck aufgebaut und mit diversen Manövern das Image von Chávez demontiert (Uribe, spanischer König...). Dabei hat die Presse so gelogen wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr (der erste Preis gehört dabei sicher Spiegel online, dessen Berichterstattung zu Venezuela derart verlogen, falsch und rechtsradikale Propaganda war...). Auch haben die sozialdemokratischen Kräfte wie Podemos oder General Baduel sich von der Bewegung getrennt und das hat sicher Stimmen gekostet. Und und und...Doch das ist immer so, wenn der Versuch unternommen wird, strukturelle Veränderungen einer Gesellschaft in Richtung einer gerechteren, sozialistischen Gesellschaft vorzunehmen. Das ist nicht gratis und man/frau wird immer heftigen Gegenwind bekommen..Da sich das nicht ändern lässt, finde ich die Beschäftigung mit den internen Faktoren viel interessanter und wichtiger, denn diese können sehr verändert werden!

Dabei spielt eine Rolle, dass der Mechanismus, mit dem die Nationalversammlung Vorschläge der Basis aufgenommen hat, völlig undurchsichtig und die Zeit knapp war. Das hat die Partizipation reduziert. Der abgelehnte Reformentwurf hat zahlreiche Verbesserungen eingeführt, allerdings beinhaltet er auch eine Stärkung der Präsidial- und Staatsmacht. Diese widersprüchliche Entwicklung kennzeichnet den bolivarianischen Prozess von Beginn an und ist auch Ursache ständiger Debatten und Kritik der Basis. Eine Konfliktlinie verläuft zwischen Basis und Verwaltung, die häufig noch korrupt und ineffizient ist, die Erfüllung der eigenen Pflichten politisch konditioniert, Prozesse behindert usw. Das sind sicher wichtige Punkte. So versammelten sich am Montag nachmittag spontan tausende von Chávez-Anhängern vor Miraflores, dem Präsidentenpalast, und forderten lautstark ein "Saubermachen im eigenen Haus", also die Korrupten und Reformisten, Bürokraten etc. zu entfernen. Eine Bevölkerung wie die venezolanische, die in den vergangenen Jahren ein hohes Maß von Partizipation gelernt und erfahren hat, lässt sich eben nicht im Schnellverfahren überrollen.

Was bedeutet das Ergebnis für die BolivarianerInnen und für die Opposition?

Einige Punkte, die - wie etwa die territoriale Neugliederung, die in der Reform enthalten sind, können nun nicht durchgeführt werden. Andere aber durchaus trotzdem, wie etwa viele der sozialen Maßnahmen. Die Konsequenzen könnten also intern für den Prozess zwei völlig verschiedene sein:
a) die Rechte innerhalb des Prozesses wird gestärkt, denn sie kann darauf verweisen, dass das eindeutig sozialistische Projekt abgelehnt wurde und zudem nach einer solchen Niederlage die Tendenz besteht „die Reihen fester zu schließen“.
b) Die Linke innerhalb des Prozesses wird gestärkt, da erkannt wird, dass es mehr Partizipation, Einbeziehung der Basis, breitere Debatte und tiefer gehende Veränderungen bedarf, die zudem nicht auf ein Später, nach der Reform, verschoben werden, sondern gleich beginnen und sichtbar bzw. spürbar sind. Chávez’ Aussagen deuten auf letztere Entwicklung hin. International und auch intern hat sich die Situation nicht unbedingt erschwert. Die ganz rechte putschistische Option in der Opposition ist ins völlige Aus manövriert worden. Das Ergebnis wurde anerkannt, der Wahlrat funktioniert etc. Das heißt die Opposition kann grundsätzlich auf die gesetzlichen Spielregeln verpflichtet werden. Und auch international wird es nun sicher schwerer werden, Chávez weiterhin als gefährlichen Diktator darzustellen, der an der Macht klebt. Das Gegenteil ist der Fall, Chávez und Venezuela haben ein Beispiel an demokratischer Kultur abgegeben, von dem die USA und die meisten europäischen Staaten noch viel lernen können. Nun muss auch ein Nachfolger für Chávez gesucht werden, nicht sofort, die Amtszeit geht ja noch sechs Jahre lang. Aber es muss nun auf jeden Fall jemand anderes gesucht werden, die Strukturen müssen stärker entpersonalisiert werden, und das ist sicher für die Bewegung insgesamt auf mittlere und lange Sicht von Vorteil. Selbst wenn es auf kurze Sicht, also in den nächsten Jahren, zu kontraproduktiven Machtkämpfen führen kann. Der ehemalige Verteidigungsminister Raúl Baduel, langjähriger Wegbegleiter von Chávez und der Bewegung, der vier Wochen vor dem Referendum plötzlich Position gegen die Verfassungsreform und Chávez bezog (nur zwei Wochen vorher hatte er noch alles vehement verteidigt) sieht seine Position durch das Wahlergebnis verbessert. Der Ausstieg Baduels aus der Bolivarianischen Bewegung wurde von der Opposition begrüßt, die ihn aber dennoch nicht in ihren Armen aufnahm. Der Ausgang des Referendums allerdings hat die Karten neu gemischt. Die Nicht-Hardliner in der Opposition wurden gestärkt und da passt Baduel gut als Führungsfigur, zumal er ja auch in bolivarianischen Kreisen viel Prestige genoss. Er könnte sich also durchaus zur neuen Führungsfigur der Opposition aufwerfen. Von links aus Hoffnungen in ihn zu setzen, so wie sein langjähriger Mentor Heinz Dietrich es tut, scheint mir völlig verfehlt. Bei seiner Abschiedsrede als Verteidigungsminister bezog sich seine Hauptkritik darauf, dass der Sozialismus des 21. Jahrhunderts nicht genau definiert sei und unterstrich die Notwendigkeit eines „wissenschaftlichen Sozialismus“. Heutzutage eine genaue Definition zu verlangen, scheint mir absurd und gefährlicher als alles andere. Und hätte Baduel Interesse gehabt an der Verfassungsdebatte teilzunehmen, hätte er seine Kritik vorher angebracht, als noch darüber diskutiert wurde. Seine Stimme hätte sicher Gewicht gehabt, so wie es die Kritik des Ex-Vizepräsidenten José Vicente Rangel gehabt hat. Er äußerte seine Kritik aber in einer Pressekonferenz mit Oppositionsmedien, einen Tag nachdem die Nationalversammlung den Reformvorschlag verabschiedet hatte.

Und was nun?

In den Basisbewegungen, als Trägerinnen des politischen Prozesses, herrscht natürlich Enttäuschung und Wut. Aber das allgemeine Gefühl ist, wie ein Freund sagte, eine Schlacht verloren zu haben, während der gesamte Krieg noch kommt... Es wird viel hinterfragt, die Probleme und Sachen, die schief laufen und es gibt viel Selbstkritik. Ich denke, die Basisbewegungen sollten und werden die Regierung und Institutionen stärker unter Druck setzen und zugleich sicher die interne, kritische Debatte verstärken. Wer sollte der Basis nun noch und mit welchem Recht Vorgaben machen? Nun muss geschaut werden, wo die Fehler lagen und wie sie zu beheben sind. Wenn die neue Partei PSUV fünf Millionen Mitglieder hat, warum hat das Reformprojekt nur vier Millionen Stimmen bekommen? Was ist mit den Korrupten? Der Ineffizienz vieler Institutionen? So ist die Wahlniederlage eine Chance und eine Gefahr zugleich. Man sollte sich vor einer zu positiven Umdeutung hüten, schließlich hat Chávez den Vorschlag ja nicht gemacht um zu verlieren. Aber die Niederlage bedeutet nicht das Ende der Welt, der Bewegung oder des Projekts. Eine Reflexion darüber, was anders laufen muss, die Erkenntnis, dass nicht alles einfach automatisch von der Bevölkerung durchgewinkt wird, sind Faktoren, die sicher zu einem Wachstum und zu einer Stärkung der Bewegung führen können, wenn die richtigen Schlüsse gezogen werden.

Ich hoffe es und es bahnt sich an, so zumindest mein Eindruck nach der Rede von Chávez und den diversen Reaktionen, die ich von Bewegungen und Aktivisten gelesen und gehört habe.

Quelle und weitere Berichte zu Venezuela:
http://www.azzellini.net/

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