Samstag, 24. Januar 2009
 
EU: Abgeschlossene Demokratisierung PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Attac / akin   
Donnerstag, 22. November 2007

Was bringt der EU-Vertrag? Viel ist darüber die Rede.
Attac Österreich hat eine Zusammenfassung versucht.
Wir geben diese gekürzt wieder.

Die Erweiterung der Europäischen Union (EU) von 15 auf nunmehr 27 Mitgliedstaaten stellte die EU vor die Herausforderung, ihre Strukturen anzupassen und bürgernäher, sozialer und demo-kratischer zu gestalten. Diese Aufbruchstimmung hätte sich in einer neuen Rechtsgrundlage ausdrücken sollen. Der "Vertrag über eine Verfassung für Europa" (kurz: Verfassungsvertrag, VVE), auf den sich die RegierungschefInnen 2004 einigten, wurde jedoch diesen Erwartungen nicht gerecht. Die Mehrheit der Bevölkerungen in Frankreich und den Niederlanden hat den VVE abgelehnt. Der nun vorgelegte Reformvertrag, so der neue Name, wurde hinter verschlossenen Türen ohne jede Beteiligung der Bevölkerung und der Parlamente ausgearbeitet.
Anders als der VVE bringt der Reformvertrag kein neues einheitliches Vertragswerk, sondern ändert nur die bestehenden alten Verträge: den Vertrag über die Europäische Union (EUV) und den Vertrag über die Arbeitsweise der Union (EGV, neu: AEUV), ab.
Giscard d'Estaing (Vorsitzender des Verfassungs-konvents) betont, dass der Reformvertrag im Vergleich zum VVE nur "kosmetische Änderungen" bringt und der "gleiche Brief in neuem Umschlag" ist. Guiliano Amato (Vize-Vorsitzender des Konvents) stellte fest, dass der Reformvertrag "bewusst unleserlich" gestaltet wurde, um Volksabstimmungen zu vermeiden.

Demokratie?

Die Demokratiedefizite der EU-Strukturen, die entdemokratisierende Bevormundung der BürgerInnen durch die EU, das neoliberale Diktat von Markt und Wettbewerb und die Verpflichtung zur permanenten Aufrüstung bleiben auch mit dem Reformvertrag weiterhin zentrale Pfeiler der Grundordnung der EU.
In der Präambel des Vertrages wird der Pro-zess, die demokratische Legitimität der EU zu erhöhen, ausdrücklich als abgeschlossen erklärt.

Neoliberalismus!

Der Reformvertrag lässt das Dogma der freien Märkte und des grenzenlosen Wettbewerbs als zentralen Systembestandteil der EU unberührt. Der »Grundsatz der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb« (Art. 98 und 105 EGV) wird im EGV näher ausgeführt. Zwar wird der Ausdruck "Binnenmarkt mit freiem unverfälschtem Wettbewerb" aus den Zielen der EU gestrichen, im Anhang (Protokoll Nr. 6) wird jedoch erneut festgeschrieben, dass zum Binnenmarkt ein "System gehört, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt".
Privatisierungen von Bahn, Wasser, Gesundheits-versorgung und Bildung, aber auch der Energie-versorgung in europäischen Ländern haben groß-teils zu Verschlechterungen für die Bevölkerung geführt. "Dienstleistungen von allgemeinen wirtschaftlichen Interesse" sind weiterhin nicht eindeutig geschützt. Zwar wird im Anhang, Protokoll Nr. 9 die Bedeutung dieser Dienste hervorgehoben. Das bietet jedoch keinen ausreichenden Schutz vor einer EU-Politik, die so viele Bereiche wie möglich den Prinzipien des Wettbewerbs ausliefert.
Nicht einmal ein unverbindliches Sozial-protokoll, das im Vorfeld der Verhandlungen von vielen Seiten gefordert wurde, war unter den 27 RegierungschefInnen konsensfähig.

Grundrechte?

Die Grundrechtscharta wurde im Zusammenhang mit dem VVE von sehr vielen PolitikerInnen als großer Fortschritt angepriesen. Im offenem Widerspruch dazu wird nun im Protokoll Nr. 7 ausdrücklich festgehalten, die Grundrechtscharta schafft "keine neuen Rechte oder Grundsätze". Im Reformvertrag soll die Grundsrechtscharta nicht einmal im eigentlichen Vertrag nieder-geschrieben sein. In der Grundrechtscharta fehlen weiterhin wichtige Grundrechte (Minderheiten-schutz), einige sind abgeschwächt formuliert ("Recht zu arbeiten") und werden durch sog. "verbindliche Erläuterungen" in ihrem Gültigkeits-bereich stark eingeschränkt.
Durch die zugestandenen Ausnahmen von der Grundrechtecharta für Großbritannien und Polen verspielt die EU, die die allgemeingültigen Grundrechte als zentralen Wert proklamiert, jede internationale Glaubwürdigkeit.

Militärpolitik!

Der Militärbereich war eine wesentliche Stossrichtung des VVE. Die dortigen Bestimmungen wurden in den Reformvertrag übernommen: "Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schritt-weise zu verbessern" (Art. 27.3 EUV). Dies soll durch Bildung einer "Rüstungsagentur" gewähr-leistet werden. Im Rahmen der "ständigen strukturierten Zusammenarbeit" können Staaten, die dies wünschen, eine gemeinsame Armee aufbauen (Art. 48.6 EUV). Dadurch wird ein neues militärisches Kerneuropa ermöglicht, das niemandem Rechenschaft schuldet und den militärisch-industriellen Komplex stärkt.
Bereits in Gang befindliche Militarisierungs-maßnahmen werden in der EU-Grundordnung abgesichert, insb. die EU-Battle-Groups, um schnelle weltweite Militärinterventionen ohne Bindung an ein UN-Mandat zu ermöglichen.

Der Euratom-Vertrag aus 1957 behält weiterhin seine Gültigkeit. ###

(Kürzungen und redaktionelle Bearbeitung: akin)

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"Geistige Grundversorgung zum EU-Reformvertrag" verspricht Attac unter: http://community.attac.at/5713.html Dort ist auch eine tabellarische Gegenüberstellung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede von aktuell gültigem Vertrag von Nizza, gescheitertem Verfassungsvertrag und geplantem Reformvertrag abrufbar. Diese ist sehr übersichtlich und enthält auch wichtige hier unerwähnt gebliebene Details wie etwa die geänderten Bestimmungen über Einstimmigkeitsnotwenidigkeit oder Mehrheitsbeschlußfähigkeit im EU-Rat

Attacs 10 Prinzipien für einen demokratischen EU-Vertrag (mit Unterstützungsmöglichkeit)
http://www.attac.at/10prinzipien

Weitere Informationen: http://www.attac.at/eu
Dort sollte demnächst auch der Volltext des hier gekürzten Artikels abrufbar sein.

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