Beim Prozeß gegen die Polizisten, die beschuldigt werden, beim G-8-Gipfel in Genua 2001 Demonstranten mißhandelt zu haben, kommen neuerlich eigenartige Mißgeschicke den Angeklagten zu Gute.
Am 71. Verhandlungstag im Strafprozess gegen 29 italienische Polizeibeamte wegen der Begehung verschiedener Straftaten bei einer von brachialer Gewalt kennzeichneten "Durchsuchung" am Rande des 2001 in Genua abgehaltenen G8-Gipfels stellten sich zwei ungemein wichtige Asservate im Vorfeld einer Zeugenvernehmung als unauffindbar heraus: zwei Molotov-Flaschen, die erstmals als Rechtfertigung der als Durchsuchung der "Diaz-Schule" ausgegebenen Aktion in die Geschichte eingingen. Dort hatte die Polizei der Weltöffentlichkeit eine ganze Kollektion von Gebrauchsgegenständen vom Schauplatz der Operation als "Waffen" präsentiert.
Die beiden Brandsätze ermöglichten seinerzeit die Eröffnung eines Verfahrens gegen die gesamte Gruppe der im Schulgebäude verhafteten Menschen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Denn das italienische Strafgesetzbuch stuft derartige Objekte als Kriegswaffen ein. Vom schweren Vorwurf wurden die Festgenommenen nur befreit, als sich herausstellte, dass die Flaschen erst durch die Polizei in das Gebäude gelangten. Die Molotov-Affäre sollte in diesen Tagen Gegenstand von Vernehmungen im Rahmen der Gerichtsverhandlungen im Diaz-Verfahren sein. Der Verteidiger eines Beschuldigten verlangte die Vorführung des Tatwerkzeugs. Der anklagende Staatsanwalt teilte mit, es werde nach den Asservaten gesucht. Daraufhin machte der Verteidiger die Anhörung der Zeugen von der Inaugenscheinnahme durch selbige abhängig. Nach einer polemischen Auseinandersetzung zog sich das Gericht zur Beratung zurück.
Währenddessen wurde in allerlei Abteilungen der Sicherheits- und Justizbehörden nach dem Verbleib der Flaschen gefragt. Nach der Pause teilte der Staatsanwalt mit, dass man festgestellt habe, dass die Asservaten zwar nicht vernichtet worden, aber auch nicht auffindbar seien. Die Leiter von verschiedenen Asservatenkammern ließen nacheinander wissen, dass sie nicht oder kaum behilflich sein könnten. Nach jetzigem Erkenntnisstand verliert sich die Spur der Flaschen offenbar schon im Jahr 2002. Am Ende hektischer Nachforschungen über die Nichtigkeit der Anklage bei Fehlen des Tatwerkzeugs ordnete der Richter tatsächlich die Aussetzung der Verhandlungen bis zur Auffindung der vermissten Asservate an. 40 versiegelte Kartons mit beschlagnahmten Gegenständen sollen untersucht werden. Der Staatsanwalt hat den Polizeipräsidenten von Genua angewiesen, die flächendeckende Suche nach den Flaschen zu veranlassen.
Die Tatsache ist nicht von der Hand zu weisen, dass die vermissten Gegenstände Teil eines Verfahrens gegen Polizisten sind, das sich mit der laut Amnesty international schwersten Verletzung der Menschenrechte in Westeuropa seit dem Endes des 2. Weltkriegs befasst und dass mehrfach Tatsachen dokumentiert wurden, die für ein Verhalten sprechen, das die Ermittlungen mindestens behindernd beeinflusste. Dieses Verhalten dürfte schon für die Straffreiheit von mehreren Tätern und für die Verdunklung sehr vieler von Polizisten in Genua begangenen Straftaten gesorgt haben. Was im Fall Diaz und auch darüber hinaus verhandelt wird, stellt lediglich einen Bruchteil der Untaten dar, die aus den Reihen der Sicherheitsapparate aus verübt wurden.
Ein Teil der Untaten ist bekannt, weil er dokumentiert werden konnte. Hier scheiterte alles Weitere an der "Nichtidentifizierbarkeit", sei es durch Vermummung, sei es durch unterlassene Aufstellung von Einsatzteilnehmerlisten, sei es durch Bereitstellung von veralteten Bildern für Abgleiche oder durch (stark vermutete) Unterlassung von Identifizierungsvorgängen. Für die Zuständigen dürfte mit jedem Tag ohne positive Rückmeldung des mit den Nachforschungen beauftragten Polizeipräsidenten der Druck wachsen, mit der bestmöglichen Vorbereitung für einen Indizienprozess zu kämpfen. Es bleibt nun abzuwarten, was sich aus den angeordneten Nachforschungen ergibt.
Die Öffentlichkeit dürfte sich bis dahin wieder im beharrlichen Schweigens der italienischen Medien wiegen. Die Anwälte der Nebenklage und die wenigen in Sachen Genua noch aktiven Menschen werden die Augen offen halten. (rf auf indymedia/bearb. & stark gek.)
Quelle: Volltext: http://de.indymedia.org/2007/01/166445.shtml
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