Europäischer Strafregister mit unabsehbaren Folgewirkungen geplant - ohne EU-weite Harmonisierung des Strafrechts und der Rechtssprechung kein sinnvolles EU-Strafregister denkbar - wichtige Bereiche wie Sterbehilfe, Schwangerschaftsabbruch, Suchtgiftverwendung, Homosexualität oder religiöse Meinungsäußerung sind EU-weit höchst unterschiedlich geregelt - Vormerkungen dazu könnten in anderen Ländern zur Diskriminierung führen und hätten prangerartigen Charakter
Von der Öffentlichkeit eher unbemerkt haben dieser Tage die Justizminister der EU - Mitgliedsstaaten einen beachtlichen Grundsatzbeschluss in Hinblick auf die Europäisierung der Strafrechtspflege gefasst. Einerseits soll es in Hinkunft die "Gleichbehandlung in Bezug auf Strafurteile aus allen EU-Staaten" geben, andererseits ist die Errichtung einer europaweiten Datenbank mit Eintragung aller erfolgten, gerichtlichen Verurteilungen aus sämtlichen EU-Staaten geplant.
Eine geplante Maßnahme besteht im Aufbau einer europaweiten Datenbank, vergleichbar dem österreichischen Strafregister, auf welche dann durch die jeweiligen nationalen Behörden bei Bedarf entsprechend zugegriffen werden kann. Bislang war im Individualfall ein Ersuchen an die jeweilige nationale Behörde nötig.
Konkrete Auswirkungen
Da die Behörden die im Ausland erfolgte Verurteilung nach den jeweiligen, inländischen Normen zu beurteilen haben, werden sich die Auswirkungen in jedem EU-Staat demnach unterschiedlich- nach den jeweiligen dortigen Regelungen- gestalten. In Österreich spielen zuvor erfolgte Verurteilungen beispielsweise bei folgenden Umständen eine Rolle: Der Bestimmung des verhängten Strafausmaßes bei einer Verurteilung, der Bestimmung einer Probezeit bei einer bedingten Verurteilung, der Bestimmung von Tilgungsfristen sowie in Bezug auf den Widerruf einer bedingten Verurteilung.
Somit sind aufgrund des Beschlusses letztendlich - unabhängig von Einzelentscheidungen - tendenziell höhere Strafen und somit auch längere Haftzeiten in Österreich zu erwarten.
Kein harmonisiertes Strafrechtssystem
Die Grundproblematik ist aber eine andere. Es gibt bislang keinerlei harmonisierte europaweite Strafgesetzgebung auf inhaltlicher Ebene. In Bezug auf die strafrechtlichen Normen in verschiedenen EU-Staaten herrschen vielmehr "Kraut und Rüben" vor. Was in einem EU-Mitgliedsstaat gerichtlich strafbar ist, muss es noch lange nicht in einem anderen sein. Ein Vergehen, das in einem EU-Staat lediglich einen Verwaltungsverstoß darstellt, ist in anderen EU-Staaten mit gerichtlichen Strafen bedroht. Von den stark auseinandergehenden Strafandrohungen ganz zu schweigen.
Eine gewisse "Harmonisierung" - hinsichtlich Mindeststandards - gibt es nur in jenen Rechtsbereichen, wo die EU auch eine inhaltliche Rechtssetzungskompetenz ausübt. Allerdings ist in den entsprechenden Richtlinien stets nur von „angemessenen Sanktionen“ oder ähnlichem die Rede. (etwa auch in der EU-Datenschutzrichtlinie) Den Mitgliedsstaaten bleibt somit ein Ermessensbereich bei der Umsetzung von Strafnormen.
Europäisches Strafregister
Zu bedenken ist nun, dass, wenn die Möglichkeit eines einheitlichen Europäischen Strafregisters geschaffen wird, vermutlich auch der Europäische Strafregisterauszug nicht weit ist und der einzelne EU-Bürger hinkünftig darauf möglicherweise vorbereitet sein wird müssen, z.B. einem potentiellen Arbeitgeber seine Verurteilungen bzw. die Straffreiheit aus anderen EU-Staaten nachzuweisen. Einerseits besteht- je nach Tätigkeit- möglicherweise ein legitimes Interesse auf Seite jedes Arbeitgebers, zu wissen, ob ein Arbeitnehmer vorbestraft ist oder nicht. Andererseits ist dabei wieder auf die obigen Ausführungen zu verweisen, dass es eben keinerlei harmonisiertes Strafrechtssystem in der EU gibt und somit möglicherweise ein Jobverlust aufgrund von Verhaltensweisen drohen kann, die im jeweiligen EU-Staat gar nicht strafbar sind.
Beispiele
Gravierende Unterschiede ergeben sich beispielsweise in Hinblick auf das Sexualstrafrecht der verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten. Einerseits gibt es unterschiedliche Regelungen in Bezug auf das sogenannte "Schutzalter" ab welchem geschlechtliche Handlungen nicht mehr strafrechtlich geahndet wird. Auch betreffend Homosexualität gibt es noch unterschiedliche Regelungen. Nicht geschildert werden müssen etwa auch die verschiedenen strafrechtlichen Zugänge zur Suchtmittelproblematik oder zum Themenkreis Sterbehilfe in den einzelnen Mitgliedsstaaten.
Noch in Erinnerung ist das Verfahren gegen den österreichischen Karikaturisten Gerhard Haderer wegen "Herabwürdigung religiöser Lehren" in Griechenland. In Irland ist die Vornahme einer Schwangerschaftsunterbrechung nach wie vor gerichtlich strafbar. Sollen Verurteilungen aufgrund solcher Delikte hinkünftig in Österreich wirklich dazu führen, dass jemandem etwa bei der Jobsuche Steine in den Weg geworfen werden?
Der Beschlusstext ist unter http://europa.eu.int/eur-lex/lex/LexUriServ/site/de/com/2005/com2005_0690de01.pdf abrufbar.
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