Der Sozialminister begab sich im Augustin-Interview inhaltlich ganz in die Nähe der Anti-"Sozialschmarotzer"-Rhetorik.
Wenn eine Zeitung, die laut Definition eines Professors am Publizistik-Institut "das soziale Gewissen Wiens" ist, einen Minister zu Wort kommen lässt, der sich als das "soziale Gewissen Österreichs" vorstellt, wird diese Begegnung von Übereinstimmung geprägt sein. Sollte man meinen. Tatsächlich war die Kluft so tief, wie die Obdachlosenherberge "Gruft" unter den teuersten Penthäusern dieser Stadt liegt. In einem doppelseitigen Interview, das die am 9. Mai erscheinende neue Ausgabe der Wiener Straßenzeitung Augustin enthält, sieht Sozialminister Erwin Buchinger die bestehende Sozialhilfe für "ausreichend" hoch, um die Betroffenen nicht zu einem Leben in Faulheit zu animieren.
Buchinger im O-Ton: "Offensichtlich reicht's schon aus. Es muss einen Anreiz geben, dass jemand, der arbeitsfähig ist, auch diese Arbeitsfähigkeit aktualisiert, wenn er eine Leistung von der Gesellschaft haben will. Wenn er's nicht will, kann's jeder halten, wie er will. Ich bekenne mich dazu, dass jene, die diese Leistung aufbringen - durch eigene Arbeit - auch diesen Anspruch stellen, dass sie auch von anderen verlangen, die von ihren Leistungen leben, dass sie auch bereit sind, zum Wohlstand der Gesellschaft durch Arbeit beizutragen (...) Sie und ich, alle die wir leben, konsumieren wir Produkte und Dienstleistungen, die muss wer produzieren. Dies ist das Unangenehme an Faulheit, dass sie nichts beiträgt zur Produktion von Waren und Dienstleistungen."
Mit dieser Haltung hätte Buchinger harmonisch in die verflossene Schüssel-Regierung gepasst, kommentierte Angela Traußnig, Sprecherin des Augustin. "Von einem sozialdemokratischen Minister hätte man erstens erwarten können, den ,Sozialschmarotzer'-Diskurs der Konservativen zu hinterfragen statt zu imitieren; zweitens hätte man den Hinweis erwarten können, dass die Masse der Arbeitslosen sich nicht wegen Faulheit selbst aus der Produktion ausschließt, sondern dass sie ausgeschlossen wird." Dass Buchinger in Folge ausgerechnet die Billa-ArbeiterInnen als Opfer des "Unwesens der sozialen Hängematte" namentlich nenne, könne nur als Zynismus betrachtet werden, so Angela Traußnig.
Ein kurzer Ausschnitt aus dem Gespräch zwischen Augustin (Kurto Wendt und Heide Hammer) und dem Sozialminister belege, so die Augustin-Sprecherin, wie abgehoben Buchinger von der Alltagssituation der Billa-Arbeiterinnen agiere:
Stellen sie sich vor, es ist 4 Uhr morgens in Mürzzuschlag. Sie steigen in einen Bus, der nur mit Frauen besetzt ist, die zu ihrer Arbeit bei Billa und Merkur in Wien fahren. Wie erklären sie ihnen, warum sie als Frauen weniger verdienen, seltener Aufstiegschancen kriegen und warum Sie als Sozialminister so viel verdienen wie der halbe Autobus? Na ich glaube, da liegen sie mit ihrer Einschätzung, dass ich soviel verdiene wie der halbe Autobus, komplett falsch. Sie verdienen 15.300 Euro. 15.800 Euro brutto, aber sie dürfen brutto mit netto nicht verwechseln. Ich würd' auch gar nicht viel erklären ..
Billa MitarbeiterInnen an der Kasse verdienen 1000-1100 Euro brutto.
Ich weiß jetzt nicht, was exakt eine Billa-Verkäuferin verdient.
Einigen wir uns darauf, dass es ein Vielfaches ist. Nein. Entscheidend ist ja, was netto rauskommt. Brutto interessiert weder die Dame bei Billa noch mich.
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