Samstag, 24. Januar 2009
 
Buch: Partizipatives Budget PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Hermann Dworczak   
Mittwoch, 7. Februar 2007

Bernhard Leupolt: Staat und Gemeinwesen. Das partizipative Budget in Rio Grande do Sul und Porto Alegre. Investigaciones. Forschungen zu Lateinamerika Band 8, LIT Verlag Wien und Berlin 2006. 202 Seiten. Herausgegeben von Stefan Bollinger

1989 schlug in Porto Alegre die Geburtstunde des "Partizipativen Budgets".
Sein Kerngedanke : "Durch die Teilhabe der BürgerInnen an der staatlichen
Budgeterstellung wurde ein gegen-hegemonialer Demokratisierungsprozeß in
Gang gesetzt, der als Basis nicht internationale und nationale
Kapitalinteressen, sondern die der lokalen Bevölkerung hat" (S.9).

Berhard Leupolt schildert in beeindruckender Weise - empirisch reich,
theoretisch fundiert und leicht lesbar - Genesis, Entwicklung , Probleme und
Grenzen des Partizipativen Budgets .

"In Brasilien formierten sich im Demokratisierungsprozeß- nach lang
andauernder Militärdiktatur ( 1964-1985 ) - zahlreiche soziale Bewegungen.
Im Widerstand gegen Totalitarismus, Klientilismus, und Populismus kämpften
sie ... für demokratische Rechte ( S.61). In Porto Alegre kann "die
teilhabende Zivilgesellschaft die Verteilungskriterien demokratisch
mitgestalten, da sie nicht durch bürokratische oder betriebswirtschaftliche
Grundsätze vorgegeben sind "(S.70). Dabei entscheidet sie sich - wie es der
ehemalige Oberbürgermeister Raul Pont treffend formuliert - "nicht für
pharoanische Bauten, wie Viadukte, sondern ausgehend davon, was sie konkret
lebt und was ihr begegnet " (S.71).

Außer der materiellen Besserstellung entwickelte sich eine "republikanische
Schule der Demokratie" (S.73 ff.). Zu Recht hält Leupolt
kritisch fest, daß trotz dieser positiven Veränderungen... noch nicht von
einer neuen Hegemonie gesprochen werden kann" (S.75 ). Porto Alegre kann
keine "Oase in der neoliberalen Wüste " darstellen ( S.83). "Das PB
(Partizipative Budget-H.D.) wird in Porto Alegre von allen Medien seit 16
Jahren ignoriert, es wird nicht zu Versammlungen eingeladen und nichts
berichtet, wiewohl die Mitbestimmung der Bevölkerung das weltweit anerkannte
Markenzeichen der Regierung ist. Die Großunternehmen finanzieren regelmäßig
und großzügig die KokurrentInnen der Arbeiterpartei, was ein wichtiger
Einflußfaktor für die verlorene Wahl 2004 und den Regierungswechsel 2005 war"
(S.89 ). Die jetzige von Jose Fogaca geführte liberale Regierung führt
zwar "nach dem Wahlversprechen "was gut ist, bleibt" das Partzipative
Budget weiter, jedoch halten sie die Partizipation auf einem Minimalniveau"
(S.91).

"Reform ist das Mittel, Revolution das Ziel" (Rosa Luxemburg )

Zu guter Letzt noch eine solidarische(!) Kritik. So richtig es ist, sich
scharf vom absolut fruchtlosen "revolutionären Attentismus", also dem
Warten auf eine magiche Stunde Null , wo dann "losgeschlagen" wird ,
abzugrenzen und demgegenüber jede, auch die kleinste Möglichkeit für die
Verbesserung der materiellen, geistigen und politischen Kampfbedingungen
breiter Massen (und nicht nur der ArbeiterInnenklasse) zu nutzen, so
fehlführend ist es den "Staat als Gemeinwesen" zu stilisieren. Auch wenn
der Staat öffentlich sinnvolle Aufgaben übernimmt , ändert dies
nichts an seinem "Klassen- und Unterdrückungscharakter ". Auf der
bürgerlich-demokratischen, parlamentarischen Ebene zu agieren (durchaus
nicht nur - wie oben breit ausgeführt - denunziatorisch!), ist eine Sache.
Den Staat in illusionärer Manier "transformieren", "gesellschaftlich
aneignen" (S.51ff.) zu wollen, etwas gänzlich anderes.

Ein - ideologischer - Grund für letztere Sichtweise ist eine (reformistisch
geglättete) Interpretation Antonio Gramscis bzw. eine Verkürzung der
theoerischen und politischen Positionen Lenins. Aus der Fülle der Literatur
erwähne ich - zwecks Stimulierung(!) und nicht Einsargung der Debatte -
nur zwei relativ leicht verfügbare Bücher, die den differenziert-
revolutionären Charakter der Schriften Gramscis bzw. die durchaus komplexe
Sichtweise Lenins beleuchten: Perry Andersons "Klassiker": "Antonio
Gramsci - Eine kritische Würdigung"(1) bzw." Lenin. Träumer und Realist"(2).

(1) Perry Anderson - Eine kritische Würdigung. Verlag Olle & Wolter. Berlin
1979. 112 Seiten
(2) Stefan Bollinger (Hg.) Lenin. Träumer und Realist. Promedia Verlag Wien.
2006 . 174 Seiten

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