Christoph Jünkes spannendes Buch über den "marxistischen Einzelgänger" Leo Kofler kommt gerade zum richtigen Zeitpunkt: Koflers Geburtstag jährt sich heuer zum 100. Mal.
Jünke nähert sich Kofler behutsam auf verschiedenen Ebenen: Er porträtiert die Zeit, in der Koflers Schaffen eingebettet ist, thematisiert die theoretischen und politischen Fragen des Koflerschen Oeuvres, schildert sein Leben und politisches Handeln – differenziert und kritisch, fernab von jeglichem affirmativen "Heldengesang".
Leo Kofler wurde 1905 im österreichisch-ungarischen Ostgalizien geboren. Er flieht in den Wirren des Ersten Weltkriegs vor der zaristischen Armee mit der Familie 1914 nach Wien in den 2. Bezirk, die jüdische "Mazzesinsel" (S. 47 ff.). Kofler kommt mit dem "Roten Wien" der Zwischenkriegszeit in Berührung, wird Schüler von Max Adler – ein Einfluss, den er Zeit seines Lebens nicht abstreifen sollte – auch wenn später Georg Lukacs sein theoretischer "Fixstern" werden sollte.
Seine zweite Flucht – vor den Nazis 1938 – verschlägt ihn in die Schweiz. 1944 vollendet er seine "Wissenschaft von der Gesellschaft". Nach dem Krieg geht er in die DDR, an die Uni in Saale. Er wird auch Mitglied der SED. 1948 erscheint sein opus magnum "Zur Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft. Versuch einer "verstehenden" Betrachtung der Neuzeit nach dem historischen Materialismus": Kofler (schreibt) keine Sozial-, Staats-, Wirtschafts- oder Politikgeschichte, obwohl all diese Elemente durchaus mitbedacht werden. Koflers geschichtliches Subjekt ist nicht die Klasse, sondern vielmmehr "der Citoyen, der Kritiker, der Nein-Sager", das "was man den bürgerlichen Geist oder mit Max Weber den `Geist des Kapitalismus`nennen könnte "(S. 183 f.).
Der unbequeme Querdenker Kofler eckt jedoch nur allzu bald an der stalinistischen Bürokratie an und wird von dieser schließlich als "Feind" klassifiziert. 1950 unternimmt Kofler in einer Nacht- und Nebel-Aktion seine dritte Flucht: in die BRD.
Hier entfaltet er in – konfliktreichem – Kontakt mit der westdeutschen Linken ein umfangreiches theoretisches Schaffen: u. a. analysiert er die sozialdemokratische Bürokratie, wird u.a. zu einem Pionier der Stalinismus-Analyse(S.295 ff.), entwickelt seine Theorie der "progressiven Elite" (S.383 ff.). Bemerkenswert unterbelichtet bleibt die Reflexion seiner jüdischen Abstammung – eine Haltung, die er mit etlichen anderen marxistischen jüdischen Intellektuellen der ArbeiterInnenbewegung teilt (Trotzki, Mandel,...).
In die Phase des "Herbst des Philosophen: Die Bochumer Jahre" (S. 577 ff.) fällt nach Jahrzehnten der Ignorierung die längst überfällige "Anerkennung" bzw. die Neuauflage seiner Bücher, aber auch die illusionäre Erwartungshaltung gegenüber dem Gorbatschowismus und nach dessen Scheitern eine zunehmend apologetische Haltung gegenüber dem – früher oftmals meisterhaft analysierten – Stalinismus.
Jünke zeigt treffend auf, dass es sich dabei nicht um "züfällige Verirrungen" handelt , sondern dass einige Theoriedefizite bei Kofler strukturell abgelegt sind: die oftmalige Parallelisierung von bürgerlicher und proletarischer Revolution, die verkürzte "Dialektik von Zielen und Mitteln" (S. 337), die ziemliche Distanz zum unmittelbaren ökonomischen und politischen Kampf und insbesonders das Fehlen einer "wie auch immer gearteten proletarischen Selbsttätigkeit" (S. 193 ) – Positionen, die "erziehungsdiktatorische" Abgleitflächen begünstigen.
Trotz dieser offenkundigen Defizite – andere Vertreter des "westlichen Marxismus"(Perry Anderson) haben wieder ihre spezifischen "Schlagseiten" (Adorno, Marcuse, Lukacs,...) – sollte Kofler nicht ad acta gelegt werden. Im Gegenteil: So manches kann noch in seinem "sozialistischen Strandgut" an Interessantem und Relevantem zu Tage gefödert werden.
Christof Jünke: Sozialistisches Strandgut Leo Kofler Leben und Werk (1907-1995) VSA- Verlag. Hamburg 2007, 701 Seiten.
|