Samstag, 24. Januar 2009
 
Bedrohter Freiraum "Fleischerei" PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Eva Kumar   
Montag, 11. Juni 2007

Nach maßgeblicher Mitarbeit in mehreren experimentellen Theaterprojekten im Lauf der 90er Jahre hat Eva Brenner 2004 im 7. Wiener Gemeindebezirk mit der "Fleischerei" einen neuen innovativen Aktionsraum erschlossen. Doch diese Initiative erscheint der Gemeinde Wien nicht subventionswürdig, ein diesbezügliches Ansuchen wurde abgelehnt.

In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts entstand in New York im Gebäude einer ehemaligen Feuerwache ein Raum, der alchimistisches Laboratorium für eine völlig neue Art von Kunst und zugleich für eine neue Art des Lebens und Begegnens war. Andy Warhols Factory war Treffpunkt der Avantgarde New Yorks, zugleich Partyraum und Arbeitsstätte, Proberaum von Velvet Underground und Filmatelier für die spektakulären Filme Andy Warhols und seiner Werkstatt.

Es entstanden dort Kunstwerke aller Richtungen und die kreativen Menschen aus aller Welt versammelten sich dort, um Kunst nicht nur zu machen, sondern zu leben: Mick Jagger, Truman Capote, Jim Morrison, Bob Dylan, Salvador Dalí, Beat Poeten wie Allan Ginsberg, Peter Orlovsky und viele andere. Es war eine Zeit des Aufbruchs und der Experimente auf vielen Ebenen des Kreativen und Sozialen, und diese Experimente hatten Folgen und bestimmten die Richtung der gesellschaftlichen Entwicklung der nächsten Generation bis heute.

So viel Freiheit hat es selten irgendwo gegeben, und aus Freiheit und Chaos entstehen tanzende Sterne, wie man weiß. Die Fleischerei hat es in Wien versucht, einen solchen freien Raum zu schaffen.

Eva Brenner, die 15 Jahre lang in den USA gelebt und gearbeitet hat und die atmosphärischen Voraussetzungen und Arbeitsbedingungen für diese Art von Freiheit gut kennt, hat in den 90ern wieder auch künstlerisch den Kontakt mit Wien gesucht. Eine internationale Gruppe für Experimentaltheater und Performance mit Sitz in Wien war das "Projekt Theater", dann folgte das "Act now - Theaterarbeit" in Wien, dann das Projekt "Theater Studio".

Es ist eine lange Liste von Produktionen und Projekten, die Eva Brenner seit den 90er Jahren erarbeitet hat, und es lohnt sich, sie anzusehn und sich zu fragen, wie brodelnd vor Energie und Kreativität ein Mensch sein kann und wie dieser Mensch, in alle Richtungen auf der ganzen Welt vernetzt, Gleichgesinnte und Gleichgestimmte um sich versammeln und den Raum schaffen kann für immer neue Projekte und Experimente. Seit 2004 hat Eva Brenner einen neuen Aktionsraum erschlossen, die Fleischerei im 7. Wiener Gemeindebezirk.

Das in Wien – mit seinem Selbstverständnis als Lordsiegelbewahrerin der Kultur – etablierte und fest verankerte Verständnis davon, was Theater sei und zu sein habe, hat Eva Brenner mit ihren Projekten immer wieder von allen Seiten von neuem zu erschüttern und zu relativieren versucht.

Ihre Projekte, deren Erfolg und die Antworten aus dem Publikum, das nicht mehr passives Publikum ist, sondern sich aus mitgestaltenden, agierenden, sich schöpferisch betätigenden Menschen zusammensetzt, sprechen für sich. Ginge es bei der Bewertung dessen, was Kunst ist und was förderungswürdige Kunst, um die Rezeption und das Verständnis der zuschauenden Mitakteure, wäre die Frage obsolet. Aber darum geht es leider nicht.

Ohne Budgetzusicherung, damit die Künstler von ihrer Arbeit leben können, damit Raum und Struktur gesichert sind, lässt sich auf längere Sicht nicht kreativ arbeiten. Von den Künstlerinnen wird gefordert, dass sie ständig auf höchstem Niveau leisten – und das in totaler existenzieller Unsicherheit. Man lässt gut ausgebildete, sich nachweislich in allen Kulturen und Ländern wie Fische im Wasser bewegende, alle Umstände kreativ verarbeitende Menschen, die schließlich die eigene Kultur repräsentieren, immer wieder den Beweis erbringen, dass sie sich wie Straßenmusikanten die Münzen erbetteln können, die sie zum Überleben und Arbeiten brauchen. Wenn sie schon behaupten, Theater zu sein und zu machen, dann sollen sie auch immer wieder beweisen, dass ihnen jemand ihre Definition abnimmt.

Was in Wien Theater ist und was nicht, wird noch immer im Rathaus und von KuratorInnen festgestellt. Einspruch, Kritik, Diskussion, von allen Beteiligten auf gleicher Ebene, ist nicht vorgesehen. Was  "Theater" und "Kunst" auch leisten könnten, nämlich die Verhältnisse zu spiegeln, Wahrheit von gesellschaftlichen Vorgängen und Beziehungen sichtbar und erkennbar zu machen, Facetten und Welten sowie deren Konstruktionsweisen erlebbar und gestaltbar zu zeigen – daran ist der Kulturbeamte nicht interessiert.

Die Einbeziehung von MigrantInnen und anderen Randgruppen in kreative Vorgänge, in nicht genau definierten Begegnungsräumen, ist nicht vorgesehen und führt offenbar zu Unsicherheit. Sie sollen gefälligst in ihren Traditions- und Religionsrastern bleiben und so leicht zu verwalten sein. Sie sollen nicht Subjekte ihres Lebens werden, sondern weiter in ihrer Rolle als Bezieher von Hilfe und Adressaten von Integrationsverordnungen bleiben – beides von oben definiert, verordnet und verabreicht.

Die Utopie einer Diversitätskultur würde Diskurse erfordern, die – sich aus ästhetischen Handlungen entwickelnd – erst einen Dialog ermöglichen. Diversität und Dialog können nicht aus der Addition separierter Monologe entstehen.

Während Mittelbühnen und so etwas wie der Operettensommer auf der Wieden ungeniert langzeit-subventioniert werden, Dagmar Koller als Megastar gefeiert wird und 1,7 Millionen Euro ohne Jury, KuratorInnen oder Standortförderung vergeben wurden, werden kleine freie experimentelle Theater – unter anderem die Fleischerei – ausgehungert und zynisch herabgewürdigt.
 

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