In Südmexiko werden Unterstützungsgemeinden der Zapatistischen Armee zur nationalen Befreiung (EZLN) seit dem Regierungswechsel in Mexiko und Chiapas Ende 2006 zunehmend Opfer von Drohungen, Sabotage und Gewalt. Ausführendes Organ ist vor allem die Organisation zur Verteidigung der Indígena- und Campesino-Rechte (OPDDIC), die von unabhängigen BeobachterInnen als paramilitärische Gruppe eingestuft wird. Hintergrund ist neben der Bekämpfung des zapatistischen Aufstands die politische und ökonomische Kontrolle der ressourcenreichen Region.
“Wir sind es leid, dass die Brüder von der OPDDIC durch unsere Gemeinden laufen, unser Vieh und unsere Ernte stehlen, uns mit dem Tod bedrohen und hier ihre Schusswaffen abfeuern”, so ein Sprecher der Gemeinde Bolom Ajaw, die am 6. März von einer internationalen Beobachtungsdelegation und zwei mexikanischen JournalistInnen besucht wurde. Die EZLN-UnterstützerInnen haben das Land ihres Dorfes 2003 besetzt. “Wir haben es von den Großgrundbesitzern zurückerobert”, so ihre Formulierung, die typisch für die seit 1994 neu entstandenen zapatistischen Gemeinden ist. “Unsere Vorfahren haben hier wie die Sklaven gelebt”, ergänzt ein älterer Mann aus dem Dorf. Die Zapatistas haben hier mehrere Jahre relativ friedlich leben und arbeiten können. Doch seit einigen Monaten werden sie massiv von Nachbargemeinden, die in der OPDDIC organisiert sind, belästigt.
Die zapatistische Gemeinde San Miguel liegt wie Bolom Ajaw nahe bei den Wasserfällen von Agua Azul, einer der bedeutendsten touristischen Attraktionen in Chiapas. Auch hier leiden die EZLN-UnterstützerInnen unter der Gewalt der OPDDIC, die bereits mehrfach die Seilbahn über den Fluss sabotierten, Gemeindemitglieder verprügelten, den zapatistischen Frauen den Verkauf ihrer Produkte verwehren und mit bewaffneten Aktionen drohen. “Die OPDDIC will uns unser Land wegnehmen, weil sie die Wasserfälle auf unserem Land für den Tourismus nutzen wollen. Sie arbeiten offen mit der Polizei und der Regierung zusammen”, so ein Sprecher des Dorfes, auf deren Land sich unberührter Regenwald und beeindruckende Kaskaden befinden, die die Gemeinde nach eigenen Angaben vor der Zerstörung schützen will.
In San José en Rebeldía, dem Hautpsitz dieser autonomen zapatistischen Region, bestätigt ein Sprecher, dass die OPDDIC die Charakteristika einer paramilitärischen Organisation aufweist: “Sie selbst berichten, dass sie vom Gouverneur bewaffnet und finanziert sind, mittels seiner Abgeordneten”. Die Menschen sind tief besorgt. Sie empfangen die mexikanische Presse und die internationale Brigade mit Gastfreundschaft. Von dem Besuch erhoffen sie sich eine Verbesserung ihrer Lage.
Die Situation in den zapatistischen Gebieten ist momentan so gespannt wie schon seit Jahren nicht mehr. Wie von deren Selbstverwaltungsgremien, den Räten der Guten Regierung, mehreren Nichtregierungsorganisationen und einer internationalen Delegation ausführlich dokumentiert wurde, ist das Vorgehen der OPDDIC aggressiv und besorgniserregend: Gewaltdrohungen gegen dutzende Gemeinden, permanente Bedrohung durch bewaffnete Personen, vernichtete Felder, Landraub, Entführungen, Misshandlungen, Schießereien, Vertreibungen von Familien und Gemeinden sowie klare Hinweise auf die militärische Ausbildung von Zivilisten unter Beteiligung der Bundesarmee. Dazu kommt die Unterstützung der landwirtschaftlichen Behörden bei dem Vorhaben, den zapatistischen Gemeinden tausende Hektar Land wegzunehmen, die sie seit mehr als einem Jahrzehnt bearbeiten. Sogar mexikanische JournalistInnen und die Angehörigen einer internationalen Beobachtungsdelegation wurden von der OPDDIC am 7. März be droht, festgenommen zu werden.
Linker Diskurs, rechte Praxis
Die OPDDIC wurde 1998 von Pedro Chulín gegründet, der ein einflussreiches Mitglied der Institutionellen Revolutionären Partei (PRI) ist. Die PRI war von 1929 bis 2000 die regierende Partei Mexikos, in Chiapas ist sie weiterhin eine starke politische Kraft. Chulín war PRI-Abgeordneter in Chiapas und ist heute deren Ersatzdelegierter für den Bundeskongress. Er hat weitreichende Verbindungen in Politik und Wirtschaft und war 1998 für die gewaltsame Zerschlagung von Taniperlas verantworlich, dem Verwaltungssitz des autonomen zapatistischen Landkreises Ricardo Flores Magón.
Die OPDDIC geht nicht ungeschickt vor. Obwohl sie ohne jeden Zweifel den politischen und ökonomischen Eliten nahesteht, führt sie einen linksgerichteten Diskurs. Sie spricht von der Verteidigung der Rechte der indigenen und bäuerlichen Bevölkerung und lockt verarmte Familien mit Versprechungen auf Landzuteilungen in die Organisation. Allerdings wird sie von den Zapatistas beschuldigt, Mitglieder auch unter Zwang zu rekrutieren, wenn diese nicht freiwillig beitreten wollen.
Michael Chamberlin, Vizedirektor des kirchlichen Menschenrechtszentrums Fray Bartolomé de las Casas aus San Cristóbal, erläutert, dass die OPDDIC eine Gruppierung sei, die sich in den vergangenen Jahren besorgniserregend vergrößert habe: “Die OPDDIC hat ihre Wurzeln in den paramilitärischen Organisationen ‘Revolutionäre Indigene Anti-Zapatistische Bewegung’ (MIRA), ‘Frieden und Gerechtigkeit’ sowie ‘Los Chinchulines’. Diese sind für dutzende Morde verantwortlich”. Die OPDDIC drohe nicht nur mit der Vertreibung weiterer Gemeinden in der Region Montes Azules, sondern auch mit Angriffen auf Unterstützungsgemeinden der EZLN. “Sogar wir selbst, AktivistInnen aus dem Menschenrechts und Umweltschutzbereich, erhalten Todesdrohungen”, berichtet Chamberlin.
Die EZLN wirft der OPDDIC in einem Kommuniqué vom Februar 2007 vor, für die Ermordung von vier EinwohnerInnen des Dorfes Viejo Velasco am 13. November 2006 verantwortlich zu sein. Die Gruppe ziele darauf ab, lokale Konflikte eskalieren zu lassen, um ein weiteres Eindringen der mexikanischen Armee ins Rebellengebiet zu rechtfertigen. So soll der Aufstand der Zapatistas endgültig zerschlagen werden. Die OPDDIC sei ferner für Landraub, die Plünderung des Urwalds und für illegalen Drogenhandel verantwortlich und erfahre direkte Unterstützung der Polizei, der Armee und der Regierung.
Der mexikanische Präsident Felipe Calderón ordnete in den vergangenen Wochen umfassende Militäroperationen an, um unter dem Mantel der Drogenbekämpfung ein „sicheres Investitionsklima für ausländische Unternehmen zu garantieren”, wie er auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, Schweiz, erklärte. Nach Angaben der EZLN dient dies im Fall von Chiapas jedoch vor allem dazu, die Rebellengebiete weiter zu militarisieren. Auffällig ist, dass die OPDDIC vor allem in den bereits stark aufgerüsteten Gebieten operiert, was eine mit dem Militär koordinierte Strategie der Aufstandsbekämpfung nahelegt. Die OPDDIC scheint aus der Geschichte der regierungsnahen Organisationen mit paramilitärischem Flügel gelernt zu haben: Sie arbeitet nicht nur mit paternalistischen Almosen für ihre Angehörigen und Repression gegenüber ihren Gegnern, den Zapatistas.
Juristische Strategie gegen die EZLN
Darüber hinaus entwickelt die OPDDIC in Zusammenarbeit mit einigen MitarbeiterInnen des Ministeriums für Agrarreform von Chiapas (SRA) eine juristische Strategie, um den in der EZLN organisierten Gemeinden ihre Ländereien abzutrotzen. Das SRA stellt demnach neuen OPDDIC-Mitgliedern Papiere über Ländereien aus, die seit 1994 von Zapatistas besetzt wurden – wobei die ehemaligen Besitzer in aller Regel längst von der Regierung entschädigt wurden. An dieser Stelle dreht die OPDDIC den Spieß um: Die enteigneten zapatistischen Gemeinden, die keine Privatisierung und familienweise Legalisierung ihrer Ländereien akzeptieren, werden nun zu Invasoren deklariert.
Der aktuelle chiapanekische Gouverneur, Juan Sabines von der sozialdemokratischen PRD, war bis kurz vor seiner Wahl im vergangenen Jahr Mitglied der PRI und steht erklärtermaßen dem aktuellen Präsidenten Mexikos, Felipe Calderón von der konservativ-neoliberalen PAN, nahe. Er verkörpert so nahezu in Reinform die von der EZLN vielfach kritisierte neoliberale Allianz der politischen Klasse. Sabines hat lange nichts unternommen, um die Verbrechen der OPDDIC aufzuklären. Anfang März wurde jedoch die Führung der Organisation festgenommen, weil OPDDIC-Mitglieder MenschenrechtlerInnen verprügelten, die eine Demonstration der Gruppierung in Ocosingo beobachtet hatten. Ein weiterer Grund für die Inhaftierung war die angebliche Entführung des Journalisten Hermann Bellinghausen. Der Mitbegründer der renommierten Tageszeitung La Jornada berichtet seit 1994 intensiv über den Konflikt in Chiapas. Bellinghausen dementierte noch am selben Tag, enführt worden zu sein.
Die Festnahme der OPDDIC-Führung, darunter Pedro Chulín, wirkt wie ein Manöver, um zu demonstrieren, dass der Gouverneur “seinen” Bundesstaat kontrollieren kann. Hier offenbart sich die altbekannte Problematik paramilitärischer Gruppen: Es gibt die Paramilitärs, die ausschließlich lokal im Interesse einiger Großgrundbesitzer operieren und nicht direkt von der Regierung kontrolliert werden, es gibt jene, die dabei Unterstützung der Regierung erhalten und es gibt die, die direkt von der Zentralregierung aufgebaut werden. Der genaue Grad der Zusammenarbeit zwischen chiapanekischer und Zentralregierung mit der OPDDIC ist noch nicht offengelegt. Chulín scheint ein “Bauernopfer” der aktuellen chiapanekischen Regierung zu sein, um die Existenz rechtsstaatlicher Zustände in der südmexikanischen Provinz zu simulieren.
Das Problem der Aufstandsbekämpfung geht über die OPDDIC hinaus, denn in anderen Zonen operieren andere Gruppen. Die Situation ist ernst. Meldungen der zapatistischen Gemeinden über Belästigungen und Gewaltakte häufen sich. So verwundert es nicht, dass die EZLN in lange nicht mehr vernommener Schärfe die paramilitärischen Gruppen gewarnt und mit militärischen Aktionen gedroht hat.
Die Zapatistas aus Bolom Ajaw und San Miguel nennen die Mitglieder der OPDDIC aus den Nachbargemeinden noch immer “Brüder”. Noch haben sie die Hoffnung nicht aufgegeben, dass eine friedliche Lösung der Konflikte möglich ist. Aber die Lage droht zu eskalieren und die zapatistischen Regierungsräte von La Realidad, Oventic, La Garrucha, Morelia und Roberto Barrios riefen die mexikanische und die internationale Zivilgesellschaft zu erhöhter Aufmerksamkeit und zu Protesten auf, um ein Aufflammen gewaltsamer Auseinandersetzungen zu verhindern.
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