In der SPÖ regt sich Widerstand gegen das EU-Diktat. Die
"initiative für eine sozialistische politik der spö" (isp) beschränkt
sich nicht mehr auf informelle Einflussnahme, sondern ging nun an die
Öffentlichkeit mit einem Offenen Brief an den Bundesparteivorstand der SPÖ und
den SPÖ-Parlamentsklub sowie an die SP-Fraktion im Europäischen Parlament.
Liebe Genossinnen und Genossen!
Wir appellieren an Euch, von der Ratifizierung des
"Entwurfs eines Vertrags zur Änderung des Vertrags über die Europäische
Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft"
("EU-Reformvertrag") durch das Parlament Abstand zu nehmen und Euch
für eine Volksabstimmung darüber in Österreich und allen Mitgliedsländern der
Europäischen Union einzusetzen.
Um eine Volksabstimmung durchzuführen, bedarf es einer
umfassenden und ausgewogenen Information der Bevölkerung (um die sich
Interessierte schon jetzt selbst bemühen). Sie erfordert eine
Gleichgewichtung der zu befürwortenden wie auch der abzulehnenden Inhalte und
Gesichtspunkte des "EU-Reformvertrags". Die SPÖ, aber auch die
SP-Fraktion im Europäischen Parlament, soll daher diese umfassende und
ausgewogene Information der Bevölkerung EU-weit sicherstellen und in den politischen
Körperschaften auf deren Bereitstellung hinwirken.
Verfassungen gehen auf Volksbewegungen und Revolutionen
gegen feudale Willkürherrschaft zurück. Eine Verfassung ist ein Dokument der
grundlegenden Rechte und Pflichten der Staatsbürger/innen und eine Festlegung
der Gewaltenteilung sowie der Aufgaben und Machtbefugnisse der staatlichen
Organe. Als rechtliche Grundlage des staatlichen Zusammenlebens hat sie
unmittelbare und nachhaltige Auswirkungen auf das gesamte Leben jeder
Staatsbürgerin und jedes Staatsbürgers. Sie betrifft alle Menschen.
Im Grundsatzprogramm der SPÖ heißt es im Abschnitt II. 2.
2.: "Wir treten daher dafür ein, dass alle Menschen das Recht darauf
haben, bei Entscheidungen, die sie betreffen, mitzubestimmen und dass das
Prinzip der Demokratie in allen gesellschaftlichen Bereichen verwirklicht
wird." Dieser Satz erfordert die Abhaltung einer Volksabstimmung und
stellt für die SPÖ die Verpflichtung dar, sich ohne Bedingungen für ihre
Durchführung einzusetzen. Andernfalls würde sie ihre Glaubwürdigkeit weiter
verringern.
Durch die "Erklärung Nr. 27" wird analog zum
2005 gescheiterten "Verfassungsentwurf" aus dem Jahr 2004 der Vorrang
der EU-Gesetzgebung gegenüber unserer Verfassung festgeschrieben. Das
"Verbot der Beschränkungen des Kapitalverkehrs mit den Mitgliedsländern
und Drittländern" (Artikel 56) legalisiert die Steür-, Kapital- und
Produktionsflucht in Niedriglohnländer und Steueroasen. Es ist gegen die
arbeitenden Menschen in der EU gerichtet, ohne den arbeitenden Menschen in den
Zielländern zu helfen. Artikel 27 (Absatz 7) macht die EU zu einem
Verteidigungsbündnis und gefährdet durch die enge Anbindung an die NATO die
bewährte Neutralität Österreichs. Die Rechte des Europäischen Parlaments sind geringer und schwächer als die der
Parlamente der Mitgliedstaaten. Es fehlen das Recht der Gesetzesinitiative und
das Recht, Mitgliedern der Kommission das Misstrauen auszusprechen, sowie das
basisdemokratische Recht einer Volksabstimmung. Schon allein deswegen muss die
Bevölkerung der EU darüber abstimmen, ob sie sich den Entzug dieses
grundlegenden Rechts wirklich gefallen lassen will.
Diese und andere Mängel und Festschreibungen aus dem 2005
gescheiterten "Verfassungsentwurf" sind im
"EU-Reformvertrag" weiterhin enthalten, aber sie sind wegen
systematischen Umgruppierungen von Textbestandteilen des
"Verfassungsvertrags" und deren Einfügung an verschiedenen Stellen
früherer Verträge nur "Eingeweihten" zugänglich. Wie der Vorsitzende
des damaligen Verfassungskonvents und frühere Präsident Frankreichs, Giscard
d’Estaing, in einem Offenen Brief im Observer vom 29. Oktober 2007
dazu feststellte, wird damit der Zweck verfolgt "ein Referendum zu
vermeiden dank der Tatsache, dass diese Artikel verstreut und deren
Verfassungsvokabular entfernt wurden". Nur durch eine Wirtschaft, die demokratisch gelenkt und
kontrolliert wird, kann das Überleben dieses Planeten in Zukunft gesichert
werden. Die EU-Gesetzgebung schränkt die Freiheitsrechte der
Bevölkerungsmehrheit zugunsten der Vorrechte von Kapitaleigentümern und
wirtschaftlich Mächtigen weiter ein. Der daraus folgende Sozialabbau weckt
soziale Urängste und heizt nationalistische und rechtsextremistische Strömungen
an, denen sich politisch desinformierte Benachteiligte anschließen. Die Entfremdung
der repräsentativen Demokratie nimmt zu. Dem muss durch eine Politik begegnet
werden, die den Interessen der arbeitenden Mehrheit Rechnung trägt. Eine
Volksabstimmung über den "EU-Reformvertrag" wäre ein Beitrag zur
Wiederbelebung der Demokratie und würde der Gefahr von Rechts aktiv
gegensteuern.
An der von uns geforderten umfassenden und ausgewogenen
Information der Bevölkerung müssen vor allem die Abgeordneten der SPÖ
(sowohl des österreichischen als auch des Europäischen Parlaments) mitwirken.
Dabei wird sich erweisen, nicht nur ob und wie angemessen sie den
Vertragsentwurf dem "Wahlvolk" darstellen können, sondern ob und wie
sehr sie sich selbst seiner Problematik bewusst sind.
Freundschaft!
Für die initiative: Karin Rietenauer, Gerti Worel, Reimar
Holzinger, Franz Winterer, Helga Maier, Theo Maier, Gerda Neudecker, Peter
Ulrich Lehner, Ursula Knittler-Lux, Rudi Schmid, Klaus Kucharz, Alfred
Kohlbacher, Alfred Heinrich, Werner J. Grüner, Traude Mayer, Jürgen Hirsch
Kontakt: http://www.initsoz.org
EU-Vertrag-Tips
Eine aus den diversen Entschließungen privat erstellte
konsolidierte, sprich: lesbare Fassung des EU-Vertrags auf dem Stand des
letzten Gipfels findet sich unter
http://www.reformvertrag2007.eu
Nicht enthalten sind dabei allerdings Präambel,
Protokolle und Erklärungen
des EU-Reformvertrages. Die können runtergeladen werden
unter
http://www.consilium.europa.eu/cms3_fo/showPage.asp?id=1317&lang=de&mode=g
Eine rechtliche Analyse von ao.Univ.Prof. Adrian Holländer,
die zum Schluss
kommt, dass der EU-Vertrag in einem Ausmaß in
österreichisches Recht eingreift, dass eine Beschlussfassung ohne
Volksabstimmung vor dem VfGH eine eklatante Rechtsunsicherheit ob ihrer
Gültigkeit erzeugen würde, findet sich unter:
http://www.efcr.at/tmp_de/files/111.pdf
entnommen aus: AKIN vom 11.12.2007
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