Das strenge Schweizer Asylgesetz eins zu eins umsetzen, das will FPÖ-Chef HC Strache. Jeder, der ihn für eine Koalition gewinnen will, muß Abschiebungen und Abweisung von Asylsuchenden noch über das bereits hohe Niveau der Abschottung in Österreich steigern. Schon jetzt ist die Lage für alle, die in legal prekären Situationen in Österreich leben, schlimm genug.
Jeden Mittwoch um 17:00 Uhr wird vor dem Innenministerium in Wien der Hochzeitsmarsch gespielt. Gemischtnationale Ehepaare versammeln sich da zu einer Protestkundgebung gegen das neue Fremdenrecht. Die ausländischen Ehepartner bleiben meist zu Hause. Denn sie laufen Gefahr, festgenommen und abgeschoben zu werden. Seit Jahresbeginn gilt ein neues Gesetz, das unterstellt, Ehen mit Ausländern ohne aufrechten Aufenthaltstitel würden ausschließlich zum Zweck der Erschleichung des Aufenthaltsrechtes geschlossen. Gelegenheit zum Gegenbeweis hat man nicht.
Frau Zou Youeying konnte ihr Eheglück mit einem Österreicher nicht lange genießen. Vor einem Jahr trat die 40jährige Chinesin mit ihrem Partner vor das Standesamt, dann stellte sie einen Antrag auf Niederlassungsbewilligung. Dafür zog sie auf Anraten der Behörden ihren Asylantrag zurück. Die Erledigung wurde aber vom zuständigen Amt verschleppt. So befand sie sich Anfang dieses Jahres plötzlich illegal im Land „ und wurde in Schubhaft genommen. Denn mit 1. Januar trat das verschärfte Fremdenrecht in Kraft. Einer Berufung gegen einen Abschiebungsbescheid kommt jetzt keine aufschiebende Wirkung mehr zu. Daß das Gesetz keine Übergangsfrist vorsieht, ist keine Schlamperei, sondern Absicht. Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung müssen jetzt im Herkunftsland gestellt werden. Im März wurde die Frau, eskortiert von zwei Polizisten, in ein Flugzeug nach Peking verfrachtet. Von dort war sie ursprünglich geflohen, weil sie die Einweisung in ein Arbeitslager gefürchtet hatte. Die Kosten für die drei Tickets nebst Schubhaftgebühren, insgesamt um die 5000 Euro, wurden dem Ehemann in Rechnung gestellt - ungeachtet der Tatsache, dass seiner Frau das Visum für die Wiedereinreise verweigert wird, weil er zu wenig verdient.
Noch schlimmer erging es Bakary J. aus Gambia. Der 33jährige wurde zweimal wegen Drogenhandels verurteilt. Nach Absitzen seiner jüngsten Haftstrafe sollte er abgeschoben werden, obwohl er seit über fünf Jahren mit einer Österreicherin verheiratet ist und ein gemeinsames Kind hat. Er wurde in den frühen Morgenstunden des 8. April abgeholt und zum Flughafen transportiert. Der Pilot reagierte auf die verzweifelten Hilferufe und weigerte sich, loszufliegen. „Die Abschiebung musste abgebrochen werden“, heißt es nüchtern im Protokoll. Über die folgenden Ereignisse schweigen die Aufzeichnungen. Bakary J. fand sich plötzlich in einer Lagerhalle, die als Trainingsgelände für Polizeiübungen dient. Dort sei er auf die Knie gezwungen worden und die Beamten seien mit dem Auto auf ihn zugerast, als wollten sie ihn niederfahren. Laut Polizisten war es auf dem Rückweg vom Flughafen zu „Handgreiflichkeiten“ gekommen. Deswegen habe man dem Mann eine Anzeige wegen „Widerstandes gegen die Staatsgewalt“ verpasst. Dieser Vorwurf wird routinemäßig gegen Afrikaner erhoben, wenn sie im Polizeigewahrsam schwere Blessuren abbekommen. Doch diesmal erschienen die Behauptungen der Beamten so wenig glaubwürdig, dass schnell interne Ermittlungen eingeleitet wurden. Ein von der Ehefrau am folgenden Tag mit dem Handy gemachtes Foto zeigt ein aufgequollenes und grob verunstaltetes Gesicht des Afrikaners. Auch der Menschenrechtsbeirat, der schwere Bedenken gegen die Abschiebung geäußert hatte, wurde verständigt. Dieses Gremium kann den Vollzug im Innenministerium überwachen. Es wurde 1999 eingerichtet, nachdem der Nigerianer Marcus Omofuma während der Abschiebung an seinen Knebeln erstickt war. Die Polizisten bekannten sich vor Gericht schuldig und wurden zur für manche unbegreiflich milden Strafe von acht Monaten bedingt verurteilt.
Derzeit haben nur Flüchtlinge aus Tschetschenien relativ gute Karten, in Österreich Asyl zu bekommen. Wenn sie nicht den Fehler machen, über einen „Dublin-Staat“ einzureisen. Das sind Länder, die als sichere Drittstaaten gelten. Nach einem Abkommen von Dublin muß das Asylverfahren dort stattfinden. Herr A. aus Tschetschenien wurde aus diesem Grund nach Polen abgeschoben. Polen - diese Praxis ist in Österreich bekannt - schob ihn bald zurück nach Russland. Wenig später wurde A an seinem Heimatort umgebracht. Das ist einer der Fälle, die die Grünen gemeinsam mit Menschenrechtsorganisationen zusammengetragen haben, um die Härten der neuen Gesetzgebung zu dokumentieren. In den letzten Monaten wurden Familien zerrissen, hochschwangere Frauen von ihren Männern getrennt, Kinder in Schubhaft gesteckt, transportunfähige oder schwer traumatisierte Kranke unter Polizeibegleitung zur slowakischen Grenze gebracht. Aus den Flüchtlingslagern in der Slowakei wird über Fälle von Folter berichtet.
„Es ist eines Staates wie Österreich unwürdig, dass Minderjährige in Schubhaft genommen werden“, klagt die Grüne Menschenrechtssprecherin Terezija Stoisits. Seit Jahresbeginn habe die Verhängung von Schubhaft um 40 Prozent zugenommen. Die Schubhaft, so die gelernte Juristin, solle von Gesetzes wegen einzig der Sicherung von Menschen dienen, für die es keine andere Möglichkeit als die Abschiebung gibt. Jetzt werde sie prinzipiell über alle Menschen verhängt, die aus dem Dublin-Raum kommen. Vor kurzem wurde ein minderjähriger Mongole von seiner Adoptivmutter und deren Kleinkind getrennt und sechs Wochen in Salzburg in Schubhaft genommen. Weder für seine Festnahme noch für die spätere Enthaftung gaben die Behörden einen Grund an.
Wer sich unerlaubt in Österreich aufhält, wird wie ein Krimineller eingesperrt. Ein Afrikaner ist letzten Oktober in Schubhaft an den Folgen eines Hungerstreiks gestorben. Seine hungerbedingten Zuckungen wurden als Renitenz gedeutet. Daher schnallte man ihn auf eine Pritsche, wo er wenige Stunden später starb. Verfolgt werden aber auch Anwälte und Mitarbeiter von NGOs, die sich für Flüchtlinge einsetzen. Eine Untersuchung gegen die Anwälte Nadja Lorenz und Manfred Bürstmayr, die viele Flüchtlinge in Asylverfahren vertreten, wurde eingestellt, als die Sache an die Öffentlichkeit kam. Monatelang wurde gegen Michael Genner, den Chef der Organisation Asyl-in-Not ermittelt. Er hatte bei einem Vortrag in Innsbruck dazu aufgerufen, traumatisierte Menschen, die deportiert werden sollen, zu verstecken. Solches Verhalten steht jetzt nach Paragraph 115 des Fremdenpolizeigesetzes unter Strafe: „Wer mit dem Vorsatz, das Verfahren zur Erlassung oder die Durchsetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen hintanzuhalten, einem Fremden den unbefugten Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union erleichtert, ist vom Gericht mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen“. Bis das Verfahren eingestellt wurde, berief sich Genner auf das Notwehrrecht, das auch jene schützt, die zugunsten von Dritten eingreifen. Außerdem strengt er die Aufhebung dieses Paragraphen durch den Verfassungsgerichtshof an. Es wäre nicht das erste Mal, das dieser legislative Exzesse im Fremdenrecht als verfassungs- oder völkerrechtswidrig aufhebt.
Aber auch in das Privatleben österreichischer Staatsbürger wird drastisch eingegriffen. Eine Lehrerin, die einen US-Amerikaner ehelichte, musste erfahren, dass sie zu wenig verdiene, um mit einem Ausländer leben zu dürfen. Nach Abzug der Miete erreichte ihr Einkommen nicht die erforderlichen 1056 Euro. Der Ehemann, der derzeit keiner Erwerbsarbeit nachgeht, bekam daher keine Aufenthaltsgenehmigung. Ohne diese bekommt er auch keine Arbeitsbewilligung. Wäre die Frau Deutsche oder Bürgerin eines anderen EU-Staates, genösse sie in Österreich den Schutz des von der EU garantierten Diskriminierungsverbotes.
Muslime wollen ja nicht
Im Mai alarmierte Innenministerin Liese Prokop, ÖVP, die Öffentlichkeit mit einer angeblich wissenschaftlich erhobenen Erkenntnis: 45 Prozent der Muslime seien integrationsunwillig. Sie berief sich auf eine noch unveröffentlichte Studie, die ihr Ministerium in Auftrag gegeben hatte. Seither wird darüber gerätselt, wie die Studienautoren Integration definieren und welche Fragen gestellt wurden. Doch Frau Prokop, die sich bei Amtsübernahme vor anderthalb Jahren um ein liberales Image bemüht hatte, zog bereits ihre Schlüsse: „Wer sich nicht integrieren will, hat hier nichts zu suchen“. Das klang wie ein Echo auf die Forderung nach „Minuszuwanderung“, dem von der rechten FPÖ erfundenen Euphemismus für „Ausländer raus“. Die Autoren der Studie haben sich gegenüber dem Auftraggeber zur Geheimhaltung verpflichtet. Daher warten Opposition und Menschenrechtsorganisationen gespannt auf die Präsentation der gesamten Studie. Bis dahin steht der Verdacht im Raum, dass die Regierung ihre immer restriktivere Ausländerpolitik durch wissenschaftlich nicht überprüfbare Daten zu rechtfertigen versucht.
Integration ist ein Bereich, der im Bundesministeriengesetz nicht vorgesehen ist. Daher gibt es keine verbindliche Definition und kein Ministerium, das sich zuständig fühlt. Zuwanderung wird in Österreich als Sicherheitsproblem betrachtet. Deswegen sind die fremdenrechtlichen Angelegenheiten im Innenministerium angesiedelt. „Sicherheit ist das Sozialste, was ein Land den Menschen bieten kann“, verkündete Innenministerin Liese Prokop vor kurzem in einer Ansprache. Sicherheit schaffen, so versicherte sie, „heißt auch, die Wahrheit zu sagen. Das gilt auch für die Themen der globalen Zuwanderung und Integration“. Ein Staatssekretariat für Integration, wie es die Opposition fordert, brauche man nicht. Vor fünf Jahren erfand die inzwischen abgewählte Regierung einen sogenannten Integrationsvertrag, der Neuzuwanderer und bereits in Österreich lebende Ausländer, soweit sie noch keinen Arbeitsplatz haben, verpflichtet, Deutschkurse und Unterricht in Landeskunde absolvieren. Die Kosten werden zur Hälfte vom Bund oder dem Arbeitgeber übernommen. Die andere Hälfte müssen die Betroffenen selber tragen. Wer die Kurse schwänzt oder verweigert, muß mit Sanktionen rechnen: von „verhältnismäßigen Geldbußen“ bis zur Ausweisung. Allerdings halten Experten die hundert Stunden Deutschkurs für völlig unzureichend. Schließlich finden sich in der Zielgruppe besonders viele Menschen mit niedrigem Bildungsniveau, die sich mit Fremdsprachen besonders schwer tun. Bisher ist zwar kein Fall bekannt, dass jemand wegen mangelnder Deutschkenntnisse deportiert worden wäre, doch sehen Migrantensprecher in den Maßnahmen weniger echte Integrationshilfen als Hindernisse für die Einwanderung. Viele können auch gar nicht erfasst werden, da sie längst die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen.
Auch der Erwerb der Staatsbürgerschaft ist schwieriger geworden. 14 Prozent der Menschen mit österreichischem Paß sind nicht hier geboren und weitere zehn Prozent, die in Österreich leben, sind Ausländer. Das ist ein höherer Anteil als in den USA. Österreich war immer und ist auch heute noch ein Einwanderungsland, auch wenn man sich nicht dazu bekennen will. Deswegen herrscht nach wie vor das ius sanguinis: Österreicher ist nicht, wer im Lande geboren ist, sondern, wer von Österreichern abstammt. Also werden Tausende als Ausländer geboren und bleiben es auch. Während unbestritten ist, dass Wahlrecht und Staatsbürgerschaft die Integration fördern, zielt der Reformeifer der Regierung in die gegenteilige Richtung. Eine Initiative von SPÖ und Grünen im links regierten Wien, den Zuwanderern nach drei Jahren das kommunale Wahlrecht zuzugestehen, wurde von den Regierungsparteien vor dem Verfassungsgerichtshof beeinsprucht - erfolgreich. Und die Verleihung der Staatsbürgerschaft, die bis letztes Jahr Landessache war und teilweise flexibel gehandhabt wurde, ist jetzt bundeseinheitlich geregelt. Erst nach zehn Jahren darf man Österreicher werden. Nach längeren Auslandsaufenthalten, selbst Studiensemestern oder Pflege von Angehörigen, beginnt die Frist wieder von vorne zu laufen. In Landes- und Kulturkunde ist ein Test zu absolvieren, an dem selbst viele Einheimische scheitern würden. Nur Spitzensportler, Opernsängerinnen oder Wissenschaftler werden schnell und unbürokratisch eingebürgert - egal, wie gut sie Deutsch sprechen. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel zitiert die 20jährige Schwimmmeisterin Mirna Jukic, die schon nach einem Jahr eingebürgert wurde, gerne als besonders gelungenes Beispiel erfolgreicher Integration.
Einwandern kann man heute praktisch nur mehr im Rahmen des sogenannten Familiennachzuges. Dafür gibt es eine Quote, die von Jahr zu Jahr gekürzt wird. Die meisten Menschen beginnen sich erst dann für das Schicksal von verfolgten Ausländern zu interessieren, wenn sie persönlich betroffen sind. Für manche ist das ein Erlebnis, das sie veranlaßt, sich zu engagieren. So wie die Schülerinnen und Schüler eines Gymnasiums in Wien, die mit ihrem Protest im Bildungsministerium durchsetzten, dass eine Mitschülerin, die 18jährige Relly aus Moldawien, nicht abgeschoben wird. Gemeinsam mit ihrer Mutter war sie vor dem brutalen Vater geflüchtet, der seine Geheimdienstkontakte gegen die Ehefrau einsetzte. Die beiden dürfen bleiben, zumindest bis Relly nächstes Jahr ihre Matura macht.
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