Beim EU-Rat ist man sich einig, daß man das neue "Europa" mit dem neuen Vertrag noch schöner gemacht hat. Das Volk wird dabei völlig ignoriert. Und der Großteil der Linken findet das toll. Bernhard Redl ist nicht ganz so begeistert.
Nun haben Sie sich also geeinigt die Hohen Damen und Herren vom Rat der Regierungschefs. Es gibt einen neuen EU-Vertrag! Wir müssen uns für diese Weiheit und dieses zähe Ringen bedanken, denn es ist sicher ein ganz tolles Paket, daß sie da geschnürt haben. Eine Abstimmung ersparen sie natürlich ihren Völkern, damit sich diese nicht mit diesem Konvolut beschäftigen müssen. Das sieht man auch beim ORF so und wir dürfen vom EU-Korrespondenten der ZiB vernehmen, daß nach einer jüngst veröffentlichten Studie zwar 75% der EU-Bevölkerung für eine Abstimmung wären, aber 90% angaben, eigentlich nicht zu wissen, was in dem Vertrag drinstünde.
Wenn man auch bekanntermaßen niemals einer Umfrage Glauben schenken sollte, die man nicht selbst in Auftrag gegeben hat, so glaube ich diese Zahlen ausnahmsweise doch. Nehmen wir daher diese Angaben als realitätsnah an, was folgt daraus? Nun, um genau zu sein, können eigentlich zum Zeitpunkt der Umfrage nur exakt 0% der Bevölkerung gewußt haben, was in diesem neuen Vertrag drinsteht, denn die Regierungschefs waren sich da ja noch nicht einmal einig über diesen Text. Ja, es stellt sich die Frage, ob nach monatelangen Herumlavieren über jeden Beistrich die Regierungschefs selbst sich aller Fußangeln des neuen Vertrags, den sie gerade unterschrieben haben, gewärtig sind. Wenigstens wird ja wohl jeder von ihnen eine Kopie mit nach Hause bekommen haben, um nachlesen zu können.
Doch vielleicht wird im Laufe der nächsten Wochen auch dem interessierten Teil des Plebs der Inhalt der Neufassung bekannt werden. Dieser interessierte Teil wird allerdings wohl nicht mal annähernd an 10% der EU-Bevölkerung herankommen. Das liegt aber wohl weniger daran, daß es allen egal ist, was der Brüsseler Wohlfahrtsausschuß so beschlossen hat, sondern mehr daran, daß die EU hier einen Text vorgelegt hat, der erstens nur bedingt verständlich sein dürfte und zweitens uns ja eh nicht zu interessieren hat, weil wir, die Bürger Europas, sowieso nicht um unsere Meinung dazu gefragt werden.
Propaganda
Genau darin liegt aber das Problem. “Bürgernähe”, wie sie die EU versteht, ist nicht, uns um unsere Meinung zu fragen, sondern “sachliche und ruhige Informationsarbeit durch die Bundesregierung und das Parlament”, wie das unsere Außenministerin formuliert hat — sprich Propaganda. Wobei diese Propaganda weniger vom Parlament kommen dürfte, sondern eher ins Parlament hineinwirken muß. Schließlich ist es abzusehen, daß die Abgeordneten, die dieses Dokument ratifizieren werden, wohl auch zu 90% es nicht gelesen haben werden. Ganz unabhängig von den neoliberalen und militaristischen Inhalten stellt sich da schon einmal die Frage, wie demokratisch kann ein System sein, daß Texte zu grundlegenden Verträgen macht, die derart umfangreich und mit juristisch fragwürdigen und erst auszujudizierenden Formulierungen durchsetzt sind, daß sie kaum für normale Menschen verständlich sein können. Gäbe es einen klar verständlichen Text, zu dessen Meinung wir auch gefragt würden, wäre das Interesse an “Europa” sehr viel größer. Würde dieser Text dann auch nur den (nicht einmal durchwegs schlechten) Grundrechtskatalog — und zwar einen einklagbaren Grundrechtskatalog — plus klare Worte zu Fragen der Subsidiarität und ein echtes Demokratiepaket enthalten, könnte ein derartiger Vertrag bei einer Abstimmung wohl wirklich mit einer Mehrheit rechnen. Nur das wollen diese Demokraten nicht. Das ist das ewige Übel der bürgerlichen repräsentativen Demokratie: Eliten, die wissen, was gut für das Volk ist!
Aber das kennen wir ja. Gerade wir hier in Österreich. Die EU begeht den selben Fehler wie einstmals die Habsburger. Die hohen Damen und Herren schaffen einen Zentralstaat, der alles besser weiß und dann ganz empört über den Nationalismus ist. Der Gedanke des Nationalstaates ist doch wohl vor allem durch die österreichische resp. österreichisch-ungarische Monarchie beflügelt worden. Wie das endete, wissen wir auch.
Wo ist die Linke?
Eben in diesem Dilemma sitzen heute fortschrittliche Kräfte. Denn die einzig politisch relevanten Gruppen, die gegen den bürokratisch-kapitalistischen Zentralstaat mobilisieren, sind die Rechtsextremen. Mit denen möchte man auf keinen Fall im gemeinsamen Boot sitzen und deswegen unterstützt man jeden Dreck, der zur Förderung der Europäischen Union dient. Anstatt auf Internationalismus und Subsidiarität und vor allem die Befreiung des Individuums, das Empowerment der Untertanen, zu setzen, wird die EU als Überwindung des Nationalismus hofiert. Nur werden durch diese EU-Apologetik nicht die Rechten geschwächt, sondern man überläßt ihnen den kompletten Bereich der Kritik an Neoliberalismus und Paternalismus. Und ist dann völlig empört, wenn die Faschisten die Früchte ihrer Proteste ernten.
Es ist an der Zeit, klarzumachen, daß weder der klassische Nationalismus noch der neue EU-Patriotismus uns Segen bringen. Denn was ich vor der EU-Volksabstimmung geschrieben habe, gilt heute noch genauso wie damals: “Nein zur EU! Österreich ist schlimm genug!”
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