Samstag, 24. Januar 2009
 
Die Rache der Formalverfassung PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Partnerpublikation   
Mittwoch, 6. September 2006
akinlogoKommentar aus akin

Parteien, Listen, Fraktionen, die Summe der Mandatare: Es ist alles eins in Oesterreich. Das freie Mandat der einzelnen Abgeordneten steht eh nur am Papier. Um Parteien, Wahllisten und Fraktionen auseinanderhalten zu koennen,  braucht man schon Verfassungsjuristen und selbst die kennen sich nicht aus, weil sich ueber diese Begriffe eine kaum durchdringbare Schicht an Rechtspraxis gelegt hat.

Man erinnere sich an die Aufregung, als das LiF mit seinen Abgeordneten
Fraktionsstatus beanspruchte und sich dabei auf die Geschaeftsordnung des
Nationalrats berief, die besagt, dass fuenf Abgeordnete ausreichen, um einen
Klub zu begruenden. Haider beschwerte sich damals darueber, dass diese
Abgeordneten ja nicht als solche gewaehlt worden waeren -- jetzt machte er
aehnliches und beschwert sich darueber, dass die Abgeordneten, die er selbst
aus der alten FPOe gefuehrt hat, nicht mehr alle Rechte auf jene Liste
beanspruchen koennen, mit der sie ins Parlament gekommen sind -- weil die
bloederweise von einer anderen Partei (der alten FPOe) auch beansprucht
werden.

Politische Parteien sind private Institutionen -- haben also eigentlich mit
der Zusammensetzung des Nationalrats nichts zu tun. Wahllisten hingegen sehr
wohl, doch die haben formal nichts mit Parteien zu tun. Fraktionen hingegen
haben weder mit Parteien noch mit Wahllisten zu tun: Sie bilden sich formal
durch freiwillige Assoziation der gewaehlten freien Abgeordneten.

Der Formalismus ist natuerlich graue Theorie und in einzelnen Bestimmungen
wird er auch immer wieder faktisch durchbrochen, doch er existiert -- fernab
von der politischen Realitaet. Wegen dieser Realitaet nennt man ja auch
einen aus einem Klub ausgetretenen Abgeordneten einen "wilden". Das soll
wohl soviel heissen wie "vogelfrei", "aussaetzig", "mit Bann belegt" oder
sowas -- weil er nicht mehr der Disziplin seiner Partei resp. Fraktion
unterliegt und tatsaechlich sein freies Mandat wahrnehmen kann.

Im alltaeglichen politischen Geschehen ohne solche "Betriebsunfaelle" nimmt
kein Beteiligter diese Formalismen wahr, die sehr wohl auch als ein Beitrag
zur Gewaltentrennung angesehen werden koennten. Genausowenig wie der
Unterschied von Parlamentsmehrheit und Regierung ernstgenommen wird. Es
heisst, wir haetten "eine Regierung aus OeVP und BZOe" -- aber Parteien
regieren nicht, dass tun nur einzelne Regierungsmitglieder resp. diese in
ihrer Gesamtheit. Die Parteienzugehoerigkeit dieser Regierungsmitglieder ist
diesbezueglich irrelevant. In der Bundesverfassung steht nichts von
Parteienregierung -- die Realverfassung allerdings sieht anders aus.

All das faellt aber immer nur dann auf, wenn ploetzlich die heile Welt des
Parteienstaates nicht mehr funktioniert. Dann faellt auch auf, dass
vorrangig die Bundesregierung zustaendig ist fuer die Bestellung der
Wahlbehoerden -- also jenen Organen, die ueber die Ordnungsmaessigkeit von
Wahlen befinden sollen, bei denen die Zusammensetzung eben jenes Gremiums
bestimmt wird, dass dann der Regierung "vertrauen" soll. Sowas geht solange
gut, solange einigermassen von den massgeblichen Politikern demokratische
Grundsaetze zumindest insofern beachtet werden, wie dies in buergerlichen
Demokratien ueblich ist. Doch selbst wenn dies der Fall ist, reicht es, dass
eine Partei sich spaltet -- schon kommt der Rechtsstaat ins Stolpern. Man
frage besser nicht, was passiert, wenn dollfuss-aehnliche Figuren in die
Regierung kommen.

Die politische Praxis des Parteienstaats ist keine gute. Aber sie ist
bequem. Die diesbezueglichen rechtlichen Bestimmungen sind hoechst unsauber
und nur deswegen in diesem Zustand, weil sie den Parteien so sehr genehm
sind und langerprobt in diesem Staat -- allerdings in einem Staat, der die
laengste Zeit durch ein Gleichgewicht rechter und sozialdemokratischer
Politiker stabil gehalten wurde, die die laengste Zeit auch noch miteinander
koalierten.

Man bedenke jedoch, dass wir den Austrofaschismus auch einigen
Verfassungsluecken verdanken, weil sich vorher niemand dafuer interessiert
hat -- ausser einem Beamten, der Dollfuss den Tip gab, diese Luecken zu
nutzen. Eine saubere Verfassung, die formal "wasserdicht" ist, aber auch
gewaehrleistet, dass nicht so einfach eine Realverfassung daruebergelegt
werden kann, waere dringend notwendig. Aber solange ein derartiges
Desinteresse selbst in einer politisch interessierten Oeffentlichkeit
vorherrscht, werden auch die derzeit im stillen Kammerl gefuehrten
Verhandlungen zu einer neuen Bundesverfassung wieder nur eine
"oesterreichische Loesung" werden. Da darf man sich dann nicht wundern...
Bernhard Redl
< zurück   weiter >