Ecuadors Präsident Rafael Correa ist populär, regiert aber gegen ein oppositionelles Parlament. Seine ehrgeizigen Reformpläne will er durch eine neue Verfassung verwirklichen. Am 30. September wird die Verfassunggebende Versammlung gewählt.
Quito, die Hauptstadt des kleinsten Andenstaates Ecuador, wirkt dieser Tage noch bunter und chaotischer als sonst: wenige Tage vor der Wahl zur verfassunggebenden Versammlung bieten sämtliche Listen und KandidatInnen noch einmal alles auf, um auf sich aufmerksam zu machen und von ihren guten Absichten zu überzeugen. Autokarawanen mit Fahnen und Sprechchören verstopfen die Stadt, Flugblätter und Plakate überschwemmen die Strassen. Und KandidatInnen gibt es genug: insgesamt 3229 EcuadorianerInnen sind beim Obersten Wahlgericht registriert, um bei der Wahl am 30. September ins Rennen zu gehen. Von den 130 zu vergebenden Mandaten werden nur 24 über die Listen auf nationaler Ebene besetzt. Der Rest der Sitze wird anteilsmäßig unter den insgesamt 22 Provinzen aufgeteilt. Sechs Sitze sind für die AuslandsecuadorianerInnen reserviert, die über die Botschaften abstimmen können. Die Wirtschaftskrise der letzten Jahre hat rund zwei Millionen der ingesamt etwa 13 Millionen EcuadorianerInnen nach Europa und in die USA getrieben.
Das Projekt, eine neue Verfassung für das krisengebeutelte Land erarbeiten zu lassen, war eines der zentralen Wahlversprechen des seit Jänner 2007 amtierenden Präsidenten Rafael Correa, dem eine ideologische Nähe zur bolivarischen Revolution von Hugo Chávez nachgesagt wird. Über die tatsächliche Funktion der Versammlung und ihre Befugnisse herrscht allerdings noch Unklarheit: während bei der letzten verfassunggebenden Versammlung, die 1997/98 tagte, nur eine umfassende Reform der bestehenden Magna Carta ausgearbeitet wurde, verspricht Correas Alianza País (etwa: „Allianz für das Land“) im Wahlkampf eine „demokratische Neugründung“ Ecuadors. Dafür wäre jedoch eine Art „Superparlament“ nötig, das mit umfassenden legislativen und exekutiven Kompetenzen ausgestattet sein müsste, eine Vorstellung, die der Oberste Wahlgerichtshof Ecuadors bereits im Vorfeld der Wahl als „verfassungswidrig“ bezeichnet hat. De facto werden die tatsächlichen Befugnisse und auch die Grenzen der Constituyente wohl erst die durch die Wahl festgelegten Kräfteverhältnisse bestimmen, da demokratisch institutionalisierte Kontrollmechanismen nur schwach ausgeprägt sind.
Die HerausforderInnen Correas rekrutieren sich hauptsächlich aus der ecuadorianischen Wirtschaftselite, wie etwa Alvaro Noboa, der milliardenschwere„Bananenkönig“ und mehrmals gescheiterte Präsidentschaftskandidat, der nichts unversucht lässt, um das Schreckgespenst eines autoritären Regimes an die Wand zu malen. Die Diffamierungskampagnen der Opposition kann der Präsident jedoch relativ gelassen nehmen, denn schenkt man den Umfragen Glauben, bewegen sich seine Popularitätswerte trotz Einbußen in den letzten Wochen und Monaten nach wie vor bei knapp 60%.
Der Ökonom Correa und Alianza País werden in der breiten Masse der ecuadorianischen Bevölkerung, vor allem in den sozial benachteiligsten Schichten und der durch die Krise der letzten Jahre verarmten Mittelschicht, als die vielleicht letzte integre Alternative zu den traditionellen Parteien gesehen. Diese haben durch massive Korruption und ihre Unfähigkeit, der tiefen sozialen und wirtschaftlichen Instabilität des Landes entgegenzusteuern, jegliche Glaubwürdigkeit verloren. Deshalb gilt er vielen EcuadorianerInnen als eine Art „letzte Chance“: seit zehn Jahren konnte kein einziger gewählter Präsident seine Amtszeit regulär beenden, seit 1996 wechselten sich acht Staatsoberhäupter und eine wenige Stunden dauernde Regierungsjunta in der Exekutive der präsidialen Republik Ecuador ab. Wenn nun auch Correa scheitert, meinen viele, sei ein Ende der Krise wohl für längere Zeit nicht abzusehen.
Correa wiederum hat seinen Verbleib im Amt von der Zustimmung der Bevölkerung zu seinem politischen Projekt abhängig gemacht: nur wenn seine Liste Alianza Pais eine ausreichende Mehrheit in der verfassunggebenden Versammlung erhält, sieht er sich in der Lage, sein dezidiert linksgerichtetes Regierungsprogramm und die dringend benötigten strukturellen Veränderungen fortzusetzen. Dazu zählen der Kampf gegen die Armut und die grassierende Korruption, die Revision der Auslandsverschuldung, deren Tilgung zugunsten von Bildungs- und Sozialwesen weniger Platz im Staatshaushalt einnehmen soll, sowie die verstärkte Integration der lateinamerikanischen Staaten abseits der US-amerikanischen Freihandelsbemühungen.
Die vom Präsidenten propagierte revolución ciudadana, die Bürgerrevolution, soll zudem eine stärkere Demokratisierung der von den Eliten dominierten staatlichen Institutionen mit sich bringen. Für die Erreichung dieser Ziele greift der energische Correa gerne auch zu radikaler Rhetorik. Sein Vorschlag, dass die verfassunggebende Versammlung die Auflösung des Parlaments beschließen sollte, sorgte international für Aufsehen und Besorgnis. Ist Ecuadors Demokratie in Gefahr? Diese Frage quittieren viele EcuadorianerInnen, wenn sie nicht gerade zu den knapp 10% Superreichen und Privilegierten des Landes zählen, mit einem Achselzucken. Die Frage müsste wohl anders lauten: Welche „Demokratie“ ist in Gefahr? Stimmenkauf und Korruption im Parlament haben das Vertrauen in diese Institution derart ausgehöhlt, dass bei den letzten Wahlen genau genommen keine der Parteien eine Mehrheit erringen konnte, sondern die ungültig abgegebenen Stimmen den ungekrönten „Wahlsieger“ stellten.
Als signifikantes Beispiel sei die Provinz Pichincha, in der auch die Hauptstadt Quito liegt, genannt: bei den Parlamentswahlen im Oktober 2006 waren hier von 1,3 Mio. abgegebenen Stimmen rund 66% ungültig, während die stimmenstärkste Partei nur knapp mehr als 10% der abgegebenen Stimmen auf sich vereinen konnte. Laut Wahltribunal fiel diese Ablehnung der zur Wahl stehenden Listen in den übrigen Provinzen tendenziell ähnlich deutlich aus.
Um sich von der korrupten Praxis des Parlaments zu distanzieren, hatte Correas Alianza País keine KandidatInnen zur Wahl gestellt, wodurch sich die Allianz im Gegensatz zu den kompromittierten, im Parlament vertretenen Parteien ein sauberes Image wahren konnte. Der Preis ist, daß Correa seit seinem Amtsantritt im Jänner de facto gegen eine rechtsgerichtete Mehrheit im Parlament regiert. Angeführt wird diese von der neoliberalen PRIAN (Partido de Renovación Institucional Acción Nacional) des „Bananenkönigs“ Noboa. Die dadurch entstandene Blockade seines politischen Projekts hofft Correa nun durch ein klares Votum zugunsten seiner Liste zu überwinden.
Ob es ihm gelingt, das Land nach langen Jahren der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Krise aus der Instabilität zu führen, hängt zunächst vom Ausgang der Wahlen am Sonntag ab. Auf dem Spiel steht nichts weniger als die Zukunft des Landes – dementsprechend wird das Ergebnis mit großer Spannung erwartet, nicht nur in Ecuador. |