Samstag, 24. Januar 2009
 
Nicaragua: Hungerstreik gegen Parteiauflösung PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Ralf Leonhard   
Freitag, 20. Juni 2008

Wenn die Institutionen versagen, muss man den Protest auf die Straße tragen. Mit einem Demonstrationsmarsch, der für Freitag in Nicaraguas Hauptstadt Managua zusammengetrommelt wurde, will die Sandinistische Erneuerungsbewegung (MRS) sich gegen ihre Auflösung zur Wehr setzen.

Dora María Téllez, die prominenteste Anführerin der sandinistischen Dissidentenpartei, versuchte Anfang des Monats mit einem fast zweiwöchigen Hungerstreik auf ein Manöver, das sie als Willkürakt und politische Schikane sieht, aufmerksam zu machen.

Foto: R. Leonhard

Dora María Téllez hat das Lachen nicht verlernt

Vor einem zentralen Einkaufszentrum in Managua errichtete das MRS ein Zelt, wo die ehemalige Guerillakommandantin und Gesundheitsministerin ihr Lager aufschlug, um durch öffentliches Hungern zu protestieren. Der Zentrale Wahlrat hatte ihrer Partei „wegen Selbstauflösung“ die Registrierung entzogen. Von Selbstauflösung zu sprechen, sei ein Hohn, versichern Parteigranden. Das MRS habe mehr als 10.000 Mitglieder und erhalte landesweit stetigen Zulauf. Auch für die Kommunalwahlen im Herbst habe man alle Voraussetzungen erfüllt und Kandidaten in 92 Prozent der Gemeinden aufgestellt. Mindestens 80 Prozent verlangt das Gesetz. Auch der Vorwurf, eine am Parteitag im Februar 2007 beschlossene Statutenänderung sei nicht rechtzeitig notifiziert worden, könne durch Dokumente widerlegt werden, versichert man im MRS. Außerdem sei das kein Auflösungsgrund. Dora María Téllez vermutet daher eine politische Intrige.


Am 26. Mai hatte der Zentrale Wahlrat auch schon der Konservativen Partei und den Regionalparteien PAMUC und PIM von der multiethnischen Atlantikküste die Rechtspersönlichkeit entzogen. Sie hätten nicht ausreichend Kandidaten für die Kommunalwahlen präsentiert.


Die Staatsgewalten und wichtigsten Institutionen wurden vor bald zehn Jahren vom damaligen Präsidenten Arnoldo Alemán und dem jetzigen Staatschef Daniel Ortega in einem umstrittenen Kuhhandel zwischen Liberalen und Sandinisten aufgeteilt. Alle anderen politischen Kräfte versuchten die beiden Caudillos mit ihrem Pakt an den Rand zu drängen. Immer wieder hört man Klagen, dass die Justiz offenbar aus heiterem Himmel gegen unliebsame Personen Ermittlungen aufnimmt. Und auch das Vorgehen des Wahlrates, der vor wenigen Monaten noch bestätigt hatte, dass beim MRS alles in Ordnung sei, ist nur durch einen Befehl aus dem Präsidentenpalast zu erklären. Daniel Ortega und seine Frau Rosario Murillo regieren zunehmend autoritär.


Das MRS wurde 1995 als Abspaltung von der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) vom ehemaligen Vizepräsidenten Sergio Ramírez und weiteren wichtigen Parteifunktionären gegründet. Anlass war die mangelnde Reformbereitschaft der Parteispitze unter Daniel Ortega. Die meisten Künstler und Intellektuellen kehrten damals ihrer Partei den Rücken. Das MRS konnte sich aber nie zu einer Massenpartei entwickeln. Sein Kandidat Herty Lewites, dem die Umfragen gute Chancen bescheinigten, die Wahlen 2006 zu gewinnen, starb mitten im Wahlkampf. Sein kurzfristig aufgebauter Nachfolger Edmundo Jarquín erreichte nur 6,3 Prozent. In der Nationalversammlung besetzt das MRS gerade drei von 92 Sitzen.


Das MRS betrachtet sich als die einzige linke Kraft im Parlament. Gesellschaftspolitisch ist es liberal. So hat es sich als einzige Partei gegen die Abschaffung der Indikationenlösung zugunsten eines totalen Abtreibungsverbots stark gemacht. Dora María Téllez selbst ist eine Ikone, die im August 1978 führend am Sturm auf den Nationalpalast beteiligt war. Die Geiselnahme eines kleinen sandinistischen Kommandos hatte das Ende der Somoza- Familiendiktatur eingeläutet.


In den sandinistisch dominierten Medien wurde der Hungerstreik der 52jährigen Dora María Téllez und ihres Parteigenossen Róger Arias als Manöver der Rechten dargestellt. Tatsächlich erfuhr die Aktion Unterstützung der Liberalen Allianz. Allerdings solidarisierte sich auch die in der mehr als 600 Organisationen umfassenden Coordinadora Civil zusammengeschlossene Zivilgesellschaft. Und eine Gruppe von Schriftstellern und Intellektuellen, die die Sandinistische Revolution unterstützt hatten, richtete einen offenen Brief an Regierung und Wahlrat: „Was Dora María bewogen hat, neuerlich Leben und Gesundheit aufs Spiel zu setzen, ist eine klare Forderung: Die politischen Freiräume dürfen nicht geschlossen werden. Es muss einen nationalen Dialog zur Lösung von Lebensmittelkrise und Teuerung geben“. Unter den Unterzeichnern finden sich Noam Chomsky, die Schriftsteller Ariel Dorfman, Salman Rushdie, Eduardo Galeano und Mario Benedetti, der deutsche Verleger Hermann Schulz, Bianca Jagger…

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