Wahlkampf in Graz. In keiner anderen Stadt hat die KPÖ einen vergleichbaren Stimmenanteil. Ein Augenschein erklärt, warum.
Carmen Bliem hat in den letzten Jahren viel Pech gehabt. Die attraktive 41jährige Alleinerzieherin verlor ihren Job als medizinisch-technische Sekretärin bei einem lokalen Betrieb, als dort Personaleinsparungen verordnet wurden. Mit drei Kindern bewohnt sie eine 80 m2-Wohnung im Grazer Bezirk Eggenberg. Dort will sie weg, denn die Stromkosten erscheinen ihr viel zu hoch: „220 Euro muß ich im Monat zahlen. Das bringt mich um“. Sie will eine andere Wohnung zugewiesen bekommen, am besten mit Balkon, denn wo sie jetzt lebt, „bekommt man ja Depressionen“. Ihr durch zahlreiche erfolglose Bewerbungen bereits dünnes Nervenkostüm wird zusätzlich durch Streit mit den Nachbarn überbeansprucht. Nicht nur deren sechs Kinder, sondern auch deren Musik überschreite regelmäßig den für ihre Ohren erträglichen Lärmpegel. Die Lösung ihrer Probleme erwartet sich Frau Bliem von der kommunistischen Stadträtin Elke Kahr. Geduldig sitzt sie im schmucklosen Gang vor Zimmer 236 im 2. Stock des Grazer Rathauses und wartet, dass sie aufgerufen wird.
Bliem ist optimistisch, „weil Frau Kahr nicht nur plappert, sondern was tut“. Das unterscheide sie von Politikern der anderen Parteien: „die haben wirklich nur die große Klappe“. Der Frau konnte geholfen werden. Die Umsiedlung wird wohl ein paar Monate warten müssen, doch zumindest finanziell gibt es Abhilfe. „Sie wußte nichts vom Mieterzuschuß, den es seit 1999 gibt“, berichtet die Stadträtin Kahr nach der Sprechstunde: „Niemand muß mehr als 33 Prozent des Einkommens für Wohnen und Heizung ausgeben“. Das hat die KPÖ seinerzeit durchgesetzt. Foto: Ralf Leonhard Nirgendwo in Österreich ist die KPÖ stärker und populärer, als in Graz, Österreichs zweitgrößter Stadt mit rund einer Viertelmillion Einwohner. Bei den Gemeinderatswahlen vor fünf Jahren erzielte sie mit 20,7 Prozent ein historisches Rekordergebnis. Daß dieser Wert bei den Wahlen am Sonntag gehalten werden kann, erwartet nicht einmal Ernest Kaltenegger, der die Partei groß gemacht hat und seit bald drei Jahren sogar in der Landesregierung der Steiermark sitzt. Doch den dritten Platz, vor den Grünen und der FPÖ, will man verteidigen. Kalteneggers geräumiges aber schlicht eingerichtetes Büro wird durch einen Philodendron und eine Yucca-Palme heimelig gemacht. Der proletarische Charakter des Funktionärs wird einzig durch eine graue Industrielandschaft mit rauchenden Schloten betont, die hinter dem Schreibtisch hängt - gemalt vom kommunistischen Bürgermeister der Industriestadt Fohnsdorf in den 1930er Jahren.
Kaltenegger erkannte vor mehr als zehn Jahren, dass ein bedeutender Teil der Stadtbevölkerung zu teuer wohnte oder die Heizung nicht bezahlen konnte: „Die Ärmsten heizen oft am teuersten. Denn wenn das Geld nicht mehr für Heizöl oder Brennholz reicht, stecken sie den Radiator an – da kommt die Rechnung erst später“. Er richtete einen Mieternotruf ein und schuf einen Rechtshilfefonds für Spekulantenopfer. Dankbare Wähler honorierten das. So katapultierte sich die Partei im Jahr 1998 aus dem Nichts auf fast acht Prozent und zog in den Stadtsenat ein. Mit einem Amt ausgerüstet, konnte Kaltenegger noch mehr tun und erwarb sich den Ruf eines Mannes, der hält, was er verspricht. Daß der 58Jährige seit Jahren einen Großteil seines Gehalts in einen Sozialfonds einzahlt, macht sein soziales Engagement besonders glaubwürdig. Inzwischen folgen alle Parteigenossinnen und –genossen, die öffentliche Ämter bekleiden, seinem Beispiel.
Der Wahlerfolg 2003, der vor allem Zuwächsen in den bürgerlichen Bezirken zu verdanken war, hat selbst die größten Optimisten in der KPÖ so überrascht, dass gar nicht genug Kandidaten bereit standen, um die Stadtratssitze zu füllen. Man musste sich eine Grüne „ausborgen“. Und auch die Mitgliederzahl wächst, doch mit rund 200 eingetragenen Parteigängern bleiben die Grazer Kommunisten strukturell eine Zwergpartei. Ein Gutteil dieser Mitglieder ist 1934 oder 1945 eingetreten, wie Kaltenegger lächelnd referiert. 1934 wurde vom austrofaschistischen Regime die Sozialdemokratische Partei verboten. Viele deren Anhänger flüchteten in die illegal organisierte KPÖ. Nach dem Krieg waren Teile Österreichs sowjetisch besetzt und die Kommunisten gehörten der ersten Regierung an. Ein Parteibuch erschien damals opportun. Die Parteibasis schwindet daher aus biologischen Gründen. Doch, so Kaltenegger, gebe es seit einigen Jahren mehr Beitritte als Todesfälle.
Zur jungen Generation gehört die 31jährige Kirsten Felbinger, die vor dem KPÖ-Stand an der großen Murbrücke steirische Jonagold-Äpfel mit KPÖ-Aufklebern und Wahlpropaganda verteilt. Die Sonderschullehrerin, die durch Arbeit mit Behinderten sozial sensibilisiert wurde, sieht am ehesten bei der KPÖ „Ansätze, wie sich was zum Positiven verändern kann“. In der kommunalen Arbeit werde eben „ganz konkrete Hilfestellung geleistet“. Während die Politiker anderer Parteien sich nur im Wahlkampf in sozialen Einrichtungen blicken lassen, gehöre das für die Kommunisten zum Alltag. Auch Spitzenkandidatin Elke Kahr macht regelmäßig Hausbesuche in den Gemeindebauten. Dort entdeckt sie immer wieder Menschen, denen mit relativ kleinen Summen aus dem KPÖ-Sozialfonds geholfen werden kann. An die 700.000 Euro konnten bisher ausgezahlt werden. Einmal im Jahr legt die Partei am „Tag der offenen Konten“ Rechenschaft über Eingänge und Auszahlungen. Wenn jemand 200 Euro braucht, um eine Stromabschaltung zu verhindern oder einer Delogierung wegen Mietenrückstands zuvorkommen will, wird schnell und unbürokratisch eingegriffen. Das wird selbst von den Behörden anerkannt. Auch Carmen Bliem hatte sich zuerst an das Sozialamt der Stadt gewandt, das sie dann an die KPÖ-Stadträtin verwies. Eigentlich, so die verzweifelte Arbeitslose, stehe sie den Kommunisten ideologisch nicht nahe: „Aber wenn mir geholfen wird, kriegen sie meine Stimme“.
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