Samstag, 24. Januar 2009
 
Der Minister als Exekutor eines rassistischen Systems PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Michael Pröbsting   
Montag, 8. Oktober 2007

Ein weiterer Kommentar zur Abschiebungsdebatte stellt den Umgang mit Fremden und Asylwerbern aus marxistischer Sicht in den größeren Zusammenhang des kapitalistischen Ausbeutungssystems.

Der Abschiebungsskandal um die Familie Zogaj

Die 15-jährige Schülerin Arigona Zogaj versteckt sich vor den Fängen der österreichischen Fremdenpolizei und droht für den Fall ihrer Abschiebung mit Selbstmord. Ihr Vater und ihre vier Geschwister wurden bereits in den Kosovo abgeschoben, stehen dort vor dem Nichts und flehen, nach Österreich zurückkehren zu dürfen. Innenminister Platter - das Paradebeispiel für einen eiskalten Schreibtischtäter - reagiert auf die verzweifelte Videobotschaft von Arigona mit den Worten "der Staat darf nicht erpreßbar sein". Konsequenterweise hetzt er die Polizei auf die Schülerin, um ihr Versteck zu finden und sie aus ihrer neuen Heimat zu verjagen.

Warum wird Arigona vom Staat gejagt, warum will die Regierung die Familie um jeden Preis in den Kosovo abschieben? Die Zogajs leben seit vielen Jahren in Österreich, arbeiten bzw. gehen hier zur Schule und sind in ihrer Gemeinde Frankenburg beliebt. Der formelle Grund für die Abschiebung ist die Abweisung ihres Asylantrages. Aber warum sind sie überhaupt Asylwerber? Weil das ganze System der Fremdenpolizei zutiefst rassistisch ist und ihr Antrag auf Asyl bisher dreimal im Schnellverfahren abgelehnt wurde. Vielleicht sind die Beamten im Innenministerium ganz besonders außergewöhnliche Faulenzer auf Kosten der Steuerzahler, und wollten zum Mittagessen mit den Anträgen fertig werden. Vielleicht haben sie deswegen die Tatsache ignoriert, daß die Arbeitslosenquote im Kosovo bei über 70% liegt, daß der monatliche Durchschnittsverdienst gerademal 150 Euro umfasst und daß das Haus der Familie Zogaj völlig zerstört ist - und somit keine Zukunft bietet für Arigona und ihre Familie. Auf jeden Fall aber wird bewußt versucht, den vor Kriegswirren und Unterdrückung Entflohenen mittels aller erdenklichen Schikanen bürokratischer Willkür die offizielle Aufenthaltserlaubnis zu verweigern und sie so wieder aus Österreich zu vertreiben. Der Generalsekretär der Caritas, Stefan Wallner, kennt diese Praxis aus langjähriger Erfahrung: "Man hat gehofft, wenn man die Verfahren in die Länge zieht, dann ziehen die Leute weiter." (KURIER, 7.10.2007)

Diese barbarischen Methoden der Verfolgung einer Familie haben breite Empörung unter der Bevölkerung hervorgerufen. Am 6.10. gingen im kleinen Ort Frankenburg in Oberösterreich 1.500 Menschen auf die Straße, darunter viele Jugendliche mit selbstgemachten Transparenten. Trotz jahrelanger rassistischer Hetze gegen MigrantInnen durch Staat und Medien solidarisieren sich viele migrantische und inländische ArbeiterInnen und Jugendliche mit der Familie Zogaj. Die Solidarität ist sogar so weitverbreitet, daß mittlerweile Schmierblätter wie ÖSTERREICH oder gar der ÖVP-Wirtschafsbund auf den fahrenden Zug aufspringen und ein Ende des Dramas fordern.

Hinter der Barbarei steckt System

Doch diese staatliche Barbarei ist kein Einzelfall, sondern hat System. Tatsächlich gibt es hunderte und tausende MigrantInnen und AsylwerberInnen, die von Abschiebung bedroht sind oder bereits abgeschoben wurden. Alleine im Jahr 2006 wurden 4090 Menschen abgeschoben. Momentan gibt es 34.995 laufende Asylverfahren, bei über 6000 Menschen dauern diese schon mehr als 5 Jahre an!

Das System des Fremden- und Asylrechts, der Aufenthaltsgenehmigung und der Abschiebung ist nichts anderes als ein brutaler Knüppel der Herrschenden, um eine ganze gesellschaftliche Schicht - die MigrantInnen - einzuschüchtern und zu unterwerfen.

Das Fremdenrecht ist als unverrückbarer Bestandteil des Rassismus. Um seine gesellschaftliche Funktion zu verstehen, muß man die Ursachen und die Rolle des Rassismus selber betrachten. Das System, dem die staatliche Barbarei der Abschiebung zugrunde liegt, ist der moderne Kapitalismus. Der Kapitalismus in unserer Epoche beruht auf der Zweiteilung der Welt. Einerseits gibt es reiche, die Welt beherrschende und ausbeutende Staaten. Wir MarxistInnen nennen diese Länder imperialistische Staaten. Diese imperialistischen Staaten sind v.a. Die USA, die westeuropäischen Staaten der EU sowie Japan und Rußland. Auf der anderen Seite gibt es die - im Verhältnis zu den imperialistischen Staaten - armen, beherrschten und ausgebeuteten Länder, in denen die 80% der Weltbevölkerung leben (die meisten Länder Asiens, Lateinamerika, Afrika sowie Osteuropa). Diese nennen wir halb-koloniale Staaten - das sind Staaten, die formell zwar politisch eigenständig sind, tatsächlich jedoch von den imperialistischen Ländern abhängig gemacht werden.

Migration und Kapitalismus

Dieses System des Imperialismus bedeutet für die breite Masse der Weltbevölkerung Armut und Elend, Kriege und Umweltkatastrophen (vermehrt auch durch den kapitalistisch verursachten Klimawandel). Deswegen fliehen immer mehr Menschen. Der russische Revolutionär Lenin faßte diesen Sachverhalt treffend mit den Worten zusammen: "Der Kapitalismus hat eine besondere Art der Völkerwanderung entwickelt." (W. I. Lenin: Kapitalismus und Arbeitsimmigration (1913); in: LW 19, S. 447)

Diese ,Völkerwanderung' liegt in der Natur des Kapitalismus: Damit das Kapital sich profitabel verwerten kann, muß es alle und alles in Waren verwandeln und auf den freien Markt der Konkurrenz werfen. Diese Kommodifizierung (Verwandlung in Waren) betrifft nicht nur Güter, Dienstleistungen und Produktionsmittel, sondern auch und insbesondere die Menschen. Seinem Niedergang entgegenblickend saugt das Kapital gierig immer neue Menschenmassen auf, verwandelt sie in Arbeitskräfte und dreht sie durch den Fleischwolf der kapitalistischen Ausbeutung, um so neuen Mehrwert aus ihnen herauspressen zu können. Wie ein schwarzes Loch verschlingt es immer mehr Menschen, ArbeiterInnen und Jugendliche bis es seine Möglichkeiten nach immer mehr Profit aufbraucht und alles mit sich reißend zusammenfällt.

Weltweit gesehen wuchs die Anzahl der ImmigrantInnen von 76 Millionen (1960) auf 175 Millionen (2000) an. Die Migration ist ein spezifisches Phänomen des Monopolkapitalismus, wo ImmigrantInnen als billige Arbeitskräfte in die imperialistischen Metropolen einwandern. Daher konzentrieren sich drei Viertel aller ImmigrantInnen weltweit in nur 28 Ländern.

Tatsächlich fand in den imperialistischen Metropolen seit Beginn der Krisenperiode Anfang der 1970er Jahre ein massiver Anstieg der Immigration statt. So stieg die Zahl der MigrantInnen in den imperialistischen Ländern zwischen 1970 und 2000 von 35.2 Millionen auf 80.8 Millionen. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung verdoppelte sich somit von 4.3% auf 8.3%. Vor allem in die USA sowie Westeuropa strömten viele MigrantInnen. Lebten in den USA im Jahre 1960 noch 9.7 Millionen Immigranten, die 5.2% der Gesamtbevölkerung ausmachten, so stieg dieser Anteil bis ins Jahr 2000 auf 35 Millionen bzw. 12.3% der Gesamtbevölkerung. Ähnlich die Entwicklung in Westeuropa: Machte in Kernländern wie Frankreich, Deutschland, Italien oder Belgien im Jahre 1960 der Anteil der Immigranten an der Gesamtbevölkerung noch 4.6% aus, so stieg dieser Anteil bis ins Jahr 2002 auf ca. 33-35 Millionen MigrantInnen bzw. ca. 9% der Gesamtbevölkerung an. (Siehe Rainer Münz/Heinz Fassmann: Migrants in Europe and their Economic Position: Evidencefrom the European Labour Force Survey and from Other Sources (2004), S. 5f.) Mit anderen Worten: Der Anteil der Immigranten an der Gesamtbevölkerung ist in den USA und Westeuropa um das Doppelte oder noch mehr angewachsen. Insbesondere in den 1990er Jahren - einer Periode der intensiven Globalisierung und somit Verarmung der Masse der Weltbevölkerung - nahm die Migration zu.

Ähnlich die Entwicklung hierzulande. Österreich gehört zu den imperialistischen Ländern mit besonders hohem MigrantInnenanteil. 12,5% alle EinwohnerInnen sind im Ausland geboren, 8,85% haben eine andere Staatsbürgerschaft als die Österreichische. Einen besonders hohen Anteil hat die Hauptstadt Wien, in der sogar 23,6%, also jede/r Vierte im Ausland geboren ist. 16,02% haben keine österreichische Staatsbürgerschaft.

Asylrecht als staatlicher Knüppel

Einerseits also beruht das imperialistische System auf der Teilung der Welt in reiche und arme Länder und die Ausbeutung letztere durch erstere. Um dieses System aufrechtzuerhalten, müssen die staatlichen Grenzen und die Trennung der Bevölkerung in jene, die innerhalb der Metropolen leben dürfen und jene, die draußen bleiben müssen, mit allen Mitteln der staatlichen Repression und der ideologischen Hetze aufrecht erhalten werden.

Andererseits braucht das Kapital eine Schicht von unterbezahlten und oft rechtlosen migrantischen Arbeitskräften, die zu einem Gutteil die unteren Schichten der ArbeiterInnenklasse bilden. Der Rassismus - die systematische gesellschaftliche Diskriminierung der MigrantInnen - dient somit als wesentliches Mittel zur Aufrechterhaltung der weltweiten kapitalistischen Ordnung, sozusagen als Schmieröl für die Akkumulation des Kapitals.

Die Schaffung einer Schicht von völlig rechtlosen AsylwerberInnen dient in diesem Zusammenhang als wichtiges Drohmittel der Herrschenden. MigrantInnen ohne Staatsbürgerschaft - also ausländische Staatsbürger - können somit in ihrer Existenz bedroht und leichter gefügig gemacht werden, sich den Unternehmern als billige Arbeitskräfte anzubieten. Das System des Fremdenrechts mit der Gefahr der Abschiebung für MigrantInnen ohne Staatsbürgerschaft ist also ein wichtiger Knüppel zur Einschüchterung.

Beschämende Rolle der sozialdemokratischen Bürokratie

Verschiedene SPÖ-PolitikerInnen machen sich jetzt für eine "menschliche Lösung" stark. Die sozialdemokratische Nationalratspräsidentin Barbara Prammer nahm sogar an der Demonstration in Frankenburg teil. Doch die Haltung der SPÖ-BürokratInnen ist durch und durch zynisch. Das neue Fremdenrecht, auf dessen Basis jetzt diese Abschiebungen erfolgen, wurde von der schwarz-blauen Regierung und mit den Stimmen der SPÖ (inkl. Frau Prammer) beschlossen! Was für eine Heuchelei, wenn diese Damen und Herren mit ihren gutdotierten Posten sich nun plötzlich entsetzt zeigen über die Folgen ihrer Beschlüsse! Wußten sie bislang nichts von den tausenden brutalen Abschiebungen pro Jahr? Merken sie erst jetzt, nachdem die ganze Bevölkerung hellhörig wurde und die Medien es aufgriffen, daß sie für eine barbarische Abschiebepolitik verantwortlich sind?

Nicht minder erbärmlich die Haltung der sozialdemokratischen Gewerkschaftsspitze. Natürlich haben auch diese Leute die Richtung, aus der der Wind momentan bläst, erkannt und drücken ihr Mitgefühl für die Familie Zogaj aus. Dabei bleibt es aber auch. Anstatt das ganze System der Abschiebungen und des (mit SPÖ-Unterstützung angenommenen) Fremdensrechts von 2005 abzulehnen, ringt sich die ÖGB-Spitze gerade mal dazu durch: "Wir fordern, dass von Abschiebung bedrohte AsylwerberInnen ein Antragsrecht auf Erteilung humanitärer Aufenthaltstitel bekommen. Entscheidungen darüber sollen auf die Landesebene verlagert werden." ("Unmenschliche Abschiebung: ÖGB fordert Entscheidung über humanitäre Aufenthaltstitel auf Landesebene", 01.10.2007)

Ansonsten herrscht im ÖGB die klassische Beamtenmentalität, auf die sich die herrschende Klasse schon so oft verlassen konnte. "Gesetze müssen eingehalten werden." sagt ÖGB-MigrantInnen-Sprecherin Ana Martincevic. Genau, Gesetze müssen eingehalten werden, auch wenn sie noch so reaktionär und unmenschlich sind. Deswegen streikt der ÖGB nicht, wenn es nicht erlaubt ist, deswegen verteidigt der ÖGB keine Flüchtlinge, wenn es nicht erlaubt ist. Nein, Gesetze müssen gebrochen werden, wenn sie den grundlegenden Rechten auf ein anständiges Leben widersprechen! Und die Gewerkschaften müssen endlich gesäubert werden von den bürokratischen Duckmäusern an ihrer Spitze und unter die Kontrolle der einfachen ArbeiterInnen an der Basis gestellt werden.

Auch bei dieser Heuchelei der SPÖ trägt ihre Jugendorganisation, die Sozialistische Jugend, die Last der Partei auf ihren Schultern. In diesem Zusammenhang zeigt sich nämlich einmal mehr, wie inkonsequent die Sozialistische Jugend ist, wenn sie noch immer für die SPÖ arbeitet und Wahlkampf betreibt und wenn ihre Spitzenfunktionäre noch immer Parteifunktionen ausüben. Als breite Jugendorganisation sollte diese auch die Interessen und Anliegen der Jugendlichen vertreten und durch aktiven Widerstand gegen die Unterdrücker auffallen, nicht durch Illusionen in diese. Es ist höchste Zeit, daß die SJ endlich über das vorsichtige Kritisieren einzelner Beschlüsse der SPÖ hinausgeht, sich vom finanziellen Futtertrog der Partei trennt und mit der SPÖ bricht, um eine eigenständige Jugendbewegung aufzubauen, die eine wirklich sozialistische Politik betreibt. Es gibt hunderttausende von Jugendlichen, die wie Arigona mit Rassismus und Kapitalismus konfrontiert werden - nur eine demokratische, unabhängige Jugendbewegung die solche Jugendlichen umfasst, kann den Ausweg aus diesem System zusammen mit dem Widerstand aller Unterdrückten, mit migrantischen und inländischen ArbeiterInnen, erkämpfen.

Schlußfolgerungen

Das Drama um die Familie Zogaj zeigt einmal mehr die Notwendigkeit einer konsequenten antirassistischen Politik. Wir brauchen breite Mobilisierungen von ArbeiterInnen, Jugendlichen und MigrantInnen auf der Straße, um einen Druck gegen die rassistische Abschiebepolitik ausüben zu können. Wir brauchen antirassistische Aktionskomitees in Betrieben, Schulen und Stadtteilen. Wir brauchen eine organisierte Solidaritätsbewegung, die betroffene AsylweberInnen unterstützt und sie notfalls auch gegen drohende Abschiebungen verteidigt und vor der Polizei versteckt.

Der Kampf gegen den Rassismus kann sich natürlich nicht nur gegen die brutale Abschiebepolitik richten. In Wirklichkeit ist diese nur Bestandteil der systematischen Unterdrückung von MigrantInnen als billige Arbeitskräfte und Menschen 2. Klasse. Gerade in den letzten Monaten haben wir anhand der Kampagne gegen Moscheen und Muslime, wie auch allgemein gegen MigrantInnen aus dem orientalischen Raum gesehen, daß der Rassismus ein grundlegender Bestandteil der Politik der herrschenden Klasse darstellt.

Deswegen bedarf es einer revolutionären Perspektive, die alle Formen des Rassismus bekämpft - und nicht nur einzelne Auswüchse - und die dies mit dem Kampf gegen das kapitalistische System und für eine sozialistische Revolution verbindet. In diesem Sinne bauen wir eine Partei der sozialistischen Revolution als Teil der 5. Internationale auf.

Der ArbeiterInnenstandpunkt fordert:

* Bleiberecht für die Familie Zogaj und alle Asylwerber!

* Breite Mobilisierungen auf der Straße! Aufbau einer Solidaritätsbewegung, die Flüchtlinge vor der Polizei versteckt!

* Kampf dem Rassismus! Für den Aufbau einer gemeinsamen migrantischen und inländischen ArbeiterInnen- und Jugendbewegung! Für die sozialistische Revolution!

www.arbeiterinnenstandpunkt.net


Zum ÖGB:
www.oegb.at/servlet/ContentServer?pagename=OEGBZ/Page/OEGBZ_Index&n=OEGBZ_oh_1.a&cid=1190322133248

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