Samstag, 24. Januar 2009
 
Zur Reform der Arbeitszeit PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Eva Kumar   
Samstag, 28. Juli 2007

Die Autorin der folgenden Analyse kann dem Ministerratsbeschluss vom 30. Mai 2007 zur Neuregelung der Arbeitszeit, der am 1.1.2008 in Kraft treten soll, auch positive Aspekte abgewinnen.

Das Papier enthält als wichtigste Punkte:

* Bis zu 24 Wochen im Jahr ist es möglich, die Gesamtarbeitszeit täglich auf bis zu 12 Stunden zu erhöhen, d.h. es können neben der wie bisher üblichen Normalarbeitszeit von 8 Stunden bis zu 4 Überstunden geleistet werden.

* Durch Vereinbarung ist eine Erhöhung der Normarbeitszeit auf 10 Stunden täglich – aber nur in gegenseitigem Einverständnis, an 4 Tagen pro Woche, oder zur Einarbeitung von Fenstertagen oder sonst im Zuge der Gleitzeitvereinbarungen  – möglich.

* In Firmen, wo es keinen Betriebsrat (BR) gibt, sind Einzelvereinbarungen erforderlich.

* 25% Mehrarbeitszuschlag für Teilzeitbeschäftigte, falls Mehrarbeit nicht innerhalb eines Quartals ausgeglichen wird.

Die Regelung kann wohl dazu verwendet werden, die vollbeschäftigte Stammbelegschaft eines Betriebes ausbeutbarer zu machen und sie mehr in sozialer und gesundheitlicher Hinsicht zu belasten.

Sie ermöglicht Unternehmen, ein halbes Jahr lang Arbeitszeit hinaufzusetzen und verabschiedet die alte gewerkschaftliche Forderung: 8 Stunden Arbeit, 8 Stunden Freizeit, 8 Stunden Schlaf. Sie erhöht theoretisch den Druck auf Beschäftigte, der Forderung nach Mehrarbeit nachzugeben – aus Angst um den Arbeitsplatz.

Gleitzeitregelungen müssen nach wie vor durch Betriebsvereinbarung geregelt werden, außer es ist kein Betriebsrat  vorhanden – dann gelten Einzelvereinbarungen. Nach geltendem Recht ist die Normalarbeitszeit im Rahmen derartiger Regelungen grundsätzlich mit 9 Stunden pro Tag limitiert. Der Kollektivvertrag kann 10 Stunden pro Tag zulassen. In Zukunft soll das auch durch Betriebsvereinbarung geregelt werden können und – falls kein BR vorhanden ist – durch Einzelvereinbarung.

Vorteile für Unternehmer oder Kontrolle von Willkür?

Ich kann hier nicht erkennen, wie der BR durch die Möglichkeit, Einzelvereinbarungen zu treffen, hinausgedrängt oder erpresst werden soll – wie es von Kritikern der Vereinbarung befürchtet wird. Meiner Meinung nach sagt der Text der AK klar, dass es eine Sache ist, die der BR regeln kann, im Falle des Fehlens eines BR muss es Einzelvereinbarungen geben.
 
Vorstellbar wären Situationen, wo es einen schwachen gespaltenen BR gibt, der zu keiner Einigung kommen kann und der durch Einzelvereinbarungen noch zahnloser wird – wobei die Frage ist, ob Einzelvereinbarungen bei einem ohnehin vorhandenen BR möglich sind. Aber das Vorhandensein von geschwächten, gekauften und gegeneinander arbeitenden Betriebsräten ist ein strukturelles Problem, das jedenfalls nicht per Gesetz lösbar ist.

Durch die möglichen langen Arbeitszeiten werde der Lebensrealität von vor allem Frauen mit Familie oder Alleinerzieherinnen nicht Rechnung getragen. Die Zuschläge für die Mehrarbeit von Teilzeitbeschäftigten seien zu niedrig, um als Anreiz zu dienen, Vollzeitbeschäftigung zu fördern. Alles in allem bringe das Paket keinen Fortschritt in Bezug auf gerechtere Verteilung von Arbeit, Erhöhung von Lebensqualität durch Arbeitszeit-
verkürzung und schaffe Möglichkeiten für weitere Arbeitszeitverlängerung in der Zukunft – vor allem zum Vorteil der Betriebe.

Andererseits sehe ich in diesem Paket einen Versuch, bestehende Verhältnisse besser zu regeln und ein paar Dinge besser unter Kontrolle zu bringen.

Tatsache ist, dass in vielen Betrieben – und nicht nur in obskuren multinationalen Firmen, die am liebsten im gesetzesfreiem Raum agieren und, wenn es irgendwie geht, Arbeitssklaven zu Hungerlöhnen beschäftigen, sondern in nächster Nähe, in seriösen, auch sozialdemokratisch geführten Institutionen – eine wilde und vollkommen anarchische Praxis besteht, Arbeitnehmer willkürlich zu jeder Tages- und Nachtzeit mit geringstmöglicher Entlohnung einzusetzen; diejenigen, die jederzeit verfügbar sind, gegen die anderen, die ihre Rechte gewahrt haben wollen, auszuspielen; prinzipiell Arbeitsplätze zu teilen und die Teilzeitbeschäftigten doppelt und dreifach zu belasten. Das geschieht vor allem im sozialen Bereich, wenn eine Ablehnung der Forderungen bedeuten würde, dass Patienten, Klienten, Kinder völlig unversorgt bleiben würden u.v.m. Ich sehe hier also den Versuch, eine – an manchen Stellen – völlig aus den Fugen geratene Praxis, die mittlerweile für viele zur Normalität geworden ist, zumindest etwas unter Kontrolle zu bringen und zu regeln.

Wobei es nicht viel Sinn macht, rigide Gesetze zu verabschieden, die wiederum unterlaufen und nicht befolgt werden, weil keiner sie durchsetzen kann. Es geht ja mittlerweile schon darum, zu beginnen, eine wildgewordene Praxis moderat zu regulieren, so dass nicht die Gefahr besteht, dass die Gesetze zahnlos bleiben, weil niemand den Atem hat, sie durchzusetzen. Oder die Firmen einfach das Weite suchen, eine Stunde von Wien entfernt paradiesische Zustände im Nachbarland vorfinden.

Das Paket enthält einige Punkte, die für den normalen seriösen  Betrieb, der sich an Gesetze hält und einsieht, dass es für den Betrieb förderlicher ist, Menschen ihre Lebensqualität zuzugestehen, überhaupt nicht zum Tragen kommen, da sich solche Betriebe sowieso an die Grundforderungen halten, ihre Leute nicht bis zum Letzten auszuquetschen. Der normale seriöse Arbeitgeber hat nun legal einen kleinen Spielraum, wenn Termine anstehen oder Personalengpässe da sind, befristet und in Absprache und mit adäquaten Gegenleistungen, etwas flexibler zu handeln.

Gesetze ersetzen Wachsamkeit nicht

Der – leider oft im Bereich der ausgelagerten privatisierten früheren Staats- und Gemeinde-Betriebe vorzufindende – auf der Personalseite wild sparende und mit Dienstleistungen gern überall hohen Gewinn schöpfende Unternehmertypus allerdings wird ein bisschen auf den Boden gebracht und in seiner unendlichen Handlungsfreiheit nun etwas eingeschränkt. Nicht allzu sehr – die Auflagen sind nicht so unerfüllbar, dass man unbedingt Personal hinauswerfen müsste, um sich nach willigen Sklaven umzusehen – aber doch so viel, um auf beiden Seiten etwas Bewusstsein für die Lage zu schaffen.

Immerhin wird so etwas Selbstverständliches verlangt wie Arbeitszeitaufzeichnungen, und die gängige Praxis der undurchsichtigen Arbeitszeitverwaltung wird nun mit Kontrollen und spürbar höheren Strafen als vorher verfolgt. Die Praxis der Teilung von Arbeitsplätzen in mehrere und intensiver ausgelastete Teilzeitarbeitsplätze verteuert sich etwas, in der Masse doch spürbar, und bietet den Betroffenen eine wenn auch geringe Entschädigung und – nicht zu verachten – auch ein Bewusstsein dafür, dass sie nicht ständig erpressbar sind, und Anreiz, weil ihre Arbeit etwas wert ist.

Die Tatsache, dass die Dinge in Betrieben ohne BR mit Einzelvereinbarungen geregelt werden müssen, bedeutet auch, dass überhaupt Vereinbarungen getroffen werden und nicht einfach willkürlich je nach Bedarf darauf los verlangt und gefordert werden kann.

Dies alles sind zugegeben ganz kleine Dinge in Bezug auf den globalisierten und entfesselten Markt, aber im Hinblick auf die z.T. unerträgliche, jenseits aller Gesetze betriebene Praxis doch ganz beachtliche Erfolge, denn niemand, egal welche Interessen er verfolgt, kann bestreiten, dass die Forderungen erfüllbar und angemessen sind.

Ich habe noch die in Staatsbetrieben früher übliche Personalvertretungspraxis erlebt, die darin bestand, Forderungen von Frauen nach mehr Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung mit dem Hinweis abzulehnen, dass man zur Vollbeschäftigung verpflichtet sei, sich mit der Forderung nach Teizeitbeschäftigung nicht nur ins eigene Fleisch schneide, sondern quasi ins Fleisch der Gewerkschaft und ihrer väterlichen Obhut und damit die Erfolge in der Geschichte der Arbeiterbewegung verleugne.

Etwas Realitätsnähe in jeder Hinsicht – auch in der, dass nicht gegen jeden Missbrauch und jede Eskalation abgesichert werden kann – ist ganz gut. Das Gesetz erlaubt jetzt mehr Spielraum, erfordert aber auch mehr Information aller Betroffenen und mehr Bereitschaft zur Eigenverantwortung und zum Handeln, wenn etwas nicht stimmt. Als ArbeitnehmerIn sich einfach drauf zu verlassen, dass schon alles gut läuft und im Zweifelsfall die Verantwortung an den BR zu delegieren, der dann seine Strategien des Schutzes und der Obhut schon ausüben wird, das ist in der alten vertrauten Form so nicht mehr möglich.

Die wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse haben sich grundlegend geändert und die traditionellen Formen der Gewerkschafts- und Betriebsratsarbeit müssen sich den Gegebenheiten anpassen und neue Formen finden, oder sie verlieren jede Relevanz und werden vollkommen ausgegrenzt.

Jetzt kann jeder Betrieb mit Auslagerung, Kündigung, Gehaltskürzung drohen und damit alles erreichen. Die Kräfteverhältnisse sind durch EU und Globalisierung ungleicher, asymmetrischer geworden. Nicht mehr gleichberechtigte Partner mit vorwiegend gemeinsamen Interessen stehen sich gegenüber, sondern äußerst ungleiche Partner, von denen der eine sehr erpressbar ist und der andere kaum Zugeständnisse machen muss.

Arbeitsgesetze und Vereinbarungen bilden die Grundlage der Betriebsratsarbeit, aber genauso wichtig sind Strategien der Durchsetzung geworden. Es ist erforderlich, schnell und wendig, spontan, wachsam und ständig auf dem laufenden zu sein. Das ist nicht möglich, wenn man sich ausschließlich auf starre Formen wie regelmäßige Sitzungen und Versammlungen beschränkt. Der Betriebsrat muss mit seinen Ersatzbetriebsräten und alle mit den KollegInnen ständig in Beziehung bleiben, informelle Netzwerke bilden. Um schnell und effektiv auftreten zu können, ist es notwendig, ständig Informationen zu verarbeiten und zu integrieren und zwar nach allen Richtungen.

Voraussetzung wäre allerdings ein gemeinsames Handeln des Betriebsrates und das Bewusstsein der gemeinsamen Interessen. Wenn ein Teil des BR gekauft und abgespalten wird, dann wird effektives Handeln noch schwieriger.

Ausführliche Information der Arbeiterkammer mit Für und Wider zu allen Punkten: http://wien.arbeiterkammer.at/pictures/d55/Reform_der_Arbeitszeit.pdf

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