Samstag, 24. Januar 2009
 
Ecuador: Radikalität und Realismus PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Jonas Henze   
Dienstag, 27. Februar 2007

Während sich anderswo in Lateinamerika die Hoffnung in eine gerechtere Politik von Linksregierungen langsam enttäuscht oder sich anfängliche Radikalität in "realistische Politik" verwandelt hat, steht Ecuadors Regierung erst am Anfang: So wären Radikalität und Zähmung die zwei unwahrscheinlichen Extrementwicklungen einer Politik, die die neue ecuadorianische Regierung des Präsidenten Rafael Correa vom Weg anderer lateinamerikanischer Linksregierungen unterscheiden könnte.

Der neue Präsident erklärte nach seinem Amtsantritt am 15. Jänner 2007, man werde die Politik der neuen Regierung an fünf schon zuvor angekündigten programmatischen Achsen orientieren. Erstes und innenpolitisch wichtigstes Projekt werde die verfassunggebende Versammlung sein. So notwendig wie schwer umsetzbar ist das zweite Anliegen der neuen Regierung: Man hofft auf Erfolge im Kampf gegen die Korruption. Von neuen Prämissen der Politik zeugt auch das nächste Vorhaben, die "Revolution in Bildung und Gesundheit", wie neue und sozialere Schwerpunkte im Bereich von Bildung, Gesundheitsversorgung, Arbeitsmarkt und Migration ein wenig pathetisch angekündigt werden.

Von gleichfalls starker nationaler wie internationaler Bedeutung könnte die sogenannte ökonomische Revolution sein. Correa kündigt auf der einen Seite eine neue Schuldenpolitik und auf der anderen Seite den Versuch einer Veränderung der internationalen Finanzarchitektur an. Ebenfalls von internationaler Relevanz ist das fünfte politische Vorhaben der außenpolitischen Neupositionierung Ecuadors: Die neue Regierung stellt eine aktive Rolle des Andenstaates im Prozess der südamerikanischen Integration in Aussicht.

Staatstrauer nach Hubschrauberunglück
Nachdem gleich zum Amtsantritt das politische Gezerre zwischen neuer Regierung und deren Gegnern begonnen hatte, wurde die Konfrontation Ende Jänner jäh beendet - zumindest vorübergehend: Nach nur zehn Tagen im Amt starb die Verteidigungsministerin Guadalupe Larriva während einer Militärübung bei einem Hubschrauberunglück in der Küstenstadt Manta. Die Vorsitzende der Sozialistischen Partei (PS) war erste Zivilistin und erste Frau an der Spitze des ecuadorianischen Militärs. Auch wenn öffentlich keine Verdächtigungen ausgesprochen wurden, äußerten Anhänger der Verstorbenen Unverständnis darüber, dass im Areal der hochtechnisierten Militärbasis von Manta ein solches Unglück passieren könne. Manta dient den USA zur Überwachung der gesamten Region und der Intervention in den kolumbianischen Konflikt. Die Regierung Correa hat angekündigt, den 2009 auslaufenden Vertrag über die Nutzung der Basis nicht zu verlängern. Correa kündigte die Einrichtung einer internationalen Untersuchungskommission an, die das Unglück aufklären soll.

Führt Konfrontation zu Konsolidierung?
Nach kurzzeitigem Beiseiteschieben der Konflikte brachen diese jedoch nach Ende der Staatstrauer in schon bekannter Intensität wieder aus. Umstrittenstes Projekt ist dabei die verfassunggebende Versammlung. Einen Tag vor Amtsantritt hatte Correa mit Bezug auf die von ihm ausgemachte "partidocracia", die Herrschaft der Parteienklüngel, erklärt: "Sie fühlen sich in die Ecke gedrängt, sie sind erschrocken: Sie wissen, dass die Constituyente kommen wird". Die Konfliktparteien in diesem Streit sind Regierung und Präsident auf der einen und das Parlament auf der anderen Seite: Die gegen Correa gerichtete Parlamentsmehrheit ist der Meinung, dass das Parlament entscheiden müsse, ob es eine verfassunggebende Versammlung geben werde und, wenn ja, mit welchem Statut. Correa wies demgegenüber das Oberste Wahlgericht an, ein Plebiszit anzusetzen, bei dem über eine Constituyente abgestimmt werden soll. Zwar kann sich der neue Präsident sicher sein, dass bei einer solchen Volksabstimmung eine positive Antwort gegeben würde, jedoch gab das in Ecuador nach Parteiproporz besetzte Wahlgericht die Entscheidung über die Einrichtung einer Versammlung und über deren Statut an das Parlament weiter. Die erneut zu beobachtende Polarisierung der politischen Kräfte würde sich bei einer Wahl zur verfassunggebenden Versammlung wohl noch verschärfen. Während konservative mit populistischen Kräften zusammenarbeiten, wird von Tag zu Tag deutlicher, dass eine stärkere Einigkeit der Linken zur Unterstützung der Regierung Correa notwendig sein wird, damit diese erfolgreich sein kann.

Lucio Gutiérrez: Der wiedergekehrte Geist
Einer der wichtigsten Protagonisten der "Anti-Correa-Koralition" ist indessen ein Altbekannter: Der im April 2005 nach Massenprotesten abgesetzte Ex-Präsident Lucio Gutiérrez spielt in der Auseinandersetzung zwischen alten und neuen Kräften eine viel größere Rolle, als noch vor einigen Monaten erwartet wurde. Seine Fraktion im Nationalkongress nutzt Gutiérrez taktisch, um mittelfristig den eigenen Einfluss auszubauen: Er versucht, gleichzeitig politisch mit den konservativen und populistischen Kräften1 gegen Correa zu paktieren, sich jedoch öffentlich das Image des einzig wahren Volksvertreters zu geben. Konkret bedeutet dies eine prinzipielle und lautstarke Unterstützung für das Projekt einer verfassunggebenden Versammlung - aber nur von Gutiérrez' Gnaden und bei gleichzeitiger diffamierender Kritik am neuen Präsidenten Correa. Gerade auch diese Strategie von Gutiérrez scheint anzudeuten, dass es eine verfassunggebende Versammlung geben wird - und dass der Wahlkampf zu dieser Wahl auch für die Gegner Correas schon begonnen hat.2

Vom Versuch realistischer Radikalität
Correa kündigte schon am 26. November 2006, dem Abend der Stichwahl, an, die "Nacht der Neoliberalen" werde nun ein Ende haben: Für dieses Ziel stehen einige ehrgeizige, teilweise radikale Projekte auf der Agenda der neuen Regierung. Gleichwohl ist schon jetzt klar, dass die Regierung das Land keinesfalls per Dekret und über Nacht aus einer schwierigen sozialen und politischen Situation wird führen können. Einerseits zentral für Erfolg oder Misserfolg ist die verfassunggebende Versammlung und - damit einhergehend - die Frage, wie sich das Kräftemessen von Correa und seinen Unterstützern mit der Allianz traditioneller und neopopulistischer Kräfte des konservativen Spektrums entwickeln wird. Andererseits ist bisher offen, ob von Correas Regierungsübernahme mittelfristig eine Wirkung ausgeht, die die Konsolidierung der zersplitterten Linken im Land befördern kann.

1 Dieser Opposition gehören die Christsoziale Partei (PSC), die Christdemokratische Union (UDC) und die PRIAN (Partei des neopopulistischen und millionenschweren dreimaligen Präsidentschaftskandidaten und "ewigen Verlierers" Álvaro Noboa) an.
2 Am 13.2. gab der Kongress grünes Licht für die Anberaumung eines Referendums, in dem die BürgerInnen über die Mitglieder der von der Regierung angestrebten verfassunggebenden Versammlung (Constituyente) entscheiden sollen.

Dieser Beitrag ist in Lateinamerika anders 1/2007 erschienen.

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