Samstag, 24. Januar 2009
 
Spitzel, Spione und Co. – nicht nur bei Attac PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Axel Mayer   
Donnerstag, 19. Juni 2008

Soziale und Umweltbewegungen sind immer häufiger das Ziel von Spitzel-Angriffen.

Freiburg (LiZ). Die jetzt bekannt gewordene Ausspähung von Attac durch den Nestlé- Konzern ist kein Einzelfall. Harte US-amerikanische Methoden halten Einzug bei den großen Umweltkonflikten, insbesondere wenn sie wirtschaftliche Interessen betreffen. Soziale und Umwelt-Bewegungen müssen sich auf Spionage, Greenwash, Akzeptanzforschung und industriegesteuerte Scheininitiativen einstellen. Auch der gezielt geplante "fliegende Wechsel" einzelner Umweltaktivisten von den Umweltverbänden zur Industrie gehört längst zum Geschäft.

  

  * Nestlé soll Attac ausgespäht haben, lauteten die Schlagzeilen am 14. Juni 2008. "Eine Autorengruppe des globalisierungskritischen Netzwerks Attac in der Schweiz hat eine Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Bespitzelung angekündigt", so die Berichte. Die Attac-Gruppe reagierte auf einen im Schweizer TV-Sender TSR ausgestrahlten Beitrag, wonach die Sicherheitsfirma Securitas die Gruppe im Auftrag von Nestlé über ein Jahr lang bespitzelte, während sie an dem Buch "Attac gegen das Imperium Nestlé" arbeitete. Securitas soll eine als Globalisierungskritikerin getarnte Frau in die Gruppe eingeschleust haben.


     * Die kritischen Atom-Internetseiten von www.bund-freiburg.de sind jüngst bei Wikipedia auf der Spamseite gelandet. Das führte dazu, dass diese wichtigen AKW-Seiten auch bei Google ab Mitte Juni 2008 nicht mehr gefunden werden. Es gibt einige Indizien, die auf eine mögliche Unterwanderung des Atombereichs bei Wikipedia schließen lassen: Getarnt als unabhängige Bürgerinitiative, verbreite die industriegesteuerte Schein- Bürgerinitiative "Bürger für Technik" (BfT) Lobeshymnen über die Kernkraft, berichtete die "Zeit" am 17.4.2008. Die Tarnorganisation der Atomlobby bearbeitet natürlich auch Wikipedia: "Zum selben Zweck wird offenbar auch das freie Internetlexikon Wikipedia manipuliert. Mehrmals schon wurden die BfT-Mitglieder aufgefordert, missliebige Beiträge zu bearbeiten. "In der Anfangszeit war da viel ideologisch durchsetzt", zitiert die "Zeit" einen Insider.*)


     * Torsten Kleinz, Autor von Focus-Online berichtete am 15.08.07: "Biblis ist sicher! Einer der aktivsten Autoren im Wikipedia Artikel über das Kernkraftwerk in Biblis ist ein Nutzer mit der IP-Adresse 153.100.131.14. Er schrieb schon im vergangenen Jahr über Radionuklide, die Reaktion der Notstrom- Dieselgeneratoren und setzt im Brustton der Überzeugung den Satz hinzu: 'Das Kraftwerk Biblis ist ein Meilenstein in puncto Sicherheit.' Der anonyme Autor muss es wissen: Seine IP-Adresse gehört dem Biblis-Betreiber RWE."


     * Wie ebenfalls durch Medienberichte bekannt wurde, ließ der Energiekonzern Shell die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) und die Umweltorganisation Greenpeace über die britische Wirtschaftsdetektei Hakluyt durch den deutschen Filmemacher Manfred Schlickenrieder ausspionieren.


     * Ein "Umwelt-Aussteiger", Ex-Greenpeace-Aktivist Bjorn Lomborg wirft den Umweltorganisationen in seinem industriefreundlichen Buch "Apokalypse No" vor, sie schürten unbegründete Umwelt-Ängste. Der sehr medienwirksame Hinweis auf die ehemalige Greenpeace- Mitgliedschaft gehörte zum gezielten Marketing.


     * Im Robin Wood Magazin 1.03 wird über das "Wirken" der Public Relations- Agentur Edelman berichtet, die unter anderem Firmen in massiven Umweltkonflikten berät. Auch diese PR-Agentur hat einen Spezialisten für die so genannte NGO-Kommunikation: Jonathan Wootliff war Kommunikationsexperte bei Greenpeace International, bevor er die Seite wechselte und zu Edelmann kam. Er wurde auf Robin Wood angesetzt, um die Umweltorganisation mit dem Papierkonzern APRIL, der auf Sumatra den letzten Tieflandregenwald zerstört, an einen Tisch zu bringen.


     * Am 13.11.2002 bestätigte sich der Verdacht, den norddeutsche AtomkraftgegnerInnen hegten: An einer Castor- Blockadeaktion bei Lüneburg, hatte ein Spitzel teilgenommen. Durch Recherchen wurde der zirka 35 Jahre alte Mann, der sich zuvor in die Bürgerinitiative eingeschlichen hatte, als BGS-Beamter enttarnt.


     * Das Unterwandern von Umweltgruppen, die sich mit der Wirtschaftslobby anlegen, ist in den USA noch ausgeprägter als in Deutschland. John Stauber and Sheldon Rampton berichten in Ihrem Buch "Lies, damn lies and the public relations industry": "Bud, jener Spion, der ins Jeremy Rifkin-Büro eingeschleust wurde, wurde auf einer Presse-Konferenz der ,Beyond-Beef-Kampagne' ,enttarnt', als ihn ein Journalist mit den Worten: ,Arbeiten Sie immer noch für McDonald's?' begrüßte. Bud antwortete: ,Ich weiß nicht, was Sie meinen. Sie müssen mich verwechseln.' Aber der Journalist bestand darauf. Bud war tatsächlich eingeschleust worden. Sein wirklicher Name ist Seymour D. Vestermark."


     * Die Fachautorin Claudia Peters berichtet von einem Fall, in dem sich Undercover-Agenten in England besonders auffällig verhielten: "McDonald`s trieb diese Methode zur Kabarett-Reife. Anfang der 90er Jahre machte die Gruppe Greenpeace London (nicht zu verwechseln mit der großen Organisation Greenpeace) mit Flugblättern gegen den Fress-Konzern mobil. Zu den Treffen kamen nie mehr als 10 Leute. McDonald’s beauftragte Detektive, die Gruppe auszuspionieren. Nachweislich waren sechs Undercover-Agenten aktiv. Die sechs wussten nichts voneinander und haben sich fleißig gegenseitig bespitzelt. Zutage kam das bei einem Prozess, den Mc Donalds gegen zwei Mitglieder von Greenpeace London
anstrengte. Die Firma blamierte sich dabei bis auf die Knochen."


     * Am 25.4.2004 berichtete das Politikmagazin Monitor über das falsche Spiel der Stromlobby in Sachen Windkraft: "Bürgerinitiativen gegen Windkraftanlagen schießen überall im Bundesgebiet wie Pilze aus dem Boden. Viele dieser Bürgerinitiativen kämpfen nicht allein, sondern werden laut Monitor vertreten von einem Rechtsanwalt namens Thomas Mock. Er taucht überall auf, wo Lobbyarbeit gegen Windkraft gefragt ist. Die Mitglieder der Initiativen sind froh, einen kompetenten und – ihrer Meinung nach – unabhängigen Experten an ihrer Seite zu haben und das zu einem, für einen Rechtsanwalt, unglaublich günstigen Honorar."


     * Was die meisten Bürgerinitiativen, die von Thomas Mock unterstützt werden, aber wohl nicht wissen: Laut Monitor vertritt dieser Mock die Interessen der Aluminiumindustrie. Sein Arbeitgeber ist Hydro Aluminium, der drittgrößte Aluminiumkonzern in Deutschland. Die Herstellung von Aluminium ist ein sehr energieintensiver Prozess. 40 Prozent der anfallenden Kosten sind Stromkosten. Kein Wunder also, dass dieser Industriezweig an niedrigen Strompreisen interessiert ist. Dabei kommt die Windkraft ins Spiel. Sie lässt die Strompreise zwar nur leicht ansteigen, bei einem großen Konzern wie Hydro Aluminium könnte das aber bis zu 10 Millionen Euro mehr in der Stromrechnung ausmachen.


     * Auch der BUND musste den "Verlust" eines Experten beklagen: Jens Katzek wechselte vom BUND zur "KWS Kleinwanzlebener Saatzucht AG". Beim BUND Bundesverband hatte sich der studierte Biochemiker Katzek als Kritiker der Gentechnologie einen Namen gemacht. Bei KWS, einem der größten deutschen Saatguthersteller, ist er für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Das Unternehmen will gentechnisch veränderte Nutzpflanzen vermarkten. Danach war Katzek Geschäftsführer der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie (DIB) in Frankfurt/Main – eine berufliche Veränderung aus Überzeugung? So hätte es die Gen-Lobby gerne und so stellte die Industrie den Seitenwechsel gerne dar. War Katzek bereits gezielt beim BUND eingesetzt und sein späterer Wechsel zur Industrie lange geplant? Ging es bei seinem Seitenwechsel gar nur ums Geld? Fragen, die nur Herr Katzek beantworten kann.


     * Der kritische Journalist Erich Schmidt-Eenboom berichtet im November 2005 in der Tagesschau, wie er bespitzelt wurde: "Ausgangspunkt war mein Buch 'Schnüffler ohne Nase', das im Juni 1993 erschien und sehr viele Informationen aus Geheimbereichen des Bundesnachrichtendienstes enthielt. Es wurden Kameras auf den Eingang des Instituts für Friedenspolitik ausgerichtet, um festzustellen, wer sich unter meinen Besuchern im Institut befindet. Um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, ging der stellvertretende Leiter des Observationskommandos zur Weilheimer Kriminalpolizei und gab sich als Mitarbeiter des Landeskriminalamts aus. Ein örtliches Textilhaus stellte dem vermeintlichen LA-Mann daraufhin einen Raum zur Verfügung, in dem Überwachungstechnik untergebracht wurde. Dann wurde auf dem Parkplatz gegenüber dem Institut ein Auto abgestellt, in dessen Sonnenblende eine Kamera installiert war und die Aufnahmen in den zur Verfügung gestellten Raum sendete. Und so wurden ich und alle Besucher des Instituts über Monate observiert."


     * Die Fachautorin Claudia Peter berichtet über die "Gefahr im Altpapier": "In Holland schlich sich ein Spion bei mindestens 30 Organisationen aus der Umwelt- und Dritte Welt-Bewegung ein und bot sich an, ihr Altpapier zu entsorgen. Angeblich wollte er den Erlös einer Hilfsorganisation in Afrika spenden. Das ging acht Jahre lang, bis er aufflog. Die betroffenen Gruppen wunderten sich sehr, dass ihre internen Informationen plötzlich an Industrieverbände und Zeitungen gelangten. Des Rätsels Lösung: Der Spion arbeitete für eine private Sicherheitsfirma, die General Security Consultancy in Amsterdam. Die Firma sammelte das Material und verkaufte es weiter."


     * Die Methode scheint verbreitet: Auch bei der Überwachung des Journalisten Erich Schmidt-Eenboom wurde das Altpapier vom BND ausgewertet. Bis zum Jahr 2003 ist regelmäßig das Altpapier von Schmidt-Eenboom, das alle vier Wochen zum Abtransport auf die Straße gestellt wurde, durchsucht worden, berichtete die Süddeutsche Zeitung. Um keinen Verdacht zu erregen, haben die BND-Mitarbeiter dem Bericht zufolge die Abfalltüten des Publizisten gegen "ähnlich aussehende anderen Inhalts" eingetauscht.


Um es deutlich zu sagen: Nicht jeder, der von einem Umweltverband oder einer Bürgerinitiative zur Industrie wechselt, darf unter Generalverdacht stehen. Dennoch, die vielen Beispiele, die vermutlich nur die Spitze des Eisberges sind, zeigen, was auf Umweltverbände und Soziale Bewegung zukommt, wenn Umweltschutz und unsere Aktivitäten den Gewinninteressen der Konzerne zuwider laufen. Absehbar ist, dass Methoden dieser Art, die in den USA schon gang und gäbe sind, in Zukunft verstärkt auch bei uns eingesetzt werden. Wir müssen uns damit
auseinandersetzen.

Dies gilt insbesondere für die ökologisch- ökonomischen Konflikte, bei denen es auch um viel Geld geht. In Sachen neue AKW und Europäischer Druckwasserreaktor EPR geht es in der Schweiz um ein Geschäft im Umfang von 12 Milliarden Euro und in Frankreich um ein Geschäft im Wert von weit über 200 Milliarden Euro. Jeder neue Reaktor wird rund 3 bis 4 Milliarden Euro kosten. In allen großen Konflikten muss mit Spitzeln und Spionen gerechnet werden, dürfen die Aktiven über diesem Wissen aber auch nicht in eine selbstlähmende Paranoia verfallen.


Axel Mayer ist Geschäftsführer des BUND Südlicher Oberrhein in Freiburg

*) Mehr Infos beim BUND Südlicher Oberrhein

http://linkszeitung.de/content/view/169028/1/

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