Samstag, 24. Januar 2009
 
Wir Achtundsechziger PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Michael Genner   
Mittwoch, 23. April 2008

Das ist der erste einer Serie von Artikeln, die Asyl in Not in diesem „Gedenkjahr“ über die 68er-Bewegung in Österreich, ihre Ziele, Erfolge und Misserfolge veröffentlicht. Michael Genner schreibt als Beteiligter aus seiner persönlichen Sicht, ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder Objektivität.

Österreich war vor 1968 ein zutiefst rückständiges Land. Es herrschte der geistige Moder, die biedere Verlogenheit der Nachkriegszeit – der Konsens, Österreich sei das „erste Opfer“ gewesen. Der faule, feige Kompromiss.


Den Großteil der Intelligenz hatten die Nazis vertrieben oder umgebracht. Die Widerstands- kämpfer (so weit sie überlebt hatten) spielten bestenfalls Nebenrollen im neuen, „demokratischen“ Staat. Ausnahmen (wie Kreisky und Broda) bestätigen die Regel; sich durchzusetzen, hatten sie es schwer genug.


Alte Nazis saßen in Schlüsselpositionen. Im Staatsapparat (Polizei, Heer, Justiz) herrschte eine ungebrochene, antidemokratische Tradition. An den Universitäten ebenso: Die „Schwarzen“ hatten fast 60, der „Ring Freiheitlicher Studenten“ (RFS) über 30 Prozent der Stimmen in der Hochschülerschaft. Der Rest waren wir… Arbeiter- und Bauernkinder studierten fast nie.


1965 – Borodajkewicz-Demonstration

Taras Borodajkewicz war ein Professor, der unter dem Johlen der Nazistudenten – und unter dem Schutz des schwarzen Unterrichtsministers Piffl – antisemitische Propaganda betrieb. Die wenigen sozialistischen Studenten, die es damals gab, Arbeiterjugendgruppen und ehemalige Widerstandskämpfer riefen zu Protestdemonstrationen auf. Sie wurden von Nazischlägern überfallen.


„Heil Borodajkewicz! Hoch Auschwitz!“ brüllten die Nazistudenten. Einen alten Mann, den Kommunisten und Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger, der auf sie zuging, mit ihnen diskutieren, ihnen erklären wollte, was Auschwitz war, schlugen sie tot.


Aber das war der Anfang von ihrem Niedergang, denn in der Straßenschlacht, die auf den feigen Mord folgte, wurden sie so geschlagen, dass sie sich eine Weile zurückhielten. Seither wuchs die Linke – zwar langsam, aber stetig – auf der Universität.


Österreich im Vor-Mai... Ich ging in ein humanistisches Gymnasium, die Fronten dort waren klar. Meine Mitschüler waren teils Bürger-, teils Bauernkinder. Die Bauernkinder lebten in  katholischen Heimen. Die Bürgerkinder (soweit sie überhaupt etwas dachten) waren großteils schwarz bis braun. Ich war der einzige „rote Jud’“ (Letzteres zwar nur „M2“, „Mischling zweiten Grades“ im Nazijargon, aber immerhin).


Ich fragte meinen Klassensprecher, der gegen die Juden hetzte: „Hast du schon einmal einen Juden gesehen?“ Er verneinte. Da outete ich mich. „Du bist eine Ausnahme“, meinte er. Von den Bauernkindern blieben nur wenige bis zur Matura, noch viel weniger gingen dann auf die Universität…


Kampf um die Öffnung: Abschaffung der Studiengebühren

1967 (da war ich dann schon bei den sozialistischen Studenten) kämpften wir gegen die Studiengebühren. Es gab Demonstrationen, wir hatten es geschafft, die ganze Hochschülerschaft für unseren Aufruf zu mobilisieren. Ein paar tausend Leute gingen auf die Straße, lang nicht so viele wie in Deutschland – aber es war auch nicht notwendig. Wir setzten uns auch mit weniger Leuten durch.


Die Studiengebühren wurden abgeschafft. Unser größter Erfolg an der Universität.
Dadurch studierten zwar immer noch nicht viel mehr Arbeiter- und Bauernkinder. Wohl aber: Frauen! Vorher hatte sich ein Familienvater dreimal überlegt, ob er die Tochter studieren lässt. Sie sollte lieber heiraten und Kinder kriegen. Das wurde jetzt anders, Schritt für Schritt.


Die Öffnung der Universitäten war ein gewaltiger Schritt zur „Durchflutung aller Lebensbereiche mit Demokratie“, wie Bruno Kreisky es später formulierte. Aber das allein hätte nicht genügt.


Das Wichtigste war die Überwindung der traditionellen, christlich-abendländischen Familie. Aber das ging Hand in Hand: Dass Frauen studieren konnten, gab ihnen mehr Unabhängigkeit. Pille und Fristenlösung trugen auch ihren Teil bei. Vor allem aber: Unser Kampf gegen die Erziehungsheime. Mehr davon in einem anderen Kapitel.


Ich weiß schon: Unsere Erfolge waren Stückwerk. Trotzdem brauchen wir uns ihrer nicht zu schämen. Die neuen Schichten, denen wir den Zugang zur Universität erkämpft hatten, waren gegen die rechte Hetze doch eher resistent. Heute spielen die Nazis kaum mehr eine Rolle an der Universität. Im Gegenteil: Es gibt eine linke Mehrheit seit einigen Jahren.


Der Weg dorthin war weit und steinig. Wir haben ihn zu gehen begonnen, und wir hatten Erfolg. Es ist kein Zufall, dass der erste Schlag des schwarz-blauen Regimes sich genau dagegen richtete: Schüssel und Haider führten die Studiengebühren wieder ein.


Aber auch ihnen ist es nicht gelungen, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Das zeigten die großen Demonstrationen im Februar 2000. Da waren hundertmal mehr Menschen auf der Straße als 1968. Dank unserer Reformen war eine neue intelligente Mittelschicht entstanden, die dem schwarz-blauen Regime die Stirne bot.

Michael Genner

Frühere Artikel zu anderen Aspekten des „Gedenkjahres“ („Nie wieder Faschismus“,
„Vor 70 Jahren – Anschluss, Arisierung und Zwangsarbeit“ und „Die Aufrechten“) finden Sie auf www.asyl-in-not.org unter „Archiv 2008“.

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